Klausenburg – Etwas weniger als ein halbes Jahr nach dem Tod von Pharmazeutik-Forscher Robert Schwartz, der 1944 als Säugling unter der Obhut seiner Mutter und im Keller seines Geburtshauses in Klausenburg/Cluj-Napoca den Holocaust überlebt hatte, beklagt die Jüdische Gemeinde in Siebenbürgens größter Stadt das Ableben eines 1929 geborenen Zeitzeugen der historisch beispielhaft schwer erfahrenen Erlebnis-Generation: László Nuszbaum, Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler, ist Freitag, am 25. August, im Alter von 94 Jahren verstorben und wurde vier Tage später zu Mittag auf dem Klausenburger Zentralfriedhof beerdigt. Seine Biographie liest sich wie eine Kritik nationaler Diktaturen, die er bereits als Student und Journalist sowie Jahre später als Mitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD) überlegen durchschaute. Geboren war László Nuszbaum in der Kleinstadt Thorenburg/Turda, die er 1944 binnen kürzester Zeit nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch mit seiner jüdischen Familie verließ, um nach Klausenburg umzusiedeln. Sein Vater, der die Bindung an das ungarische Mutterland aufrechterhalten und womöglich stärken wollte, besaß die rumänische Staatsbürgerschaft nicht. Die Hochkonjunktur der „Eisernen Garde“ im Königreich Rumänien bedingte die Wahl des magyarischen Kolozsvár zusätzlich, doch selbst am neuen Wohnort blieb Nuszbaum, seinen Eltern und seinem Bruder die Opfer-Rolle in faschistischer Weltordnung nicht erspart. Nur mit Glück gelang es László als einzigem seiner Familie, dem Gaskammer-Tod im KZ Auschwitz-Birkenau zu entkommen. Auch den über 100 Kilometer langen „Todesmarsch“ zum KZ Buchenwald überlebte er, um dort dank der Hilfestellung vom ranghöchsten Kommando-Mithäftling Otto Hermann letztlich am 11. April 1945 Zeuge der Befreiung zu werden. László Nuszbaum kehrte bald zu Ende des Sommers nach Klausenburg zurück, studierte und schlug eine Karriere als Dozent an der Hochschule ein, ehe er nach zehn Jahren Lehrtätigkeit an die Zentrale Universitäts-Bibliothek versetzt wurde und die Aufgaben eines Chef-Bibliographen übernahm. Die Gedenkstätte Buchenwald erklärt, dass er sich den Wechsel an jenen neuen Arbeitsplatz durch einen kritischen Artikel betreffend die blutige Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1956 durch sowjetische Bodentruppen und Panzer eingehandelt habe.
Die letzten 20 Jahre vor Eintritt in den Ruhestand wiederum diente László Nuszbaum, seit 1952 Ehemann einer Orchestermusikerin der Staatsphilharmonie „Transilvania“, im Kreis-Verwaltungs-Apparat der Region Klausenburg. Im kürzlich auch auf Youtube gestellten Dokumentarfilm „Nuszbaum 95736“ von Regisseur László Csibi (2017) räumt er seine Leidenschaft als Bücher- und Theaterfreund für Thomas Mann, Anna Seghers sowie Bertolt Brecht ein, und spricht auch davon, als Konzertgänger nicht auf das Hören der Musik von Beethoven, Bach, Händel und Haydn verzichtet zu haben. In Buchenwald hatte ihm Antifaschist Otto Hermann, der 1939 von der Gestapo verhaftet worden war, das Leben gerettet. „Mit der Zeit verstand ich, dass die Deutschen eine Nation sind und der Faschismus eine politische Ideologie war. Man darf das eine nicht mit dem anderen verwechseln. Diese Schlussfolgerung behielt ich, und ich sage es allen: was immer dir auch widerfährt, du darfst Menschen nicht richten, darfst ihnen keine unwahren Attribute zuschreiben.“
Noch im Mai laufenden Jahres war Zeitzeuge László Nuszbaum zum Ehrenbürger der Stadt Weimar ernannt worden, weil er als KZ-Überlebender von Buchenwald auch in gesamt Thüringen oft packend vor Schülern und Jugendlichen vorgetragen hatte. Leider nur konnte Nuszbaum, genau wie je ein weiterer KZ-Deportations-Zeitzeuge und Ehrenbürger-Neuzugang aus Italien und Polen, der festlichen Stunde im Weimarer Rathaus allein online zugeschaltet mit seiner Präsenz entgegenkommen. „Mit großer Trauer habe ich vom Tod László Vasile Nuszbaums erfahren. Wir sind ihm für sein jahrzehntelanges Engagement für eine bessere, menschlichere und freiere Welt zutiefst dankbar“, gab Peter Kleine, 2018 parteilos mit Unterstützung der CDU zum Oberbürgermeister Weimars gewählt und nach wie vor im Amt, am Vortag der jüdischen Begräbnisfeier von Nuszbaum in Klausenburg bekannt. Geplant war, die Original-Urkunde demnächst im Oktober seinem Empfänger zu überreichen, der in Klausenburg rumänisch unter dem Vornamen Vasile gerufen wurde. „Wir werden sein Vermächtnis weiterführen“, versichert Jurist Peter Kleine. „Er hatte sich über die Ehrenbürgerwürde sehr gefreut.“ Um die entsprechend unverzichtbare Fahrt und Reise in den Landeskreis seiner Rettung in höchster Not und dem Alter von 16 Jahren brachte László Nuszbaum ein plötzlicher wie unheilbarer Krankheitsfall.