Protokoll-Inhalte „manchmal ernüchternd oder sehr ernüchternd“

Kirchenhistoriker Ulrich Wien übergab „sieben auf einen Streich“

In der EKR gab es zur Zwischenkriegszeit laut Dr. Ulrich A. Wien stets „ganz unterschiedliche Haltungen“, die sich „nicht nur in den Bildern, sondern auch in den Texten“ zeigen. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Obwohl Montagnachmittag, am 12. September, die „Augen“ von Hermannstadt/Sibiu im Terrassensaal des Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) erwartungsgemäß zugegen waren, da die Wanderausstellung „FREMD:  VERTRAUT. Hermannstadt : Kronstadt. Zwei Städte in Siebenbürgen“ von Fotograf Jürgen van Buer erst Ende Oktober abgebaut wird, standen weder ein wacher Sehsinn noch die spezifischen Dachgauben des historischen Stadt-Kerns an einsamer Spitze der Prioritätenliste von Publikum und Vortragenden. Vielmehr ging es darum, ganz Ohr zu sein, was der in gespannter Versammlung lauschenden Stammzuhörerschaft der EKR im Hermannstädter Raum selbstverständlich nicht explizit unterbreitet werden musste. Die erste Buchvorstellung des Teutsch-Hauses im Jahr 2022, zu der man einander endlich wieder physisch statt online treffen konnte, wie Dr. Gerhild Rudolf betonte, war auf die Präsentation von Inhalten angesetzt, die „nicht allein in säurefreien Archivschachteln, sondern auch zwischen Buchdeckeln“ für sich zu entdecken sind. Dr. Ulrich A. Wien, Akademischer Direktor am Institut für Evangelische Theologie an der Universität Koblenz-Landau, genoss es in vollen Zügen, „nach fast drei Jahren wieder in Hermannstadt“ zu sein.

Eigentlich hatte er sich darauf vorbereitet, über die von ihm selbst in drei Teilbänden herausgegebenen „Synodalverhandlungen der Superintendentur Birthälm“ betreffend die Zeit von 1601 bis 1752 und natürlich die „Protokolle des Landeskonsistoriums“ der Jahre 1919 bis 1944 zu sprechen. Genau hierfür und ganz besonders wohl für eine Zusammenfassung der vier Teilbände des zweitgenannten Themas waren seine zig Zuhörenden neugierigst ins Teutsch-Haus geströmt. Allem sauren Dauerregen zum Trotz. Dr. Ulrich A. Wien jedoch konnte vor lauter Wiedersehensfreude für den Anfang nicht umhin, zunächst den englischsprachigen Sammelband „Crossing Borders – Impact of Reformation in Transylvania since the 1520s. Diversity of Faith and religious Freedom in the Ottoman Zone of Influence“ vorzustellen, den er als Herausgeber im Vandenhoeck & Ruprecht Verlag im Januar 2022 veröffentlicht hat. Stolze 120 Euro muss berappen, wer diese 380 Seiten einschließlich über 250 Karten und Abbildungen seiner papierenen Bibliothek zufügen will. Recht behielt Dr. Wien hingegen mit der Information, dass der Band auch kostenlos gelesen werden kann. Denn das mit einem Vorwort vom führenden Luther-Experten Dr. Volker Leppin nach Siebenbürgen vordringende Kompendium „Überschreiten von Grenzen – der Impakt der Reformation in Transsylvanien seit den 1520er-Jahren. Diversität von Glauben und religiöser Freiheit im Ottomanischen Einflussbereich“ ist online durch Eingabe des englischen Buchtitels in die Suchzeile der Homepage vr-elibrary.de zu finden, von wo es sich gratis auf die Bildschirme digitaler Endgeräte herunterladen lässt.

Martin Armgard und Monica Vlaicu, Fachkraft der Hermannstädter Zweigstelle der Rumänischen Staatsarchive, die ihm beim Editieren der „Synodalverhandlungen der Superintendentur Birthälm“ Hilfe geleistet haben, sprach Dr. Ulrich A. Wien gebührenden Dank aus. Als er letztlich Dirk Schuster und Timo Hagen als Mitherausgeber nannte, die ihm beim Vorbereiten der Drucklegung der „Protokolle des Landeskonsistoriums“ für die Jahre 1919 bis 1944 zugearbeitet haben, war es im Teutsch-Haus endlich soweit, manch nüchterne Schlussfolgerung von Dr. Wien zu vernehmen. „Experten für diese Zeit sind die wenigsten. Auch in Siebenbürgen.“ Nicht unerwähnt blieb dabei auch Dr. Wiens Sekretärin am Universitäts-Campus im rheinländischen Landau, die ihm das Abtippen etlicher Protokoll-Jahrgänge abgenommen hat.

„Die EKR ist in der Zwischenkriegszeit zwar eine Männerkirche gewesen. Vor Ort aber waren die Frauen entscheidend gewesen“, unterstrich Siebenbürgen-Kenner Dr. Ulrich A. Wien im Teutsch-Haus. Der Frauenverein der EKR habe bekanntlich versucht, sich der Gleichschaltung mit der NS-hörigen Deutschen Volksgruppe in Rumänien (DviR) zu widersetzen. Mit einigem Humor durchsetztes Verständnis als Herausgeber der LK-Protokolle brachte er auch für Bischof Friedrich Teutsch (1852-1933) auf, dem zufolge Sitzungen des Landeskonsistoriums immer „so ermüdend“ gewesen wären. „Und sie reden so viel!“

Nichts davon hingegen hat Martin Bottesch, den Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS), vom Entscheid abbringen können, das Drucken der neuen Quellen-Editionen aus dem Urkundenbuch der EKR durch Geldmittel des Departements für Interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniens zu unterstützen. „Wie lange wir diese Mittel noch haben, wissen wir nicht.“

Als letzter Redner der Buchvorstellung berief Bischof Reinhart Guib sich auf Psalm 78: „Was wir gehört haben und wissen und unsere Väter uns erzählt haben, das wollen wir nicht verschweigen ihren Kindern.“ Alle sieben von Dr. Ulrich A. Wien und dritten Experten herausgegebenen Bücher werden kostenlos an ihre Lesenden verteilt, solange der 250 Exemplare starke Vorrat reicht. Sollte er früher oder später aufgebraucht sein, können die Bände sicher im Zentralarchiv der EKR im Teutsch-Haus oder in der Bibliothek des Studiengangs für Protestantische Theologie an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS) ausgeliehen werden.