Hermannstadt – Brita Falch Leutert legte einfach los. Bei einem Stoff wie dem von Sonntagabend, dem 21. November, um 18 Uhr in der Ferula der Evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piața Huet in Hermannstadt/Sibiu erübrigte sich auch wirklich jede Art von Begrüßung durch einen Pfarrer oder die Aufführenden. Kaum dass die Kantorin des Hauses auf der schillernd restaurierten Orgel von Martinsberg/[omartin (Samuel Maetz, 1811) die ersten Zeilen der Musik von Dorothea Hofmann (Jahrgang 1961) auf das Libretto des Streitgespräches „Der Ackermann aus Böhmen“ (um 1400) von Johannes von Tepl angeschlagen hatte, war die Verfremdung eines alten Chorals schon komplett und auf dem Notenpult längst in die Tonsprache des 21. Jahrhunderts übergegangen. Yannick Becker als Interpret eines verwitweten Ackermanns hätte sich keinen besseren Start für die Schimpftiraden auf seinen todbringenden Gegenspieler wünschen können.
Die Partie desjenigen, der sich das alles in abgebrühter Gelassenheit anhört und zur entwaffnenden Antwort ein schlagendes Argument nach dem anderen auspackt, rezitierte Daniel Plier. Er sprach seine Rolle so gut, dass der jüngere Kollege vom Ensemble der Deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater dann und wann spürbar Mühe hatte, mit in die Sogwirkung des fiktiven Disputs einzusteigen und seine wörtlichen Anspielungen glaubwürdig anzubringen. Letztlich aber traf das Gespann beider Bühnenprofis, die links und rechts vor dem Alten Altar (1519/1545) ihre klaren Positionen einnahmen, ins Schwarze.
Auf dem Pult vor sich hatte Yannick Becker Schuldzuweisungen in gut verstehbarer Sprache des 21. Jahrhunderts stehen. Unverändert dafür blieben viele Nuancen aus der Zeit des mittelhochdeutschen Vokabulars. „Meiner Lust Zerstörer seid! Entschädigung vermochte ich von Euch nie zu bekommen. Ich stelle fest, Mitleid hat bei euch keinen Platz!“, polterte es noch vor dem Erreichen der Hälfte des Streitgespräches aus ihm heraus. „Nicht gut gestorben ist, wer das Sterben ersehnt hat“, parierte Daniel Plier textgetreu. „Das Ende ist des Anfangs Geschwister.“
Yannick Becker tat nicht, was sein Opponent ihm nahelegte („Hör´ auf und gib dich zufrieden!“), sondern steigerte sich in das eigene Wehklagen hinein: „So über die Maßen große Trübsal. Sie tot, ich Witwer, meine Kinder Waisen!“, worauf es von der anderen Seite zynisch antwortete - „ga, ga, ga, schnattere die Gans, was sie wolle! Das Leben ist um des Sterbens willen geschaffen.“ Auch den etwa 200 Demonstranten rings um die Statue Samuel von Bruken-thals am Großen Ring/Piața Mare, die zeitgleich gegen obligatorische Impfungen zum Schutz vor Covid-19 und gegen das Grüne Zertifikat wetterten, hätte es vielleicht nicht geschadet, eine ähnliche Rede zu hören.
Zum Finale des Lesekonzerts kehrte Brita Falch Leutert gemäß den Noten von Dorothea Hofmann wieder zu den alten Choral-Zeilen des Anfangs zurück, die nicht ohne Grund mit einem dissonanten Cluster ausklangen. „Die Welt in ständiger Angst. Wenn´s zu spät ist, wollen alle fromm sein“, hatte der Tod im Streitgespräch kurz zuvor beobachtet. Ehe der Ackermann mit einem Gebet an Gott für die Seele seiner Frau schloss, schallte aus dem Lautsprecher ganz überraschend und letztlich erlösend die Stimme von Schauspieler Daniel Bucher, der das Urteil des Allmächtigen beisteuerte. „Dir, Kläger, die Ehre, dir, Tod, der Sieg.“ Der anschließende Applaus bestätigte es.