Bukarest – Am 15. September ist das Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest Gastgeber für einen Leseabend mit dem österreichischen Dichter Udo Kawasser im Rahmen des Internationalen Poesiefestivals in Bukarest (FIPB) gewesen. Der Dichter wurde in Vorarlberg am Bodensee geboren. Als Jugendlicher war er ein begeisterter Fußballspieler, entschied sich jedoch für ein Studium der deutschen, französischen und spanischen Literatur in Innsbruck und Wien. Heute wirkt Udo Kawasser als Deutschlehrer, Übersetzer spanischer Literatur, Lyriker und gilt als der Gründer der „Poesiegalerie“, der wichtigsten Online-Plattform für österreichische Lyrik, und des gleichnamigen Literaturfestivals in Österreich. Für seine literarische Errungenschaft wurden Kawasser der Alfred-Kolleritsch-Preis 2020 und der Sacher-Masoch-Preis 2021 verliehen.
Den Leseabend bereicherte Udo Kawasser mit der kurzen Vorstellung seiner Gedichtbände, interessanten Hintergrundinformationen und kleinen Anekdoten zu seinen Poemen.
Das erste vorgetragene Gedicht stammt aus dem Band „Leibeigene Geschichten. Ein Kanon“, einer Reihe von Poemen, in denen sich der Lyriker mit klassischen Autoren auseinandersetzt.
„Mont Ventoux“, betitelt nach dem gleichnamigen Berg im Süden Frankreichs, schilderte den gemeinsamen Bergabstieg des lyrischen Ich und eines verzweifelten Petrarca, des bekannten italienischen Dichters des 14. Jahrhunderts. Francesco Petrarca hatte Mont Ventoux in einer Zeit bestiegen, als das Bergsteigen nicht üblich war, da Gebirge von Geheimnis, Legenden und Aberglaube umhüllt waren. Als dieser den Gipfel erreichte, schlug er das mitgebrachte Buch „Bekenntnisse des Heiligen Augustinus“ auf einer beliebigen Seite auf und las zufällig einen Satz über den richtigen Weg im Leben, der nach innen führe und nicht nach außen, wo ihn viele, ihn eingeschlossen, suchen. Infolgedessen verwandelte sich seine optimistische Stimmung beim Abstieg in eine Depression. Viele von Kawassers Gedichte inspirieren sich an der Geografie und sind mit Orten, Ländern oder ganzen Landschaften verbunden. Gute Beispiele dafür wären das erste Gedicht aus dem „experimentellen“ Gedichtenzyklus „Paliano Takes“ (Bildaufnahmen in Paliano), der aufgrund stundenlangen Beobachtens der Natur und Aufzeichnungen von spontanen Eindrücken, Gefühlen und Gedanken während einer Künstlerresidenz in der italienischen Stadt Paliano bei Rom entstanden ist, und das Poem „August“. In beiden wird die Natur während eines Sonnenuntergangs beschrieben und zweiteres handelte vom Augustlicht, welches verlängerte Schatten auf die Erde wirft. Das darauffolgende Gedicht schilderte den Moment der Abenddämmerung an der Bregenzer Ache, einem Gebirgsfluss in einem schmalen Tal in der Nähe des Bodensees und des Geburtsorts des Autors.
Ein anderes, „Erklär mir Wien“, handelt von einer scheinbar grenzenlosen Stadt der Fassaden, die als Erscheinungsbilder zu verstehen sind, hinter denen sich das wahre Wesen der Menschen verbirgt. Sogar „das Blau“ der Donau, welche durch Wien fließt und die beiden Teile der Stadt voneinander „wie ein Band“ trennt, scheint „eine Lüge“ zu sein. Kawasser stellte auch den Band „kleine kubanische grammatik“ vor, die eine Sammlung seiner im Laufe von 15 Jahren geschriebenen Gedichte enthält. Als Metapher der von strengen Vorschriften des Kommunismus geregelten kubanischen Gesellschaft ist auch Kawassers Gedichtband ironisch nach den festen Regeln einer Grammatik in Phonetik, Morphologie, Syntax eingeteilt. Das Kapitel Phonetik oder Lautlehre ist stark rhythmisierten Gedichten auf Spanisch gewidmet. Dieser Teil ist zweisprachig. Der Morphologie-Abschnitt handelt aufgrund eines Wortspiels nicht von Wortarten, sondern von „Ortarten“, also von Orten in Kuba. Der Syntax-Teil oder der Satzbau beruht auf dem Austausch des Dichters mit anderen Leuten und Künstlern in Kuba, wie die bekannte Dichterin Reina María Rodriguez. Ein Gedicht aus dem Morphologie-Abschnitt heißt „Letanía de mangos“ (Litanei von Mangos) und darin werden mit änderndem Rhythmus melodisch klingende Namen der in Kuba vorhandenen Mango-Sorten aufgezählt. Die überaus dynamische Art und Weise, wie Kawasser dieses interpretierte, löste beim Publikum laute Heiterkeit aus.
In Udo Kawassers Werk kann man nicht nur ein Interesse für Natur, sondern auch eine Faszination für das Wasser als Naturelement im Allgemeinen beobachten. Diese, gestand der Lyriker, sei auf seinen Nachnamen, und der Allgegenwärtigkeit der Gewässer in seinem Leben zurückzuführen.
Er hat sogar eine „Wassertrilogie“ geschrieben, die aus den Bänden „Unterm Faulbaum“, „Ache“ und „Ried“ besteht. Ersterer basiert auf persönlichen Aufzeichnungen über Natur, Sprache, Leben, Philosophie usw. Der zweite ist ein Versuch einer poetischen Rekonstruktion eines Flusses. Im dritten beschreibt Kawasser nicht mehr die Umwelt aus dem Gesichtspunkt eines Be-obachters, sondern er personifiziert sie, indem er Überlegungen aus dem Standpunkt der Natur als Sujet schreibt. Aus diesem las Kawasser einige Gedichte vor und anschließend fand eine Fragerunde statt.