60 Jahre Élysée-Vertrag

Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen aus rumänischer Perspektive

Die Projektvorschläge wurden am Abend im Beisein des deutschen Botschafters Dr. Peer Gebauer (1. Reihe, 2.v.l.), des französischen Botschafters Nicolas Warnery (1. Reihe, 3.v.l.), der Jury und aller Beteiligten, Dozenten und Institutsleiter im Elvire-Popesco-Kino am Institut français vorgestellt. Foto: die Verfasserin

Ende November wurden 60 Jahre seit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zwischen Frankreich und Deutschland über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa gefeiert – durch eine Veranstaltung im Goethe-Institut und im Institut français mit Vorträgen von Dozentinnen und Dozenten aus beiden Ländern und Rumänien, Diskussionen und Workshops für Lernende und Studierende. Philippe Gréciano, der rumänischstämmige Präsident der Deutsch-Französischen Hochschule, der die Veranstaltung mit einer Videobotschaft eröffnete, betonte: „Die heutigen europäischen Herausforderungen betreffen nicht nur die Sicherheit oder das Haushaltsgleichgewicht, sondern vor allem die Bereiche Wissenschaft, Technik und Kultur, ohne die unser Kontinent keine Seele und keine Hoffnungen hätte. Deshalb ist die Freundschaft zwischen unseren Ländern so wichtig.“

Die Begrüßung des Publikums fand durch Dr. Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Insituts Rumänien, und Julien Chiappone-Lucchesi, Leiter des Institut français, statt. Ersterer hob hervor, dass die deutsch-französische Partnerschaft das größte internationale Netzwerk zwischen zwei Ländern überhaupt sei. Zweiterer bekräftigte: „Das, was wir erreicht haben, ist nicht ewig und dauert nur solange die Leute es animieren. Wir freuen uns, dass wir mit unseren Instituten auch hier in Rumänien diese kulturelle Kooperation haben“.

Der Moderator des Rundtischgesprächs, Prof. Dr. Horațiu Gabriel Decuble vom Germanistik-Departement der Universität Bukarest, erwähnte die Synergie als Schlüsselwort, das die letzten 60 Jahre beschreibt, in denen friedlich zusammengelebt, eine Vision und eine Zukunft für Europa entwickelt wurde. Zu dieser Zukunft gehöre auch die mikrosoziale Ebene, insbesondere die Mischehen.

Um die interkulturelle Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland zu fördern, wurde eine gemeinsame Institution gegründet, nämlich der Fernsehsender Arte, der gleichermaßen von beiden Seiten geleitet und finanziert wird. Gezeigt wurde dabei aus seinem breitgefächerten Programm eine Folge der Sendung „Karambolage“ über den 1962 stattgefundenen Frankreichbesuch von Heinrich Lübke, Präsident der BRD, und die lange Deutschlandtournee von Charles de Gaulle, Präsident der Französischen Republik, welche die Unterzeichnung des bilateralen Élysée-Vertrags 1963 vorbereiteten.  

Deutsch-Französisches Jugendwerk

Die deutsch-französische Annäherung hat aber viel früher begonnen: 1948 mit den neu gegründeten deutschen und französischen Vereinen und den ersten bilateralen Jugendbegegnungen, pointierte Claire Demesmay, Dozentin an der Universität des Saarlandes. Ein wiederkehrendes Motiv der Vorträge ist die Rolle der Menschen, die die Beziehung zwischen den Ländern lebendig machen. Daher haben sich die beiden Regierungen entschieden, Städtepartnerschaften einzugehen und Institutionen für die Umsetzung von Bürgerinitiativen, die Förderung von Jugendaustausch und deutsch-französischen Studiengängen zu gründen. Eine wichtige Rolle spielt das Deutsch-Französische Jugendwerk DFJW/OFAJ. Erinnert wurde auch an die Bedeutung des Aachener Vertrags 2019, der den Élysée-Vertrag mit Kapiteln über die Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, Zivilgesellschaft usw. ergänzt und die Gründung des Deutsch-Französischen Bürgerfonds 2020 vorsah.

Gemeinsames Schulgeschichtsbuch

Weil Geschichte als eine der Grundlagen der nationalen Identität gilt und beide Länder einen Anspruch auf die gemeinsame Geschichte haben, wurde die Idee eines deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches ins Leben gerufen. Dieses ist in drei Bänden im Klett Verlag in Deutschland und im Verlag Nathan in Frankreich erschienen und befasst sich mit der Geschichte Europas und der Welt seit der Antike bis in die Gegenwart. Von anderen Schulgeschichtsbüchern unterscheidet es sich dadurch, dass es die Vielfalt der Interpretationen dieses oder jenes historischen Phänomens respektiert und großen Wert auf die Beachtung, Synthetisierung und Überwindung von didaktischen Ansätzen und administrativen Zwängen legt, verdeutlichte Catherine Teissier, Dozentin an der Aix-Marseille Université.

Doppelte Studiengänge

Zur bilateralen Partnerschaft im Hochschulwesen hat sich Nicole Colin, Dozentin an der Aix-Marseille Université, geäußert. Neben dem Abibac, einer dualen Schulabschlussprüfung an einigen Gymnasien, gibt es auch doppelte Studiengänge, die zur Hälfte in Frankreich und zur Hälfte in Deutschland verlaufen. Für deren Koordinierung und Finanzierung ist die Deutsch-Französische Hochschule, eine zwischenstaatliche Institution und keine eigentliche Hochschule, verantwortlich. Die Deutsch-Französische Hochschule gewährt zusätzliche Mobilitätshilfen zum Erasmus-Stipendium, unter der Voraussetzung der Belegung eines doppelten Studiengangs.

Angeboten wird auch die Möglichkeit eines trilateralen Studiengangs in Kooperation mit einer der elf Partneruniversitäten des Universitätsbundes CIVIS, darunter auch die Universität Bukarest, die Aix-Marseille Université in Frankreich, die Universität Tübingen in Deutschland, die Universität Salzburg in Österreich usw.

Lilli Kornmann, Masterandin des doppelten Studiengangs „Interkulturelle Studien“ in Tübingen, erzählt von ihrem Forschungsthema „Rap und Geschlecht in Deutschland und Frankreich“ und den Beobachtungen von je zwei Rapperinnen aus den genannten Ländern anhand der Songtexte. Ein solches gesellschaftlich relevantes Forschungsthema, welches auch Musikhören und Spaß beim Verfassen der Arbeit voraussetzt, empfahl sie auch rumänischen Studierenden.

Andrea Cornelißen, Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD an der Politehnica-Universität Bukarest, erläuterte die Herausforderungen und Vorteile der deutschsprachigen Studiengänge in Rumänien. Hierzulande seien mehr als 60 deutschsprachige Bachelor-, Master- und Promotionsstudiengänge in einem breiten Fächerspektrum an Universitäten in zehn Großstädten vorhanden. Diese pflegen enge Partnerschaften mit deutschen Universitäten und bieten rumänischen Studierenden mit einem B2- Sprachniveau die Möglichkeit, für eines oder mehrere Semester über DAAD- oder Erasmus-Stipendien in Deutschland zu studieren oder sogar ein Doppeldiplom zu erlangen. Interessenten können sich beim Bukarester DAAD-Infozentrum (Str. Buze{ti Nr. 61) oder unter www.daad.ro erkundigen.

Rabie Ben-Aitallah, Verantwortlicher für die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und Rumänien am Institut français, präsentierte das französischsprachige Studienangebot hierzulande. An rumänischen Universitäten sind einhundert frankophone Studiengänge in allen beliebigen Fachbereichen vertreten, die Hälfte davon sogar mit Doppelabschluss. Ein weiteres Programm, das seit über 30 Jahren existiert, ist „La Sorbonne à Bucarest“, welches eine Vielzahl Studiengänge in französischer Sprache anbietet. Weitere Informationen zu den Studiengängen und Stipendien sind im „Campus France“-Infozentrum am Bu-karester Institut français (Dacia-Blvd. Nr. 77) oder unter www. roumanie.campusfrance.org erhältlich.

Gemeinsame Kulturinstitute und -projekte

Als nächster Redner erläuterte Dr. Joachim Umlauf die Tätigkeit der gemeinsamen Kulturinstitute. Zum Beispiel in Palermo, Italien, und Erbil, Irak, wurden französische und deutsche Kulturinstitute unter ein Dach gebracht; andere solche gemeinsame Kultureinrichtungen seien geplant.  

Damit Deutsche und Franzosen gemeinsame Kulturprojekte in Drittländern (auch mit lokalen Partnern) durchführen, ist 2003 der deutsch-französische Kulturfonds zum Anlass des 40. Jubiläums des Élysée-Vertrags eingerichtet worden. Dafür wird jährlich eine halbe Million Euro zur Verfügung gestellt.

Das Goethe-Institut und das Institut français in Rumänien haben dieses Jahr ein gemeinsames Projekt zum zeitgenössischen Tanz auch mit rumänischen Tänzern entwickelt. Letztes Jahr wurden gemeinsame Kulturprojekte den Roma-Musikern aus Deutschland, Frankreich und Rumänien gewidmet.

Deutsches und französisches Theater

Roxana Lăpădat, Kunstleiterin des Theater-Projekts „Teatrelli“, erklärte, wie das Mitte der 50er Jahre als Minderheitstheater ins Leben gerufene Deutsche Staatstheater Temeswar DSTT und das viel früher, 1787, gegründete Deutsche Theater in Hermannstadt, die heutige deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Nationaltheaters Hermannstadt, trotz Massenauswanderungen der Rumäniendeutschen überlebt, sich angepasst und zu Erfolgstheatern auf Landes- und Europaebene entwickelt haben.

Ihrer Präsentation hat Roxana Lăpădat auch zwei Trailer der DSTT-Produktion „Menschen zu verkaufen“ über den Freikauf der Rumäniendeutschen und der Produktion des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters „Die Zofen“, eine deutsch-französische Zusammenarbeit, angefügt.

Der Diskussion schloss sich auch Diana Nechit, Dozentin an der Universität Hermannstadt im Bereich Theater, Übersetzerin und Mitarbeiterin für das Theaterfestival in Hermannstadt FITS, per Videokonferenz an. Um die Rolle des französischsprachigen Theaters und die Theaterbeziehungen zwischen Frankreich, Deutschland und Rumänien zu veranschaulichen, stellte sie ein Projekt des belgischen Verlags Lansman vor. In dessen Rahmen wurden seit 2017 insgesamt 50 junge frankophone Autorinnen und Autoren aus Belgien, Luxemburg, aber auch aus afrikanischen Ländern, sowie dem Vietnam ins Rumänische übersetzt und als zehnbändige Theateranthologie herausgegeben.

Die Anthologie zielt darauf ab, die Frankophonie in der Vielfältigkeit ihrer Stimmen, insbesondere der weiblichen, zu beleuchten, das Repertoire der Theateruniversitäten zu variieren und eine Leerstelle in den rumänischen Buchhandlungen zu füllen. Weitere zwei Anthologien der kanadischen und luxemburgischen zeitgenössischen Dramatik sollen nächstes Jahr zwei- oder dreisprachig veröffentlicht werden. Das übersetzte frankophone Theater in Rumänien hätte ihres Erachtens jedoch mehr Werbung nötig, um den Weg zu den Schaffenden der Theaterszene zu finden.

Diskussion und Workshops

Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Rechts- und Politikwissenschaft als europäische Herausforderung“ statt. Danach erarbeiteten die Schüler der Deutschen Schule Bukarest, der Hermann Oberth Schule und des Lycée français sowie Studierende in Kooperation mit Fachleuten, Doktorandinnen und Doktoranden in thematischen Arbeitsgruppen Vorschläge für deutsch-französische Projekte in Rumänien für das nächste Jahr, in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, dem Institut français, der Universität Bukarest sowie einer französischen und deutschen Hochschule. Zu den Themen gehören: „Social Media im interkulturellen Kontext und im Kontext der Diplomatie“, „Minderheiten als europäische Herausforderung: Rumänien, ein Beispiel für Deutschland und Frankreich?“, „Wissens- und Kulturtransfer zwischen Rumänien, Deutschland und Frankreich“, „Sensibilisierung für Geschichte“ und „Europäische Integration durch Kultur“.  Alle Projekte sollen mit insgesamt 3000 Euro von den beiden Kulturinstituten gefördert und 2024 umgesetzt werden.