Aus der Übersetzerwerkstatt geplaudert

Tribar, lyrischer Versuch, das Unmögliche möglich zu machen

Das Tribar, auch Penrose-Dreieck genannt, ist eine sogenannte „unmögliche Figur“: Es zeigt drei Balken, die jeweils im rechten Winkel zueinander zu stehen scheinen und dennoch zu einem Dreieck verbunden sind.

Betrachtet man ein vermeintliches Tribar von einer anderen Perspektive, wird deutlich, wie die Täuschung zustande kommt. Die Fotos zeigen eine Tribar-Skulptur am Baumwipfelpfad Sankt-Englmar.
Fotos: Wikimedia

Die Übersetzer Alexandr Bulucz und Friederike von Criegern
Foto: die Verfasserin

Beim 42. Erlanger Poetenfest 2022 stand am 26. August die „18. Erlanger Übersetzer:innenwerkstatt“ im Mittelpunkt. Beginn war schon um neun Uhr vormittags, und erst spät am Abend ging sie zu Ende. Gestartet hat die achtzehnte Ausgabe Alexandru Bulucz, der den Deutschlandfunk-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 erhalten hatte, mit seiner Übersetzung des Lyrikbandes „Tribar“ von Andra Rotaru.

Im Saal von „Kreuz+Quer – Haus der Kirche“ zierte das Podium rechts und links jeweils eine Tafel mit Zitaten von Alla Paslawska und Karl Kraus. Zitate, die darauf hinweisen, welcher Schwerpunkt die diesjährige Über-setzer:innenwerkstatt zum Thema hat: Mit dem Zitat „Nur durch das Prisma der Übersetzung lässt sich die Idee einer Nationalliteratur formulieren“ von Alla Palawska eröffnete Moderator Adrian La Silva die diesjährige achtzehnte Erlanger Übersetzer:innenwerkstatt. Denn immer mehr Autor:innen haben mehr als eine sprachliche und kulturelle Heimat. Und diese Mehrfachzugehörigkeit führt zur Entstehung neuer Formen in der Literatur, welche wesentlich durch Übersetzungen, Mehr- und Anderssprachigkeit geprägt sind.

So auch bei Alexandru Bulucz, der in Alba Iulia geboren ist, einen Siebenbürgischen Stiefvater hat, mit 13 Jahren nach Deutschland auswanderte und hier versuchte Fuß zu fassen. Alexandru fühlt sich entwurzelt, damals und heute noch. Er sagt: „das Übersetzen hat mit meiner Demografie zu tun und mit der Emigration als 13-jähriger nach Deutschland“. Denn er übersetzt aus dem Rumänischen ins Deutsche, um die eine Sprache besser zu verstehen, zu schreiben und reden; und die andere, seine rumänische Muttersprache, nicht ganz zerbrechen zu lassen, seine Wurzeln nicht ganz wegzulassen, sondern sie mit zu nehmen, um sich besser zurecht zu finden. Er ist ein „Luftwurzelautor“, weil er versucht, die Heimatlosigkeit zu leben, ihr eine Sprache zu geben, einen Platz in seinem Leben im Hier und Jetzt. Nicht zwischen den Kulturen sondern vielmehr mit und in ihnen leben. So kann er sich nicht nur einem Ort zugehörig fühlen, sondern mehreren.

Während seinem Vortrag zur Übersetzung von „Tribar“ von Andra Rotaru lief auf einer Leinwand das Penrose-Dreieck, genannt Tribar, oder auch das Nicht-Dreieck. Ein unvollkommenes geometrisches Objekt, welches Betrachtende mit der Frage konfrontiert, ob es rechtwinklig ist oder nicht, getrennt oder doch vereint. Die Entfernung zu den Teilen des Tribars und ihre Lage im dargestellten Raum müssen immer wieder neu interpretiert werden. So ist auch der Schmerz, den Rotaru in ihrem Gedichtband verarbeitet. Mal schwer und dunkel, mal hört er auf, um wieder mit voller Wucht zu zuzuschlagen, mal etwas weniger. Eine experimentelle Herangehensweise von unerwarteten Verknüpfung und Zusammenführung von Räumen, Gegenständen und Körpern, mit ungewöhnlichen Sätzen und fragmentarischem Charakter, immer neu definiert – wie bei einem Tribar.

„Es ist eine sehr schwierige Lyrik, sehr technisch geschrieben, was die Übersetzung in die deutsche Sprache komplizierte. Rotaru schreibt in mehreren Dimensionen“, sagte Bulucz. Er liest das Fragment der Kritik vor, welche sich im inneren Buchdeckel befindet. Dann erzählt Bulucz über seine Vorgehensweise bei der Übersetzung dieses Lyrikbandes: Er wollte die „Form“ des Gedichtbandes herausfinden um diese auch möglichst bei der Übersetzung mitnehmen. Sprachspiele will er nicht zulassen, Wortspiele eher, geht aber sehr streng damit um. Die Etymologie, also die Herkunft der Wörter, ist Bulucz sehr wichtig. Alexandru will nicht nur übertragen, sondern übersetzen. Für ihn bedeutet das, den Sinn der Wörter zu kennen, zu erkennen, was die Autorin meint, die Seele des Buches erkunden, den Sinn hinter den Wörtern herausfinden, und nicht nur Synonyme verwenden.

Auch wenn das bedeutet, dass manche Wörter verändert werden. Der Rhythmus und die Atempausen müssen stimmen. Es geht ihm nicht darum, die Sprache zu beherrschen. Bei Rotaru werden Zitate modifiziert, und das hat Bulucz versucht zu übernehmen. Er liest als Beispiele mehrere Zitate vor, und zwar zweisprachig. Zitate vom großen französischen Philosophen Jean-Luc Nancy, den er auch übersetzt hat, und von Andra Rotaru. Anhand der Zitate möchte er  die Bedeutung der Wörter, den Sinn, der dahinter steckt, aufweisen. Auch Hofmannsthal und Kafka werden zitiert. Für Bulucz ist es wichtig, dass die zu übersetzende Literatur ihn anspricht, sie muss ihn packen, ihn berühren und nicht mehr loslassen. Und das ist hier der Fall, er kennt die Doppelseelen. Auch die Seele bekommt bei Rotaru einen Raum. Dieses Zerbrochene, Suchende, neu Zusammenstellen oder einfach Mitnehmen und Akzeptieren des Seins spielt eine große Rolle. Das Buch schreit vor Schmerz! Und es ist dieser Schmerz, den Rotaru versucht zu löschen, auf der Suche nach Wärme, Umarmungen, Nähe.

Dieser lyrische Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, sowohl bei Rotaru als auch beim Übersetzer Bulucz  ist ein schwieriges Unterfangen, wenn der Ausgangspunkt ein Nicht-Dreieck ist. Denn in „Tribar“ findet man bei manchen Textstellen die Diplopie, die Wahrnehmung von literarischen Doppelbildern. Ein Schwierigkeitsgrad, den Bulucz, aber auch andere „Luftwurzelautoren“ immer wieder bei Übersetzungen finden. Zitate können da helfen.


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