Wo Aussatz behandelt wurde, gibt es auch Chancen auf alte Gräber

Eine Kreuzkapelle, deren Sanierung nicht fesselnder hätte anfangen können

Auch Historiker und Astra-Bibliotheks-Direktor Răzvan Codruț Pop machte sich persönlich ein Bild von den Ausgrabungen im Fundament der römisch-katholischen Kreuzkapelle am Platz vor dem Bahnhof Hermannstadt.

Im natürlich feuchten Boden unter der Trittfläche der Kreuzkapelle hat Sergiu-Mihail Chideșa knöcherne Überreste einer erwachsenen Person entdeckt – und in ihrem Schoß erkennt er das Skelett einer Totgeburt. „Winzige Knochen wie Fischknochen“, erläutert Sergiu-Mihail Chideșa, die vollständig freizulegen ihn sicher „zwei Tage“ lang beschäftigen wird. Von Nässe getränkte Kirchenfundamente zwingen Archäologen zu besonders feiner Sorgfalt. Fotos: Klaus Philippi

Hermannstadt – Gläubigen, die mit ihren Gebetsanliegen gerne die römisch-katholische Kreuzkapelle am Bahnhofsplatz aufsuchen, steht hierfür voraussichtlich noch mindestens bis Mitte Oktober ein kleines Zelt zur Verfügung, das dort auf Wunsch der Stadtpfarrgemeinde vom Großen Ring/Piața Mare ersatzhalber gleich neben der um die Mitte des 18. Jahrhunderts gebauten Kapelle aufgestellt wurde. Das von außen einwandfrei aussehende Gotteshaus – wohl das kleinste aller historischen Kirchen in ganz Hermannstadt/Sibiu – trug innen schleichende Feuchtigkeitsstau-Spuren im Mauerwerk und drängte die römisch-katholische Stadtpfarrgemeinde zum Entscheid, bis zur Schadensbehebung möglichst keine weitere Zeit mehr verstreichen lassen zu wollen. Montag, am 23. September, schätzte Archäologin Dr. Anca Nițoi vom Brukenthalmuseum die Gesamtdauer der noch fälligen Ausgrabungen im Kreuzkapellen-Fundament auf „drei bis vier Wochen“.

Akribisch geschürft wird bis zu zwei Meter tief, um Näheres über die Zeitspanne von 1474 – dem Jahr des Umzugs von Dominikaner-Mönchen in ihr neues Kloster innerhalb der Stadtmauern – bis zum Bau der Kreuzkapelle offenlegen und historiografisch verwerten zu können. Allgemein bekannt ist vorläufig in groben Zügen nur, dass am Bahnhofsplatz der dominikanische Vorgängerbau des späteren Ursulinen-Klosters in der Sporergasse/Str. General Magheru nach dem Einzug der Dominikaner-Mönche in den Altstadtkern zu einer Behandlungsanstalt für Lepra-Kranke umfunktioniert wurde, und die Kirche des leerstehenden Dominikaner-Klosters die Aufgaben einer „Seuchenkirche“ erfüllte, ehe sie im politischen Gefecht 1659 aus militärischem Kalkül ihren Abriss erlebte. Nicht zerstört dafür wurde ihr 1417 von Petrus Landregen gefertigtes Kruzifix aus Stein, das bis zur Errichtung der heute noch stehenden Kreuzkapelle gut unter der Wasseroberfläche des damals noch sumpfigen Bahnhofs-Geländes versteckt die Zeit überdauerte. Die Sache wurde nicht bei seiner Wiederentdeckung 1683 belassen, sondern gab unweigerlich Anlass zum Kreuzkapellen-Bau. Spannend ist letztlich der vielleicht bis wahrscheinlich von Archäologen gehegte Verdacht auf Skelette im Fundament der Kapelle, die auf Friedhof-Nutzung des Geländes von 1474 bis etwa 1755 deuten könnten: er hat sich bereits bestätigt und wird voraussichtlich den Beginn der eigentlich beabsichtigten Sanierung um einiges verzögern. Dr. Anca Nițoi und ihre Kollegen jedoch sind zufrieden, bis dahin ohne Einschränkung unternehmen zu können, was laut Kulturgesetz verpflichtend ihnen vorbehalten ist.