Wurzeln à la carte

Die Hermannstädter Gespräche fanden zum Thema „Zu den Wurzeln“ statt

Dr. Roxana-Alice Stoenescu, Thomas Șindilariu, Dr. Eveline Cioflec, Tiberiu Tioc, Christiane Böhm (v.l.n.r.). Foto: Aurelia Brecht

Hermannstadt – Mit Pastinake und Blumentopf eröffnete am Mittwochabend die neue ifa-Kulturmangerin am Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt, Christiane Böhm, das Diskussionsbuffet im Spiegelsaal: „Der Titel ´Zu den Wurzeln´ meint eine Bewegung auf etwas zu, ein inhaltliches Umkreisen, und zwar das Betrachten des Motivs der Wurzel im aktuellen Zeitgeschehen, aber auch aus einer historischen Perspektive heraus“, so Böhm zu Beginn. Ein anderer Ansatz sollte gewählt, das Wurzelmotiv und dessen Bedeutung in allen Facetten beleuchtet werden. Im Sprachgebrauch sei das Motiv der „Wurzel“ tief verankert, so Böhm: Man „suche Wurzeln“, sei „irgendwo verwurzelt“ oder mache die Erfahrung der „Entwurzelung“. Wurzeln würden verwendet, um Identität zu bilden: Wie also stellen wir uns unsere Identität vor? Geradlinig wie die Pastinake oder wie beim Wurzelballen, der sich in der Erde weit ausbreitet?

Auf dem Podium waren Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Biologie, Philosophie, Geschichtswissenschaft und Europastudien anwesend, um ein möglichst vielseitiges Bild zu zeichnen: Die Diskussion gestalteten Dr. Eveline Cioflec von der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt, Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen in Bukarest, Dr. Roxana-Alice Stoenescu von der Babe{-Bolyai-Universität Klausenburg sowie Tiberiu Tioc, Biologielehrer an der Brukenthalschule.
Auf die botanische Seite und die Funktion von Wurzeln ging Tiberiu Tioc ein: Stabilität, Nährstoffaufnahme aus dem Boden und die Bildung von chemischen Stoffen, die die Kommunikation und Vernetzung von Pflanzen möglich machten. Über ihre Wurzeln unterstützten die älteren Bäume die jungen. Auch Umwelteinflüsse, denen die Pflanze ausgesetzt sei, spielten eine Rolle. Eveline Cioflec legte den Akzent auf den Aspekt des „Unsichtbaren“ von Wurzeln; die Faszination des Verborgenen, das auch in der Identität eines Menschen ans Licht gebracht werden will. Ein anderer Aspekt sei die „Verankerung“ – der Übergang vom Nomadentum zum Ackerbau. Heute gebe es wieder eine Tendenz zurück zum Nomadentum, etwa wenn man den Bereich der Migration und der Digitalnomaden betrachte.

Eine historische Einordung gab Thomas Șindilariu: Kronstadt/Brașov und Zeiden/Codlea hätten die Wurzeln im Wappen. Johannes Honterus habe ab 1539 die Wurzel unter die Krone des Wappens gesetzt – zurückzuführen vermutlich auf die antike Philosophie. Auch in der „Siebenbürgischen Zeitung“ und der „Kronstädter Zeitung“ finde man das Motiv. War die Rechtsgemeinschaft in Gefahr, habe man sich auf die Wurzeln besonnen und identitätsbildende Argumente gefunden – so zum Beispiel 1786, als Joseph II. in Siebenbürgen eine Verwaltungsreform durchführte. „Entwurzelung“ sei eher mit größeren Brüchen des 20. Jahrhunderts in Zusammenhang zu bringen. Auch dem Individuum schade es nicht, sich der Vergangenheit zu stellen: „Es sind sehr spannende Reisen, auf die man sich selbst begeben kann“, so Șindilariu. Roxana Stoenescu ging auf die Konstruktion der Begriffe der Nation und Einheit ein – die eng mit dem Begriff der Wurzeln verknüpft sei.

Im regen Publikumsgespräch, das sich an die Podiumsdiskussion anschloss, spielte die persönliche Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln die Hauptrolle. Das traditionelle Bild einer Bindung an einen Ort erfuhr eine Auffrischung: Wurzeln, so ein Teilnehmer, könnten eben auch als Sinnbild einer Vernetzung mit anderen gedeutet werden, ähnlich wie in der Pflanzenwelt. So gab es neben der He-rausarbeitung des Facettenreichtums des Begriffs „Wurzeln“ am Diskussionsbuffet auch eine Begriffswandlung: Wurzelregeneration inklusive.

Die Hermannstädter Gespräche sind ein Projekt des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH) mit Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa). Das Projekt wird mit Mitteln des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland gefördert.