„Ihr existiert nicht!“

Aus der Lokalredaktion Hermannstadt

Manfred Wittstock Foto: privat

Kennen Sie das Hermannstädter Unikat, das man von weither an seiner eigentümlichen Gangart erkennt und an warmen Spätherbsttagen zur Nachmittagszeit auf dem Kleinen oder Großen Ring gediegen vor einem Glas Wein sitzend antreffen kann? Ja, richtig erraten: Manfred Wittstock, 1938 als Sohn aus erster Ehe Erwin Wittstocks geboren. Halbbruder der aktuellen ADZ-Chefredakteurin Rohtraut Wittstock und um ein Jahr älter als sein leiblicher Bruder Joachim Wittstock. Studierter Geschichtsfachmann und Träger eines Diploms der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg. Verdiente seinen Lebensunterhalt von 1970 bis 1998 als Hermannstädter Lokalredakteur des „Neuen Wegs“ und ab 1993 der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“. 80 Jahre und sieben Monate nach seiner Inkarnation ist Manfred Wittstock noch immer asketischer Weinkenner und Junggeselle. Jegliche Kursänderung ausgeschlossen.

Werner Kremm, seines Zeichens ADZ-Redakteur in Reschitza und Autor einer wöchentlichen Kolumne nach al-dente-Rezept, ließ es sich am 26. November 2018 abends im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt nicht nehmen, Hannelore Baier und Manfred Wittstock persönlich zu begrüßen. Wenn man schon zusammenkommt, um über die Zeitung zu reden, gehört es sich einfach, pensionierte Ex-Kollegen willkommen zu heißen. Der Anlass des Treffens war ein Austausch von Vertretern der Lokalredaktionen mit Lesern im Rahmen der „Hermannstädter Gespräche“ (siehe ADZ vom 16. Januar 2019).

Bissfest war auch die auf der öffentlichen Diskussion aus dem heiteren Nichts erfolgte Wortmeldung der „eingetragenen Marke“ Manfred Wittstock. Referieren kann der Mann noch immer, das muss man ihm lassen! Stinksauer über die Post zu schwadronieren, die aus Personalmangel in Hermannstadt nur noch Stückwerke ihrer Aufgabe leistet – und die Printausgabe der ADZ an die Abonnenten daher nicht mehr austrägt – hatte er sich vorgenommen. Keinen Zentimeter rückte er von seiner Absicht ab, bezog seelenruhig Position am Rednerpult und forderte vom Team der versammelten Journalistinnen und Journalisten der ADZ, den Job des Zeitungsaustragens von Hausnummer zu Hausnummer doch selbst zu übernehmen. Er sprach im Namen aller, die ihr Abonnement bezahlt haben und täglich umsonst auf ihre Zeitung warten, was in Hermannstadt in gewissen Stadtteilen zur Regel geworden ist. Auf den Vorschlag, mit der Online-Ausgabe vorlieb zu nehmen, wollte er wie gewiss auch viele andere ADZ-Leser nicht eingehen. Sie haben ja ein Recht darauf, die von ihnen bezahlte Zeitung in der Hand zu halten und gemütlich zu lesen. Nicht alle Menschen wollen oder können stundenlang vor dem Computer sitzen. Dafür muss man volles Verständnis haben.

Dass die ADZ-Redakteure auch den Vertrieb übernehmen und durch die ganze Stadt laufen, ist natürlich unmöglich. Wer sollte denn die Zeitung mit ausreichend Buchstaben füllen, wenn wir Redakteure die ADZ persönlich austragen?

Der alte Herr gibt viel auf anständigen Staat: Einen Manfred Wittstock ohne Mantel, Krawatte, Bügelfalte und Anzug wird man in der Öffentlichkeit nicht zu Gesicht bekommen. Schwarz ist letzterer an Feiertagen, grau, beige oder in einer anderer Farbe zu allen anderen Gelegenheiten. Die Kunst, sich grün zu ärgern, hat er noch nicht verlernt. „Ihr existiert nicht“, warf er uns ADZ-Redakteuren kurzerhand vor. Er hat recht: Wenn die Zeitung nicht zum Leser kommt, existieren wir nicht. Kein Austräger – keine Zeitung. Wie viele ältere Leser, die kein Smartphone besitzen – keines möchten, keines brauchen – mögen sich in derselben Lage befinden? Sie gehören zur treuesten Leserschaft, aber für sie existiert die ADZ nicht mehr...

Sein Abo hat Manfred Wittstock inzwischen gekündigt, was für die ADZ entschieden ein Schaden ist. Dafür geht er täglich quer durch die Stadt und kauft sie sich im Erasmus-Buchcafé, immerhin gehört Hermannstadt zu den wenigen Städten in Rumänien, wo es die Zeitung in den Erasmus-Buchhandlungen gibt. Alle Achtung! Man muss die ADZ schon sehr mögen, um seinen eigenen Briefträger zu spielen.