Banater Kompositionen bekommen zweite Chance

ADZ-Gespräch mit Dirigenten und Musikforscher Andreas Schein aus Temeswar

Beim Dragobete-Konzert mit dem Schülerorchester des Ion-Vidu-Kunstkollegs gab es Emmerich Kálmáns „Grand Palotás de la Reine“ aus der Operette „Der Teufelsreiter“ und das Potpourri aus „Die Herzogin von Chicago“, sowie die Ouvertüre zu Franz Lehárs „Die Csárdásfürstin“, die Andreas Schein als Rumänien-Erstaufführungen im Neusentescher Neujahrskonzert eingebettet hatte.
oto: privat

Johann Michael Haydn, geboren 1737 in Rohrau, Erzherzogtum Österreich; gestorben 1806 in Salzburg

Der Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz an der Orgel des Hohen Doms zu Temeswar
Foto: Zoltán Pázmány

Das Buch ist 140 Seiten lang, hat ein Vorwort von dem Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz und ist in einer kleinen Auflage von 100 Exemplaren erschienen.

Der junge Musiker Andreas Schein hat vor Kurzem, mit 24 Jahren, sein erstes Buch im Bereich der Musikwissenschaft veröffentlicht. Es heißt „Johann Michael Haydn – Missa in Honorem Sanctissimae Trinitatis. O contribu]ie la istoria muzicii sacre din Banat“ (Zu Deutsch: Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenmusik im Banat). Das Buch in rumänischer Sprache ist beim Münchner Verlag Edition Musik Südost in einer kleinen Auflage erschienen. Es handelt sich um die Diplomarbeit des Dirigenten und Orchesterlehrers am Temeswarer Ion-Vidu-Kunstkolleg. Er leitet zudem sein eigenes Salonorchester Újszentes in Neusen-tesch/Dumbrăvița und ist ebenda Kapellmeister bei der reformierten Kirche. Über seine Arbeit und sein Bestreben, Banater Komponisten, aber auch solche  mit Banater Bezug aus der Vergessenheit zu retten, sprach mit ihm ADZ-Redakteurin Astrid Weisz.

Wie kam es dazu, dass Sie diese Abhandlung als Buch veröffentlicht haben?

Ich muss darauf hinweisen, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um meine Diplomarbeit handelt. Ich habe sie zum Abschluss meines Magisters an der Fakultät für Musik und Theaterwissenschaften an der Temeswarer West-Universität geschrieben und sie nun in ein Buch umgewandelt. Gewidmet habe ich es dem Banater Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz, der mich sehr unterstützt und fördert, besonders durch das Südosteuropäische Musikarchiv München, und der bei seinem Verlag Edition Musik Südost in München das Buch auch gedruckt hat.

Er war es auch, der mich auf diese Messe aufmerksam gemacht hat: Er erzählte mir, dass er diese Komposition vor mehr als zwanzig Jahren im Temeswarer Dom aufgeführt hat und gab mir auch die Audio-Aufnahme von damals. Ich habe mir die Partitur besorgt, und die Messe begeisterte mich sofort, weil Michael Haydn, ein Bruder des viel bekannteren Joseph Haydn, ein fast in Vergessenheit geratener Komponist ist, obwohl er meines Erachtens sehr wertvolle Stücke geschrieben hat. Das Besondere an dieser Messe ist neben der Technik und Orchestration, dass sie für Temeswar geschrieben wurde, zur Konsekrierung der Domkirche 1754. Ich fand die Klangfarben sehr interessant für die Zeit, in der das Werk geschrieben wurde und ich habe mich im zweiten Kapitel des Buches besonders mit der Orchestration und dem Aufbau der Messe beschäftigt.

Wie oft wird diese Messe oder werden Teile daraus aufgeführt?

Allgemein sind die Werke von Johann Michael Haydn, wie ich finde zu Unrecht, sehr selten zu hören und das ist schade. Ich selbst habe vor zwei Jahren eine Messe von ihm aufgeführt, es war das erste Konzert nach dem harten Lockdown: Die Missa Sancti Gabrielis, die er in Großwardein/Oradea geschrieben hat, während er dort Kapellmeister war.

Das ist Opus 16 von Michael Haydn, die Missa in diesem Buch war sein Opus 1. Seine Werke haben ein gutes Potenzial aufgeführt zu werden, denn sie sind nicht schlechter als die seines Bruders und ich möchte darauf hinweisen, dass selbst Mozart gesagt haben soll, Michael Haydn sei ein besser Komponist für geistliche Musik als er.

Wie kam es, dass er sein erstes Werk Temeswar gewidmet hat?

Zu jener Zeit war Graf Franz Anton Engl von Wagrain Bischof in Temeswar. Er hatte die Haydn-Brüder als Chorsänger des Stephansdoms in Wien kennengelernt. Der Bau des Doms zu Temeswar hatte so viel Geld aufgebraucht, dass das Beauftragen eines berühmten Komponisten zu kostspielig gewesen wäre. Da Graf Engel das Potential des jüngeren Bruders erkannte, bat er den damals 16-Jährigen um eine Messe für die Weihe der neue Domkirche im Banat. So kam es zu diesem Erstlingswerk, das den Stil des Komponisten bereits gut zu erkennen gab.

Wodurch heben sich Michael Haydns kirchenmusikalische Werke von jenen seiner Zeitgenossen ab?

Die Orchestration ist jener von Leopold Mozart oder seines Sohnes Wolfgang Amadeus sehr ähnlich. Typisch für die Zeit war es, dass das Streicherkompartiment nur zwei Geigen und ein Basso continuo (Generalbass) eingesetzt wurden, also ein Cello, Kontrabass, Cembalo, Fagott und/oder Orgel. Michael Haydn bringt hier er jedoch die Bratsche mit ins Spiel. Das Wiener Kirchentrio (die Besetzungsform im späten Barock bis zur Wiener Klassik) hat er quasi abgelegt und sich für ein volles Streichquartett entschieden. Hinzu kamen zwei Trompeten und Pauken, die typisch für die festlichen Messen jener Zeit sind. Bei der Chorbesetzung muss gesagt werden, dass die Stimmen gar nicht leicht sind: Es gibt Fugen, Doppelfugen, Soloteile, Duette und Trios.

Wie ist das Buch über diese Messe aufgebaut?

Die Struktur des Buches ist so, dass ich im ersten Teil die Biografie des Komponisten nacherzählt habe, zumal er so wenig bekannt ist – auch wenn er fast 800 kirchenmusikalische Werke hinterlassen hat. Sehr wenige Daten gibt es gerade über seine erste Schaffensperiode, also aus seiner Studienzeit, und dann aus der Zeit, die er in unserer Region gewirkt hat. Diese wollte ich ein bisschen ins Licht rücken.

Im zweiten Kapitel habe ich über die Tradition der kirchlichen Musik im Österreich des 18. Jahrhunderts geschrieben, die verschiedenen Arten von Messen: Missa Brevis, Missa Solemnis und die Mischform Missa Brevis et Solemnis. Im dritten Teil, dem umfangreichsten, geht es dann nur um die Messe, die ich einer besonderen Analyse unterzogen habe, und zwar nach den Paradigmen des österreichischen Musiktheoretikers Heinrich Schenker und des deutschen Hugo Riemann. Schenker besagt, dass ein ganzes musikalisches Werk auf zwei oder drei Noten fußt.

In den abschließenden Schlussfolgerungen der Arbeit ist dann in zehn Punkten zusammengefasst, weshalb die Beschäftigung mit der Musikgeschichte des Banats wichtig ist und welchen bedeutenden Beitrag sie für die Kirchenmusik geleistet hat, sowie dass das weitere Forschen in rumänischen Archiven sich wegen des verschwundenen Materials schwierig gestaltet. Bezüglich des Werks habe ich festgestellt, dass sich wahrscheinlich in einer umfangreicheren Analyse auch eine sogenannte „Urlinie“ entdecken ließe, und ich habe auch aufgezeigt, dass es sehr wohl eine enge Verbindung zwischen Text und Klangfarbe bei dieser Festmesse gibt.

Da es sich um meine Diplomarbeit handelt, die ich in rumänischer Sprache verfasst habe, war es nur der erste Schritt, das Buch ebenfalls auf Rumänisch zu veröffentlichen. Es ist sehr wohl angedacht, auch eine deutsche Fassung zu erarbeiten, wobei ich sehr auf die Zusammenarbeit dafür mit Dr. Franz Metz hoffe.

Was sind Ihre aktuellen musikalischen Projekte?

Als Orchesterleiter bin ich am Ion-Vidu-Kunstkolleg für das Schülerorchester zuständig und leite als Kapellmeister Chor und Orchester der reformierten Kirche in Neusentesch/Dumbrăvița. Mit beiden Ensembles habe ich bereits mehrere Erstaufführungen von Banater Komponisten oder hier weniger bekannten Werken berühmter Komponisten aufgeführt und setze das auch in nächster Zukunft fort.

So arbeite ich mit den Schülern gerade an einer Ouvertüre von Rossini, die in Rumänien noch gar nicht gespielt wurde: Sinfonia al Conventello. Ich organisiere so oft ich kann kirchenmusikalische und weltliche Konzerte mit Werken von Johann Strauß, Franz Lehár, Emmerich Kálmán und anderen.

Im Timișoara-Muzical²-Festival werden wir im Mai ebenfalls von Rossini das Tantum Ergo spielen, ein geistliches Werk, das wie eine Opernarie mit geistlichem Text ist, und noch ein Fagott-Konzert, das ebenfalls wie die beiden anderen Rossini-Stücke in Rumänien noch nicht aufgeführt wurden.

Außerdem gibt es im Südosteuropäischen Musikarchiv in München von Dr. Franz Metz eine umfangreiche Sammlung von Werken Banater Komponisten oder von solchen, die im Banat geschrieben wurden, die recht selten gespielt werden. Es handelt sich meines Erachtens um Werke, die teilweise einem Schubert, Mozart oder Rossini sogar überlegen sind. So habe ich vor, und ich arbeite bereits daran, das Manuskript der komischen Oper in zwei Akten „Der Dorfbarbier“ von Wilhelm Franz Speer zu digitalisieren und das Werk im nächsten Jahr in konzertanter Form oder sogar mit Regie auf der Bühne in Temeswar aufzuführen.