„Alles, was ich noch nicht ausprobiert habe, das reizt mich“

Schauspielerin Alexandra Nesici über Leben und Beruf in Deutschland

Alexandra Nesici ist 25, freischaffende Schauspielerin und Theaterpädagogin und hat ihren Lebensmittelpunkt vorläufig in Freiburg gefunden. Die gebürtige Großsanktnikolauserin war vor gut sieben Jahren noch bei Radio Temeswar in der Jugendwelle zu hören, beziehungsweise über mehrere Jahre auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters als Mitglied der NiL-Theatergruppe, aber auch schon 2018 als Nachbarin in „Niederungen“ von Hertha Müller, Inszenierung von Nicky Wolcz, zu sehen. Der Weg zur freischaffenden Künstlerin war kein leichter und Alexandra Nesici hat jeden Schritt aus eigener Kraft getan. Wie es ihr heute geht und was sie bisher erreicht hat, erfuhr ADZ-Redakteurin Astrid Weisz von ihr.

Was hast du nach Abschluss der Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar gemacht?

Ich war mir sicher nach dem Abi, dass ich Schauspielerin werden möchte - und in Deutschland. Ich habe mich erst mal an mehreren Schulen beworben, sowohl staatlich als auch privat, unter anderem auch an der Freiburger Schauspielschule, und weil ich dort angenommen wurde, habe ich dann die Entscheidung getroffen, auch dort zu bleiben. Überhaupt aus Rumänien wegzuziehen nach Deutschland war nicht ohne. Es ist eine Herausforderung, auch wenn man die deutsche Sprache beherrscht und das deutsche Abitur abgelegt hat. Es ist ein anderer Lebensstil. Man kennt niemanden, man muss sich erstmal orientieren und dann war natürlich die Schule die erste und einzige Anlaufstelle, um überhaupt Leute kennenzulernen, um anzukommen. Deswegen ist sie schnell eine Art Zuhause geworden, denn man ist auf einer Schauspielschule auch sehr eng miteinander, man hat viel Körperkontakt. Es gibt Höhen und Tiefen. Meine Probleme haben sich vor allem auf die Aussprache konzentriert. Das wurde eine Riesenbaustelle. Und ich muss immer noch daran arbeiten: Das Hochdeutsch, das auf der Bühne verlangt wird, ist nochmal anders als das, was wir in Rumänien in der Schule lernen. Da wird eher der Schwerpunkt auf Grammatik und auf richtiges Sprechen gesetzt, als auf Aussprache.

Hattest du während des Studiums Gelegenheit, auch zu schauspielern, in Produktionen mitzumachen?

Ja, das Gute ist, die Freiburger Schauspielschule ist eine Schauspielschule mit eigenem Spielbetrieb. Das heißt, man hat pro Jahr mehrere Produktionen, die man neben dem Unterricht probt. Man muss also viel Zeit einplanen, neben dem Studium mit Proben, um etwas auf die Beine zu stellen. Und ich habe sehr früh angefangen zu spielen, schon in meinem zweiten Semester, weil jemand aus einem höheren Semester ausgefallen ist. Bis zum achten und letzten Semester habe ich viel gespielt. Insgesamt waren es dann, ich glaube, sechs oder sieben Produktionen. Es ging los mit „Der Geizige“ von Molière, da habe ich Mariane gespielt, „Emilia Galotti“, „Phädra“, viel Komödie auch, wie „Weiberklatsch“ von Carlo Goldoni, aber auch selbst entwickelte Stücke und Konzepte. Wir hatten auch die Möglichkeit, selbst etwas zu inszenieren. Weil mir das nicht so liegt, haben das eher die Kollegen übernommen und ich habe gespielt oder Regieassistenz gemacht. Ich habe mich mal in allem ein bisschen ausprobieren können. Auf der Schauspielschule gibt es noch niemanden, der sich um Maske und Kostüm kümmert oder um Requisite; also sind das auch Aufgaben gewesen, die man mit der Zeit übernimmt.

Wie leicht oder schwer findet man nach einer Theaterschule in Deutschland auch eine Anstellung?

Es ist je nachdem, wo man sich befindet oder wie viel Arbeit man hineinsteckt, leichter oder schwerer. Vor allem, wenn man von der privaten Schule kommt, ist es ein großer Kampf, etwas zu bekommen. Weil ich gerade freischaffend bin, muss ich mich ganz viel bewerben. Es ist aber auch mein Wunsch, in der freien Szene tätig zu sein. Ich habe gerade sehr viel Energie und Lust, Projekte deutschlandweit zu machen. Ich war mit Tourneetheatern unterwegs. Ich bin mit Theaterpädagogik auch ganz viel unterwegs und daran liegt mir auch sehr viel. Und ich habe ein kleines Kindertheater in Freiburg gefunden, wo ich sehr gerne spiele. Aber das ist auch freischaffend. Das heißt, ich werde für Produktionen angefragt, für vereinzelte Aufführungen oder es gibt ein Casting oder ein Vorstellungsgespräch, ein Vorsprechen nennen wir das. 

Und was machst du als Theaterpädagogin? 

Der Schwerpunkt ist meistens Vertrauen und Zusammenhalt. Das haben wir Schauspieler auf eine interessante Art und Weise irgendwie gemeinsam, weil man sich so nahe kommt durch das Spielen. Und das lernen auch die Kinder durch Theatermethoden, durch kleine Improvisationen und Theaterspielchen, wie es ist, sich zu vertrauen und mal Kontrolle abzugeben, aber auch, aus gewissen Strukturen auszubrechen oder die Regeln mal nicht befolgen zu müssen, sondern einfach mal machen und in gewisse Situationen hineinzuschlüpfen. Und es ist wirklich sehr, sehr spannend, was das bei den Schülern für ein Selbstbewusstsein schafft. Ich arbeite sowohl mit Grundschülern als auch mit Jugendlichen und am ersten Tag stellen sich die Schüler vor und gucken einem kaum in die Augen, du verstehst ihre Namen nicht, weil sie so leise sprechen, und am zweiten Tag stehen da selbstbewusste junge Leute. Das ist wirklich schön zu sehen, was Theater für eine Verbundenheit schafft, aber auch ein gutes Selbstwertgefühl. Es geht nicht darum, irgendwas zur Perfektion zu treiben, sondern einfach mal machen und erleben. 

Erzähl uns ein bisschen von den Produktionen, bei denen du dabei warst.

Beim Theater Budenzauber, das keine eigene Spielstätte hat, sondern hauptsächlich in Kindergärten und Schulen spielt, habe ich mit „FarbAffenLand“ angefangen. Das ist ein selbstgeschriebenes Stück für Kinder ab vier, also haben wir es viel in Kindergärten gespielt. Das schafft eine wahnsinnige Lockerheit, beziehungsweise so eine Anpassungsfähigkeit, denn jeder Ort ist anders und jede Gruppe von Kindern ist anders. Und man spielt sich frei. Man lässt los. Danach ging es weiter mit einer Freilichtproduktion beim Theater Harrys Depot: „Ein idealer Gatte“ von Oscar Wilde. Das war eine ganz andere, tolle Erfahrung, mal ohne die Sicherheit der vier Wände zu spielen. Man muss ganz gut aufpassen, wie man mit der Stimme umgeht. Beim Theater Budenzauber habe ich noch „Pizzaspionage“ gespielt, ein Kinderkrimi, eher für ältere Kinder. 2023 war ich bei EURO-STUDIO Landgraf, einem großen Tourneeunternehmen hier in Deutschland, bei der Produktion „Hexenjagd“. Ich habe Betty Paris gespielt und bin einen Monat lang quer durch ganz Deutschland gereist, also wirklich von Norden bis Süden, jeden Tag woanders. 

Und Anfang dieses Jahres habe ich die Hauptrolle, Ada Lovelace in „Adas Code“ am Theater Harrys Depot gespielt, ein selbstentwickeltes Stück. Ada Lovelace hat Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt und hat sich schon in einer Zeit, wo es gar keinen Computer gab, Gedanken darüber gemacht, was die Computer eines Tages können werden, dass sie selbst rechnen können, dass sie selbst denken können und entwickeln können, also eine Frau mit einem wahnsinnigen Hirn, eine wahnsinnige Mathematikerin, die aber ziemlich in Vergessenheit geraten ist, weil die männlichen Kollegen dann doch die Bühne für sich beansprucht haben.

Was möchtest du gerne mal spielen? 

Alles, was ich noch nicht gemacht habe. Ich habe viel Komödie gespielt, viel Commedia dell‘arte auch. Ich würde mich gerne in etwas Ernsteres reintrauen, was Filmisches vielleicht auch, wo gar nicht so große Theatermittel verlangt werden. Aber im Grund alles, was ich noch nicht ausprobiert habe, das reizt mich.

In deinem Schauspieler-Profil steht, dass du in einem Hörspiel 2023 mitgemacht hast. Wie war das? 

Das war „Grummpf“, ein Hörspiel für Kinder, und die haben jemanden gesucht, der in Freiburg Rumänisch spricht und haben sich dann gemeldet. Und das war eine kurze Rolle auf Rumänisch, Raluca. In der Folge ging es um Gastarbeitereltern, die aus Rumänien gekommen sind. Kinder treffen auf diese Familie und Raluca bringt den anderen auch ein bisschen Rumänisch bei. Sie unterhalten sich dann über die Geschichte der Familie.

Glaubst du, dass das eine Stärke von dir sein kann, ein Alleinstellungsmerkmal auf dem deutschen Schauspielmarkt, dass du eben Rumänisch sprechend bist oder willst du lieber nicht in diese Sparte gedrängt werden?

Im Moment ist es schwierig zu sagen. Ich bin seit zwei Jahren fertig mit der Ausbildung und ich höre beides. Ich habe noch einen Akzent. Das ist so. Ich arbeite noch daran, dass der wegkommt. Aber wahrscheinlich wird da immer ein bisschen was bleiben. Manche sagen mir: Lass dir ja nicht deinen Akzent wegnehmen, weil das das ist, was dich ausmacht und das, was dir Rollen verschaffen wird im Endeffekt. Aber ganz viel höre ich auch, dass das ein Problem ist, dass man mich nicht nimmt, wegen meines Akzents. Und natürlich ist das etwas, was einen verunsichert. 

Beim Freiburger Klassenzimmertheater spiele ich ein Roma-Mädchen, Mia, das über ihre Fluchtgeschichte erzählt. Es ist ein Solo-Stück und ich trete damit in Klassenzimmern vor Schülern auf. Es geht 40 Minuten. Und nach dem Stück gibt es ein Schülergespräch über das Thema Rassismus und Diskriminierung. Das war das einzige Stück, wo ich genau deswegen genommen wurde, weil ich einen Migrationshintergrund habe und vor allem einen Akzent. 

Du warst Mitglied bei den NiLs. Was hat dir die Zeit in dieser Schülertheatergruppe gebracht? 

Ach, wahnsinnig viel. Das war mein Anfang am Theater. Das waren meine ersten Berührungen mit dem Theater, diese Gemeinschaft, die es da gibt. Und die Leute, die man kennenlernt mit der Zeit, die geben einem auch so viel Mut. Und es ist schön beim Theaterfestival zu sehen, wie viele Leute sich fürs Theater begeistern und fürs deutschsprachige Theater. Ich habe auch heute noch Kontakt zu einer Teilnehmerin aus Kroatien. Und natürlich die persönliche Entwicklung, die man macht, dadurch, dass man auf anderen Bühnen, auch im Ausland, auftritt und auch anderen dabei zusieht, wie sie spielen. Es ist wunderbar. Und auch die Workshops, die wir immer hatten: Man lernt so viel und man kann in so unterschiedliche Bereiche schlüpfen und schnuppern, eine wahnsinnige Bereicherung. Und ich bin sehr, sehr froh, dass es das immer noch gibt.

Es gibt einige NiLs, die in Rumänien Schauspiel studiert haben bzw. am Deutschen Staatstheater Temeswar oder an der Deutschen Bühne in Hermannstadt tätig sind oder eben an rumänischen Bühnen. Wieso war das für dich keine Option? 

Mir war es wichtig, Theater auf Deutsch zu machen und auch, dass ich mal aus diesen rumänischen Kreisen wegkomme und Theater von den Deutschen lerne, was ja nochmal anders ist, da es ein anderes Weltbild und ein anderes Theaterverständnis gibt. Und ich muss auch ehrlich sagen, ich wollte weg von zu Hause. Ich habe das auch gebraucht, ein bisschen Tapetenwechsel. Im Nachhinein bin ich auch sehr froh, weil von dem, was ich mitbekommen habe, gibt es auch viele Machtmissbrauchsskandale an den rumänischen Theaterschulen. Im Schauspiel ist es so, dass man sehr auf die Dozenten angewiesen ist, man arbeitet ja sehr eng miteinander. Und ich bin froh, dass meine Generation gegen (Macht)missbrauch kämpft und dazu steht, dass man nicht alles mit sich machen lassen muss. In Deutschland ist das schon länger angekommen. Also hier ist mir nichts dergleichen passiert. 

Herzlichen Dank für diese Ausführungen und für deine Offenheit!