Auf dem Weg in eine Zukunft der nachhaltigen Mobilität?

Wie die Region Bukarest-Ilfov den Verkehr neu organisieren möchte

Mehr Radwege – weniger Stau in Bukarest: Dafür ist aber auch ein Umdenken in der Bevölkerung nötig.

Das langfristige Ziel ist  die Umkehr der Verkehrspyramide: Das breite Fundament der Wege, die Menschen in Bukarest und seinem Umland täglich zurücklegen, soll nicht mehr aus Fahrten im eigenen Auto bestehen, sondern aus Zufußgehen, Radfahren und emissionsfreiem öffentlichen Nahverkehr. Wir könnten es auch Verkehrswende nennen.

Wir sprechen über die Aktualisierung des PMUD, des „Nachhaltigen Urbanen Mobilitätsplans“ für die Region Bukarest-Ilfov. Das Dokument, das sich an Standards der EU-Kommission orientiert, stellt das zentrale (integrierte) Instrument der Region für Verkehrsplanung und Mobilitätsstrategien dar. Es ist also nicht übertrieben, zu behaupten, dass mit diesem Plan die Weichen für die Zukunft der Mobilität in der Region gestellt werden. 

Die Akteure

Das fertig aktualisierte Strategiedokument wurde am 11. September auf einer Veranstaltung im Bukarester Constantin Tănase-Theater der Öffentlichkeit vorgestellt. Gleichzeitig war dies die letzte Gelegenheit für Menschen aus Bukarest und Ilfov, Kritik an und Anregungen zu dem Plan loszuwerden. Der Veranstaltung ging eine Phase voraus, in der Interessierte per Mail ihre Anmerkungen einschicken konnten, nachdem der Plan Mitte August veröffentlicht wurde (die ADZ berichtete). Die Auswertung des gesammelten Feedbacks könne möglicherweise noch zu Anpassungen führen, hieß es seitens der Veranstalter. 

In der Region Bukarest-Ilfov gibt es in Bezug auf den PMUD unterschiedliche Akteure: In erster Linie das Bukarester Rathaus, der Rat des Landeskreises Ilfov und die Öffentliche Verkehrsgesellschaft Bukarest-Ilfov (TPBI). Mit der Ausarbeitung des Strategiedokuments wurden drei Consultingfirmen beauftragt: TTL Planning und CIVITTA aus Rumänien und Bogazici aus der Türkei. Darüber hinaus sind in der Umsetzung zahlreiche weitere Akteure involviert, u. a. die Rathäuser und Stadt- bzw. Gemeinderäte der 6 Bukarester Sektoren sowie der 8 Städte und 32 Kommunen im Kreis Ilfov, sowie die Betreiber von U-Bahn-, Bus-, Trolleybus-, Straßenbahn- und Eisenbahnverkehr in der Region.

Zu wenig tiefgreifende Maßnahmen

Der Mobilitätsexperte Reinhold Stadler war 2012 mit dabei, als eine interinstitutionelle Arbeitsgruppe gegründet wurde, um die Grundlagen für einen integrierten Verkehrsplan zu schaffen. Man muss es sich wie den Versuch eines Neuanfangs vorstellen, nachdem viele Jahre kaum etwas getan wurde, um die Dominanz des Autos – Stadler: „King of the road“ – zu brechen. Ideen zur Beschränkung des Autoverkehrs, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses auf der Straße, Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und ein Ausbau der Fahrradwege – all dies wurde ein paar Jahre später im ersten PMUD Bukarest-Ilfov, ausgelegt auf den Zeitraum 2016 bis 2030, festgeschrieben. 

12 Jahre später: Stadler konstatiert im Gespräch, dass zwar einiges angeschoben, manches jedoch handwerklich schlecht gemacht wurde, etwa aufgemalte Fahrradwege auf Bürgersteigen. Wirklich tiefgreifende Maßnahmen wurden zu wenig angepackt. Doch echte Veränderung brauche Zeit, nicht zuletzt bedürfe es eines Mentalitätswandels bei den Menschen und dafür eine verbesserte öffentliche Kommunikation, erklärt Stadler. Für die Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen sei auf Planungsebene sehr spezifisches Know-How erforderlich – wie gestaltet man Straßen so, dass sie sicher und effizient von allen Verkehrsteilnehmern genutzt werden können? –, das bisher zu wenig vorhanden sei.

Aktuelle Lage: Pkw-Trend ungebrochen

Eine detaillierte Bilanz zur bisherigen Umsetzung des ersten PMUD zog Projektmanager Ionuț Mitroi von TTL Planning auf der Veranstaltung im Bukarester Theater. Fortschritte habe es vor allem in der Erneuerung der Bus-, Trolleybus- und Straßenbahnflotte sowie in der Modernisierung der Straßenbahnschienen, zum Teil auch des Straßennetzes, gegeben. Gerade im Bereich der Rad- und Fußgängerinfrastruktur sei jedoch zu wenig passiert und in Bezug auf eine effizientere Gestaltung des ÖPNV sieht es nicht viel besser aus: Die in Bukarest viel diskutierten gesonderten Busspuren seien immer noch zu wenige, zu fragmentiert und hätten aufgrund fehlender Priorisierung an den Ampeln keinen großen Beschleunigungseffekt. Auch die bisherigen Versuche des Parkraummanagements – sowohl in Bukarest als auch im Umland – wurden als unzureichend kritisiert.

Mit Blick auf die aktuelle Lage lässt sich konstatieren: Der Trend ist insgesamt ungebrochen, der PKW-Verkehr floriert und hat in den letzten Jahren sogar massiv zugenommen, was auch mit dem starken Bevölkerungszuwachs in Ilfov und dem damit verbundenen Pendelverkehr zu tun hat. Die Anzahl der registrierten Kraftfahrzeuge ist in Bukarest und Ilfov im letzten Jahrzehnt stark angestiegen. Ein Zuwachs an 320.000 Fahrzeugen von 2017 auf 2022, insgesamt liegt die Zahl inzwischen bei ca. 1,78 Mio. bei etwa 2,3 Mio. Einwohnern. 

Die Zeit, die die Autofahrer in Bukarest im Stau stehen, steigt jährlich weiter an. Die Unfallzahlen im Straßenverkehr (inklusive Verkehrstote) sind in Bukarest-Ilfov zwar in den letzten Jahren leicht rückläufig, doch viel höher als in anderen europäischen Metropolen. Bukarest hat zudem ein massives Luftverschmutzungsproblem, maßgeblich durch  Verkehr verursacht, welches die Gesundheit seiner Bewohner beeinträchtigt. Nicht zuletzt herrscht akuter Platzmangel im öffentlichen Raum, welcher immer mehr von Autos besetzt wird: zugeparkte Gehwege etc.

Der Plan wird nachgebessert

Im letzten Jahr wurde eine Aktualisierung des Mobilitätsplans, ein PMUD 2.0 (2023-2040) angestoßen. Bürgermeister Nicușor Dan erklärte Medienberichten zufolge auf einer öffentlichen Diskussion dazu, das bisherige Transportmodell, auf dem der PMUD 1.0 basiert, sei nicht funktional und müsse überarbeitet werden. Bisher seien zu viele Entscheidungen über Investitionen ohne Erkenntnisse darüber getroffen worden, wie diese Maßnahmen den Verkehr beeinflussen. 

Das Transportmodell muss man sich als Software vorstellen, die aufgrund von Daten über Verkehrsteilnehmer, z. B. über die Nutzung von Verkehrsmitteln oder zurückgelegte Routen, Prognosen erstellt. Es muss jedoch kontinuierlich mit Daten gefüllt werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern. Die Mitarbeiter der TPBI seien bereits in der Anwendung des neuen Modells geschult worden, hieß es. 

Ein düsteres Zukunftsszenario liefert das dem aktualisierten PMUD zugrunde liegende Transportmodell für den Fall, dass keine Maßnahmen ergriffen werden: Die Anzahl der im Auto zurückgelegten Wege würde bis 2030 um weitere 28 Prozent steigen, die CO2-Emissionen um 19 Prozent. 

Schnelle, effiziente Maßnahmen

Die vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen, die dem entgegenwirken sollen, wurden von den Verfassern des PMUD in thematische Pakete gruppiert, sie sind im Internet im Detail einsehbar. Insgesamt handelt es sich um 433 Einzelmaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 41 Mrd. Euro. Die Basis bildet ein Paket aus Maßnahmen zur Erneuerung und Reparatur der Verkehrsinfrastruktur, die relativ dringend sind und kurzfristig durchgeführt werden könnten – und von denen alle Verkehrsteilnehmer profitieren sollen. Dazu gehört die Reparatur von Brücken, die Realisierung von sogenannten Radialstraßenverbindungen in der Hauptstadt , die den Innenstadtbereich besser mit dem Autobahnring vernetzen sollen, gesonderte Busspuren und Priorisierung des ÖPNV an Kreuzungen, eine Ausweitung des Tram- und Metro-Netzes an den Stadtrand Bukarests und deren Ausstattung mit Park&Ride-Systemen, der Ausbau von Radwegen und die Einführung von Fußgänger- bzw. verkehrsberuhigten Zonen im Innenstadtbereich.

Ausbau des Nahverkehrs, Radwege, Pendlerzug

Darauf aufbauend schlägt der Plan zwei Pakete mit unterschiedlichem inhaltlichen Fokus vor, von denen ein gemeinsamer Anteil in jedem Fall realisiert werden sollte, um dann in die eine oder die andere Richtung weiterzumachen. Im ersten Paket geht es um die Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs mit hoher Kapazität, also Straßenbahn, U-Bahn, Zug, und der aktiven Mobilität wie Fahrrad und Fußgänger. Das zweite Paket beinhaltet Maßnahmen, welche die Verbindungen zwischen Bukarest und dem Ilfover Umland stärken sollen. In den gemeinsamen Bereich fällt unter anderem das in Bukarest seit einigen Jahren diskutierte Projekt des „tren metropolitan“, welcher auf den vorhandenen – aber erneuerten – Eisenbahnschienen zirkulieren und insbesondere die Pendler aus dem Umland in die Innenstadt transportieren soll. 

Eine Umsetzung der Pakete „Erneuerung und Reparatur“ sowie „Förderung von Bukarest-Ilfov-Verbindungen“ (zusammen 276 Einzelprojekte) wird bis 2040 empfohlen und kostet rund 25 Mrd. Euro.

Essenziell: Politischer Wille und Bürgerbewusstsein

Doch die Gretchenfrage lautet natürlich: Wieviel von dem, was auf dem Papier gut klingt, wird tatsächlich umgesetzt? Dabei ist zu bedenken, dass im Bereich der Mobilitätsplanung eigentlich alles mit allem zusammenhängt – gut gemeinte Einzelmaßnahmen verpuffen, wenn der Gesamtkontext nicht stimmt. Es muss also ein großer Wurf werden.

Damit dieser gelingt, müssen jenseits der Finanzen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens bedarf es einer sehr ausgeprägten Kommunikation und Zusammenarbeit aller Akteure. Etwas, das aufgrund der Vielzahl schon an sich schwer zu erreichen ist, abgesehen davon, dass es bisher um die Kooperation in der Region wohl nicht zum besten stand, wie aus den Äußerungen verschiedener Beteiligter auf der Veranstaltung herauszuhören war. Zweitens muss das entsprechende Know-How aufgebaut werden, um die Projekte so umzusetzen, dass sie ihren Zweck erfüllen – und nicht etwa wie die Radwege auf dem Gehweg die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer gefährden. 

Drittens muss der politische Wille da sein bzw. durch öffentlichen Druck hervorgerufen werden. Ein Punkt, der von Staatssekretär Scrioșteanu aus dem rumänischen Transportmuseum auf der PMUD-Präsentation unterstrichen wurde. Mit skeptischem Blick auf die nicht allzu hohe Zahl an Teilnehmern, darunter fast ausschließlich Vertreter von Interessensvereinigungen oder NGOs, betonte er die Notwendigkeit, aus der Bevölkerung heraus für die Verkehrswende zu mobilisieren, um die handelnden Akteure zur Umsetzung zu bewegen. 

Doch dies ist keine Einbahnstraße, vielmehr bedarf es eines deutlich stärkeren Aufwands an öffentlicher Kommunikation, um die Bürger für das Thema zu interessieren und sie in der Umsetzung „mitzunehmen“. Wenig hilfreich erscheinen dabei leere Versprechungen, etwa von Nicușor Dan im Wahlkampf vor seiner ersten Amtszeit 2020 oder inszenierte Interventionen, wie die Einbestellung des Bukarester Bürgermeisters durch Premier Marcel Ciolacu wegen Staus zu Beginn des Schuljahres. 

Zielführender wären Erklärungen, warum die Verkehrswende notwendig ist, warum es sich lohnt, bestimmte Einschränkungen in Kauf zu nehmen, und Kampagnen, um die Bürger der Region dazu zu bewegen, auf andere Verkehrsmittel als den eigenen PKW umzusteigen – natürlich gepaart mit einer gesteigerten Attraktivität der Alternativen.

Es handelt sich bei der Frage, wie der Verkehr der Zukunft gestaltet werden soll, nicht zuletzt um eine Gerechtigkeitsfrage. Wie können alle Verkehrsteilnehmer in angemessener Weise daran teilnehmen? Dass in der Region diesbezüglich eine Schieflage entstanden ist, scheint offensichtlich. Ein umfassender und gleichzeitig detaillierter Plan zur Umkehr der Verkehrspyramide liegt nun vor. Hoffen wir, dass er auch in die Tat umgesetzt wird.