„30 Jahre Optimismus“   – oder von Hoffnungen und falschen Rettern

Michael Jackson in Rumänien und der betrogene Porzellanhersteller

Unfertige Porzellanbibelots, die Michael Jackson darstellen Filmstill aus „30 ani de Optimism“, mit freundlicher Genehmigung der Künstler

Am 28. Februar ist der Kurzfilm „30 ani de Optimism“ (deutsch „30 Jahre Optimismus“) auch nach Bukarest gekommen, nachdem er im Dezember letzten Jahres in der Kunstgalerie MATCA artspace in Klausenburg/Cluj-Napoca (Calea Turzii Nr. 21) erstmals in Rumänien vorgeführt wurde. Die aussagekräftige Videomontage, die in der kleinen Bukarester Kunstgalerie Cazul 101 (Calea Plevnei Nr. 137 C) gezeigt wurde, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der deutschen, in Trier gebürtigen Multimediakünstlerin Lisa Marie Schmitt und dem rumänischen Künstler Alexandru Mihai Budeș aus Karlsburg/Alba Iulia, der in Berlin lebt und wirkt. Ihr Kunstprojekt wurde über die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert.

Der Titel des Kunstprojekts zitiert intertextuell die Werbekampagne des amerikanischen Erfrischungsgetränkeherstellers CocaCola, der 2021, zur Zeit der Entstehung des Kurzfilms, auf den Sturz des kommunistischen Regimes in Rumänien als auch auf sein 30-jähriges Jubiläum auf dem rumänischen Markt zurückblickte. 

Der auch auf Rumänisch mit großem Buchstaben geschriebene Optimismus im CocaCola-Slogan weist auf die Hoffnung der Rumänen sowohl vor als auch nach der Revolution auf eine Änderung zum Besseren hin.

Hoffnungen

Nach fast einem halben Jahrhundert unter dem kommunistischen Regime brach sich die Sehnsucht der Rumänen nach Freiheit mit der Revolution im Dezember 1989 einen Weg. Mit der folgenden politischen und wirtschaftlichen Wende drangen ab da auch westliche Produkte und Waren auf den rumänischen Markt ein. Der „Wind des Wandels“, wie es in dem Hit der deutschen Rockband Scorpions von 1989 heißt, brachte unter anderem 1991 den Import von Coca-Cola-Produkten mit sich und 1992 ein Konzert des amerikanischen Superstars Michael Jackson aus dem Westen, die von vielen Rumänen als Sinnbilder der Freiheit und Rettung verstanden wurden. 

Genau auf dieses Gleichnis spielen die Künstler Lisa Marie Schmitt und Alexandru Mihai Budeș in ihrem Kurzfilm an, in dem sie das gesellschaftliche Phänomen des Jackson-Konzerts in Bukarest parallel mit der Geschichte des Porzellanherstellers Florian Istrate aus Karlsburg/Alba Iulia präsentieren.

Es stellt sich die Frage: Was hat wohl der „King of Pop“ Michael Jackson mit einem rumänischen Porzellanhersteller zu tun, und was für eine Rolle spielt ihr Verhältnis in der Ökonomie des Films?

Michael Jackson in Rumänien

Auf die Einladung des ehemaligen rumänischen Präsidenten Ion Iliescu, der im noch immer laufenden Prozess zur Revolution 1989 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Obersten Gericht angeklagt wurde, reiste Michael Jackson mit seiner „Dangerous“-Tour als erster westlicher Superstar, der das postrevolutionäre Rumänien besuchte, für ein Konzert nach Bukarest. 

Genau wie die Massenveranstaltungen während des Kommunismus diente auch dieses Massenereignis nicht zuletzt einem politischen Zweck: Und zwar der Verklärung des politischen Image von Ion Iliescu, der Jackson sogar öffentlich im „Volkspalast“ empfing, mit der Absicht, die Stimmen der Jugend für sich zu gewinnen. Denn Michael Jacksons Konzert fand am 1. Oktober 1992 statt, ausgerechnet zwischen der ersten und zweiten Wahlrunde im Wahlkampf für die Präsidentschaft.

In „30 Jahre Optimismus“: In nebliger Vogelperspektive eine orthodoxe Kathedrale in der Morgenröte. Langsames rhythmisches Klopfen auf einem kirchlichen Klopfbrett und Männerstimmen, die ein orthodoxes Kirchenlied interpretieren, ertönen leise im Hintergrund. Parallel dazu werden Jugendliche aus dem ganzen Land gezeigt, die wie bei einem geistlichen Umzug vom Bukarester Nordbahnhof in Richtung „Lia Manoliu“-Stadion, dem Ziel ihrer „Pilgerfahrt“, gehen, um die frische westliche Atmosphäre der Freiheit das erste Mal zu erleben und sich vom King of Pop retten lassen. 

Der Verkehr gerät ins Stocken. Mittels einer solchen Videomontage verleihen alle Elemente, die dem geistlichen Bereich angehören, dem Besuch des amerikanischen Pop-Sängers eine mystische Bedeutung und stilisieren ihn zur Retterfigur.

Das Klopfen am Klopfbrett wird immer schneller und lauter wie ein Trommelwirbel, bis die Spannung ihren Höhepunkt erreicht: Der westliche Held ist endlich da! Kurze Ausschnitte vom Besuch des Superstars im Volkspalast, in einem Kinderheim und von seinem Konzert, die in einem altmodischen Fernsehgerät wie in einer Rahmenerzählung auftauchen, zeigen das Ausmaß des um Jacksons Persönlichkeit entstandenen soziopolitischen Phänomens.

Plötzlich versetzt die Kamera die Zuschauer nach Karlsburg, wo sie Florian Istrate, einen Porzellanhersteller, der in den 90er Jahren eine Porzellanmanufaktur in der Stadt gründete, kennenlernen. Den Rest des Films erzählt Florian Istrate über seine Erfahrung mit dem 2009 verstorbenen Michael Jackson.

Die Geschichte vom betrogenen Porzellanhersteller

Jahre später, nach der eineinhalbjährigen Ehe mit Lisa Marie Presley und einem mit 23 Millionen Dollar außergerichtlich beigelegten Gerichtsverfahren wegen Pädokriminalität, reiste der inzwischen umstrittene Michael Jackson 1996 ein zweites Mal nach Rumänien, diesmal für seine HIStory-Tour. 

Bei der Vorbereitung seines Konzerts wurde der Porzellanhersteller Florian Istrate von einer nach Deutschland umgesiedelten Freundin wegen eines wichtigen Auftrags kontaktiert: Da ihr Ehemann ein guter Freund von Dieter Wiesner war, Jacksons damaligem Manager, wollte sie einen möglichen Bestellvertrag zwischen Jackson und Istrate vermitteln. Zwei Wochen später schickte der Porzellanhersteller Jacksons Manager einige Musterstücke, und dieser übermittelte Istrate anschließend die Zusage des Popstars und den Vertrag für einen Auftrag von 100.000 in Gold- und Platin-Lüsterfarben gemalten Porzellanbibelots, die Jackson in seinen Bühnenkostümen darstellten.

Ohne jeglichen Vorschuss machte sich Florian Istrate mit seinem Keramiker-Team, das speziell für diesen Auftrag um weitere 20 Angestellten erweitert werden musste, auf eigene (hohe) Kosten an die Arbeit. Mit 50 Gussformen wurden sechs Monate lang täglich 500 Bibelots gegossen und während des Herstellungsvorgangs streng überwacht, damit keine Stücke gestohlen wurden. Bildmontagen mit einem rumänischen Brettspiel namens „Noroc“ (Glück) und einem Aquarium, in das ein Jackson-Bibelot sinkt, tauchen während der Erzählung von Istrate auf dem Bildschirm auf und verweisen auf die Hoffnungen des Porzellanherstellers in Bezug auf den wichtigen Auftrag sowie das Risiko, das er eingeht – und sagen den „Schlag ins Wasser“ bereits voraus.

Das Ziel von acht bis zehn Tausend Fertigstücken pro Monat konnte schließlich von der kleinen Manufaktur nicht erreicht werden. Der Porzellanhersteller wirft daher Michael Jacksons Team vor,  von Anfang an böse Absichten gehegt zu haben, da sie laut ihm absichtlich ein unerreichbares Ziel für den Hersteller festgelegt hatten, um ihn der Vertragsverletzung zu beschuldigen und ihm die bestellten Bibelots nicht mehr bezahlen zu müssen. 

Als die ersten 1000 Stücke fertig waren, holte sie Jacksons Manager Dieter Wiesner persönlich mit einem Lastkraftwagen aus Karlsburg ab. Dann: Stille. Weder Wiesner noch seine Freunde aus Deutschland konnten erreicht werden. 

Der Betrug wurde dadurch gekrönt, dass der Geschäftspartner von Istrate Jacksons Manager in Deutschland aufsuchte und mit 2500 an den Ecken angebrannten Deutschen Mark zurückkehrte, die rumänische Banken wegen der Beschädigung nur zum halben Wert in rumänische Währung tauschten. Das wenige Geld verteilte der Porzellanhersteller zwar an seine Angestellten, aber wegen des großen Verlustes und weil er seine Angestellten nicht mehr bezahlen konnte, wurde Istrate Mitte der 90er Jahren bankrott. Heute hält sich der 70-Jährige finanziell kaum über Wasser.

Eine skurrile kleine Armee von Jacksons

In seiner seither geschlossenen Manufaktur scheint die Zeit still zu stehen: Eine kleine Armee von unfertigen Michael-Jackson-Bibelots, die skurril wirken, richten sich stolz wie Helden empor und blicken abwertend auf die zwischen ihnen liegenden Fragmente eines gekreuzigten Christus und Marienstatuen mit bescheidenen, schmerzverzerrten Gesichtsausdrücken herab.

In den letzten Minuten des Films findet eine Führung durch die öde, mit Schrott gefüllte Manufaktur statt. Den Zuschauern wird es von der sich im Kreis drehenden Kameraperspektive und vom verlangsamten Rhythmus von Jacksons Lied „Earth Song“ (über die von Menschen bewirkte Zerstörung der Erde) ein wenig schwindelig. Zuletzt stellt sich der Popstar, auf den viele Menschen ihre Hoffnungen projiziert hatten, als hochmütiger „falscher Retter“ heraus.

Inzwischen, nach 30 Jahren Optimismus, wartet Rumänien immer noch auf die Aufhebung der Visumspflicht für die Einreise in die USA, auf den Schengen-Beitritt, auf den eigenen Wiederaufbau über den Wiederaufbau- und Resilienzmechanismus der Europäischen Union usw. Der Kurzfilm von Lisa Marie Schmitt und Alexandru Mihai Bude{ erweist sich als eine zugängliche, meisterhaft inszenierte Allegorie für den aktuellen soziopolitischen Kontext.