Back to the roots

Lois Maag aus Amerika erzählt ihre Familiengeschichte

Ein Schulfoto mit Lehrer Anton Miltonburger aus dem Jahr 1928. Elizabeth (2. R. v. o., 4. v. l.) war damals 16.

Ein Foto aus alten Zeiten (etwa 1917): Anna und Elizabeth

Ein besonderes Erlebnis waren 2009 die Kühe, die von der Weide wieder nach Hause zurückkamen.

Lois Maag neben dem Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen in Josefsdorf | Fotos: Privatarchiv Lois Maag

Ein Foto, ein Buch mit einer Unterschrift, ein Korb aus Holz. Es gibt so Dinge, die Entfernungen von Zehntausenden von Kilometern im Nu schrumpfen lassen. Es reicht, sie anzuschauen, und schon ist man woanders, im „alten Land“, im „old country“, zum Beispiel, wie Elizabeth immer zu sagen pflegte. Sie meinte damit Rumänien, genauer: das Banat. Elizabeth war 16, als sie das Banat verließ, um 1929 in die USA zu ziehen, ihrer Mutter Anna folgend, die bereits ungefähr zwei Jahre zuvor dort Fuß gefasst hatte. Die Geschichte ihrer Auswanderung erzählt nun ihre Tochter Lois Maag. Elizabeth starb am 5. Dezember 2006. Die Erinnerungen an das Leben in der „alten Heimat“ leben dank ihrer Tochter weiter.

Für Lois Maag, die in den Vereinigten Staaten zur Welt kam, ist die Verbindung zu den Wurzeln wichtig. Eine besondere Beziehung hat sie zur Römisch-Katholischen Diözese Temeswar entwickelt – sie spendet jährlich Geld für die Kirche in Josefsdorf/Iosifalău, im Kreis Temesch, wo ihre Mutter ihre Kindheit verbracht hat, schickt Wünsche an den Feiertagen. Ihre Freundlichkeit und das gute Herz sind immer wieder zwischen den E-Mail-Zeilen zu lesen. Vor einigen Jahren besuchte sie mit ihrem Mann, ihrer Tochter Alecia und deren Mann Scott das Banat. Bevor ihre Mutter Elizabeth starb, hatte sie sich stundenlang mit ihr über ihre Kindheit und Jugend in der „alten Heimat“ unterhalten. Die Aufnahmen hat sie natürlich aufgehoben. „Sie sind so wertvoll, und nun umso mehr, als wir selbst dort gewesen sind. Der Kreis hat sich geschlossen“, sagt Lois heute.

Die Geschichte ihrer Familie ist eigentlich die einer Banater deutschen Familie der Zwischenkriegszeit. Ihre Großmutter, Anna Weissmüller, heiratete Valentin Stefan und lebte in Giseladorf. Sie hatten ein einziges Kind: Elizabeth (ursprünglich vermutlich Elisabeth), die am 20. Oktober 1914 zur Welt kam. Als Elizabeth etwa 8 Monate alt war, zog ihr Vater in den Krieg und kam nie wieder zurück. Elizabeth hatte lediglich zwei Fotos von ihm. Mutter und Tochter zogen zu den Eltern der Mutter nach Josefsdorf, wo Elizabeth aufwuchs. Als Elizabeth 14 war, heiratete ihre Mutter einen Jugendfreund, Joe Maurer, der bereits in den USA lebte. Er kehrte dafür nach Rumänien zurück und die beiden heirateten in Bukarest. Anna verließ Rumänien am 6. April 1928, ihre Tochter Elizabeth kam etwa anderthalb Jahre später nach.

In der Stadt South St. Paul, in Minnesota, ging es der Familie gut. Joe war Hausbauer und baute einige Häuser in der Stadt, die Familie eröffnete bald auch einen Lebensmittelladen, Maurer´s Food Market. „Anna wollte nach Amerika kommen, um Elizabeth und sich selbst ein besseres Leben zu ermöglichen. Elizabeth wollte nie wieder zurückkehren. Sie mochte die Landwirtschaft nicht, sie vermisste nichts von der alten Heimat“, erzählt ihre Tochter Lois. Sowohl Anna, als auch Elizabeth lernten Englisch in der neuen Heimat. „Beide lebten sich gut in ihrem neuen Land ein, hatten viele Freunde und engagierten sich in der katholischen Kirche in South St. Paul. Elizabeths erste Vollzeitstelle war in einer Bekleidungsfabrik, wo sie ihre in Josefsdorf erlernten Nähkenntnisse einsetzte“, erzählt Lois. Ihre Großmutter Anna arbeitete als Babysitterin. Lois erinnert sich, dass ihre Mutter manchmal Deutsch mit ihrer Großmutter sprach, damit sie und ihre Schwester sie nicht verstehen können. Auch sonst wurden Briefe nach Rumänien auf Deutsch geschrieben.

Im Jahr 2009, drei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter Elizabeth, begab sich Lois auf eine Reise „back to the roots“, zurück zu den Wurzeln. Zusammen mit ihrem Mann Gary, ihrer Tochter Alecia und deren Mann Scott flogen sie über den Ozean nach Europa, genauer, ins Banat, um Josefsdorf und Giseladorf, die sie nur aus Erzählungen kannten, kennenzulernen.

„Viele Dinge waren genauso, wie ich sie erwartet hatte. Die Schotterstraßen, die weiß getünchten Häuser mit Holzzäunen und ein paar herumlaufenden Hühner. Ich erkannte das alte Schulgebäude und die neue Kirche, das Kriegerdenkmal und den Turm in der Dorfmitte, der einst der Glockenstuhl war. Es war, als wäre ich zu Hause!“, erinnert sich Lois Maag. Das Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die Gefallenen im Ersten Weltkrieg, das vor der Schule in Josefsdorf steht, konnte auch dank des Einsatzes von Elizabeths Lieblingslehrer Anton Miltonburger aufgestellt werden. „Er bat meine Mutter, ein besonderes Gedicht anlässlich der Enthüllung vorzutragen“, sagt Lois. Als Elizabeth vor der Abreise nach Amerika stand, gab ihr der Lehrer das Buch „Quo Vadis“, das er signiert hatte. Und sagte zu ihr: „Erinnere dich stets daran, dass die Schuljahre deine besten Jahre gewesen sind“. Das Buch hat Lois bis heute bewahrt.

Die Verbindungen der Familie zur Römisch-Katholischen Kirche waren immer tief gewesen. Elizabeth ging jeden Morgen zur Kirche und betete den Rosenkranz. Ihre Mutter Anna schenkte der Kirche in Josefsdorf Wein aus Eigenproduktion, aber auch eine Engels- und eine Hl. Antonsstatue. Für die Antonstatue hatte Elizabeth einen kleinen Stoffteppich bestickt. 2009 besuchte die Familie auch die Kirche in Josefsdorf – sie gehört heute zur Pfarrei Rekasch. Ein Schullehrer ließ sie hinein. „Wie wunderbar es war, den Altar, die Kirchenbänke und die Statuen zu sehen und den Gang hinunterzugehen“, schwärmt Lois. Auch ein Friedhofsbesuch stand auf dem Programm – Elizabeth hatte erzählt, dass sie sich mit Vorliebe um die Gräber gekümmert hatte, auch wenn sie die Verstorbenen nicht gekannt hatte. Philip Weissmüller, Elizabeths Opa (Elizabeth war acht, als er verstarb), ein Mann mit weißem Schnurrbart – so die Erinnerungen Elizabeths – liegt wahrscheinlich dort begraben, doch sein Grab konnte die Familie nicht finden. „Eines der rührendsten Erlebnisse war der Anblick des Friedhofs, der Gang durch die Tore und der Spaziergang zwischen den wunderschönen Grabsteinen. Und daran zu denken, dass meine Mutter einst dieselben Pfade gegangen ist“, sagt Lois Maag.

Auch das Haus ihrer Mutter und der Großeltern konnte Lois in Josefsdorf betreten. Die heutigen Bewohner waren offen und ließen die Besucher aus Amerika hinein. Elizabeth hatte ihrer Tochter oft von ihrer Kindheit dort erzählt. Elektrizität gab es nicht, Licht wurde durch Verbrennen mit Kerosin oder einer Schüssel Fett erzeugt. Es gab kein Telefon und kein fließendes Wasser, man wusch sich in einer Ecke in der Küche. Es gab einen Herd, auf dem alles gekocht wurde. Der untere Teil des Herdes war fürs Kochen und der obere Teil zum Backen. Über der Mitte des Herdes befand sich ein offener Schornstein, in dem Fleisch zum Räuchern aufgehängt wurde.

Der Herd diente im Winter auch als Heizung. Auf dem Küchenboden wurde ein großer Haufen Stroh aufbewahrt, um es im Ofen zu verbrennen. „Elizabeth half dabei, abends ein kleines Bündel Stroh in den Ofen zu legen und tat das Gleiche wieder am Morgen. Sie half auch dabei, das Innere des Ofens mit Erde zu reparieren“. Auch trockener Kuhmist wurde verbrannt. „Wenn man welchen am Wegesrand fand, hob man ihn einfach auf und brachte ihn mit nach Hause“, zitiert Lois ihre Mutter Elizabeth. Abends konnte die aus Amerika angereiste Familie in Josefsdorf auch noch erleben, wie die Kühe von der Weide wieder nach Hause zurückkehrten. Auch Elizabeths Familie hatte eine Kuh gehabt – die Rosa. „Alecia war so entzückt, das zu erleben, wovon man ihr seit Jahren erzählt hatte. Wir alle vier hatten das Privileg, mit den Kühen auf ihrem Weg nach Hause zu gehen“, berichtet Lois von dem Erlebnis, über das sie noch lange Zeit untereinander sprachen.

Die Arbeit war hart in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Lois´ Großmutter Anna arbeitete auch für andere, erledigte Feldarbeit. „Sie hackte die Maisfelder mit der Hand, half beim Anbinden der Weinreben im Frühjahr und trug einen Rucksack, um die Reben zu besprühen“, erzählt Lois. Im Winter war ihre Oma als Schneiderin tätig und brachte den Mädchen in der Stadt das Nähen bei. Sie nähte Herren- und Damenbekleidung sowie Brautkleider. Ihre Mutter Elizabeth bestickte die Kleider, denn sie hatte das Sticken von einer Frau, die jeden Sommer nach Josefsdorf kam, gelernt. „Anna arbeitete auch als Köchin für die Steinbrucharbeiter, die Kriegsgefangene waren. Einer der Gefangenen fertigte für Elizabeth ein Perlenarmband mit der Jahreszahl 1914 darauf. Ich habe das Armband immer noch“, sagt Lois.

Das Leben im Banat war aber nicht nur schwer gewesen, sondern auch schön. Das bezeugen die zahlreichen Kindheits- und Jugenderinnerungen, die Elizabeth ihrer Tochter Lois in stundenlangen Gesprächen geschildert hat. So auch jene über Ostern und Weihnachten, zwei wichtige Feiertage im Leben der katholischen deutschen Familie. Die Geschenke waren spärlich, doch die Freude der Kinder war groß. Elizabeths zwei Puppen standen in der Vitrine, sie durfte sie nur bewundern, nicht anfassen. Der Christbaum war mit Popcorn und harter, in Stanniol gehüllter Schokolade dekoriert.

Lois´ Familie hält die Erinnerungen an die Zeiten ihrer Vorfahren im Banat wach. Ihre Tochter Alecia hat mittlerweile selbst zwei Töchter, deren Namen ebenfalls an die „Wurzeln“ erinnern. Man kann nur hoffen, dass die beiden Mädchen Alarica Marie und Timisoara Elizabeth vielleicht auch irgendwann mal nach Rumänien reisen – auf den Spuren ihrer Ur-Großeltern, Banater Deutschen, die in der Zeit um den Ersten Weltkrieg in Josefsdorf gelebt und Deutsch gesprochen haben.