Begegnungen von Menschen im gemeinsamen Europa

Freundschaft zwischen Karlsruhe und Temeswar währt seit über 30 Jahren

Frank Mentrup, Oberbürgermeister von Karlsruhe

Ein Karlsruher Beitrag zum Temeswarer Kulturhauptstadtjahr: die Videoinstallation „Ballet of The Cities“ von Jonas Denzel auf der U-Kaserne Foto: TM2023

Anlässlich der 20-jährigen Städtepartnerschaft wurde der Karlsruhe-Park im Temeswarer Studentenviertel eingeweiht. Auch in Karlsruhe gibt es seit 1992 einen Temeswar-Platz. Fotos: Zoltán Pázmány

Es war unmittelbar nach der Wende 1989, als die ersten Hilfstransporte aus Deutschland in Temeswar/Timișoara, der Stadt, in der die rumänische Revolution begonnen hatte, ankamen. Damals ging es in erster Linie darum, der verarmten Bevölkerung unter die Arme zu greifen, denn im Land der Gegensätze hatten es nicht nur die marginalisierten Gruppen schwer, sondern alle Menschen, die die Versorgungsengpässe der Kommunisten erdulden mussten. Das westrumänische Temeswar war die erste Stadt, in der die Hilfstransporte aus Deutschland Halt machten, um entweder vor Ort verteilt zu werden, oder weiter Richtung Osten zu fahren. In Temeswar wurden damals auch die ersten Freundschaften geknüpft – jene der Temeswarer mit den Menschen, die die Hilfstransporte gebracht hatten. Später wurden aus den rein menschlichen Freundschaften auf Verwaltungsebene besiegelte Partnerschaften. Eine der längsten Städtepartnerschaften, die Temeswar pflegt, ist jene mit der Stadt Karlsruhe in Baden-Württemberg, Deutschland. Aus der seit 1992 bestehenden Städtefreundschaft wurde fünf Jahre später eine offizielle Städtepartnerschaft, die bis heute aktiv ist.   

„Wichtig ist, dass in beiden Verwaltungen die Strukturen geschaffen sind, dass man in Kontakt bleibt. Aber am allerwichtigsten ist, dass es nicht nur eine offizielle Freundschaft zwischen Verwaltungen oder den Oberbürgermeistern ist, sondern auch ganz viele Bürgerinnen und Bürger und andere Institutionen dieser Stadt sich an dieser Freundschaft beteiligen. Das war hier, in Temeswar, über die mehr als 30 Jahre immer der Fall“, betonte der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup. Es ist etwa einen Monat her, seitdem der Oberbürgermeister mit einer deutschen Delegation der Partnerstadt einen Besuch abgestattet hat. Den Rahmen dafür bot die offizielle Eröffnung des Europäischen Kulturhauptstadtjahres, doch die Freunde aus Karlsruhe nutzten die Gelegenheit, auch eine umfangreiche Bücherspende für die „Nikolaus Lenau“-Schule zu bringen. Bücherspenden von mehreren Karlsruher Schulen wurden nach Temeswar geliefert – sowohl Literatur als auch Fachbücher der Naturwissenschaften waren dabei. Eine Partnerschaft zwischen Temeswars bedeutendster deutscher Schule und dem Markgrafen-Gymnasium, dem ältesten Gymnasium in Karlsruhe, wird angestrebt. „Wenn ich zurückblicke, dann ist der Kontakt zum Nikolaus-Lenau-Lyzeum die größte Konstante dieser Partnerschaft gewesen“, sagte Frank Mentrup bei der offiziellen Bücherübergabe in der Eingangshalle der Nikolaus-Lenau-Schule. Auch auf Universitätsebene bestehen seit vielen Jahren enge Kontakte. So lief jahrelang erfolgreich das ProKaTim-Projekt zwischen der Hochschule Karlsruhe (HKA) und der TU Politehnica, und aktuell das Doppelabschluss-Programm „Rechnungswesen und Wirtschaftsinformatik“ zwischen der Wirtschaftsfakultät der West-Universität Temeswar und der HKA. 

 „Im Laufe der Jahre gab es beispielsweise Kontakte zwischen Schulen in  Karlsruhe und dem Nikolaus-Lenau-Lyzeum, es gibt Kontakte zwischen den Organisationen der freischaffenden Künstlerinnen und Künstler, es gab Projekte zwischen den Theatern, den Jugendorchestern der Stadt und es gibt in Karlsruhe den Freundeskreis Karlsruhe-Temeswar, der Bürgerreisen nach Temeswar organisiert, damit Bürge-rinnen und Bürger, die nicht in Vereinen engagiert sind, die Chance haben, sich mal die Partnerstadt anzuschauen“, informierte der Karlsruher Oberbürgermeister. Die aufgrund von Personalstreiks gestrichenen Flüge machten die Reise der Karlsruher nach Temeswar Mitte Februar etwas abenteuerlich. Trotzdem konnte der Oberbürgermeister im Flugzeug einige Karlsruher treffen, die es privat nach Temeswar anlässlich der Eröffnung des Europäischen Kulturhauptstadtjahres gezogen hatte. Teilweise weilten diese sogar eine Woche in der Stadt an der Bega. „Da merkt man, dass das funktioniert hat, und dass das jetzt tatsächlich ein Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern ist“, sagte Frank Mentrup. Die 15-köpfige Delegation aus Karlsruhe war die größte, die seitens einer Partnerstadt von Temeswar zu den Eröffnungsfeierlichkeiten des Europäischen Kulturhauptstadtjahres gereist war. Das Kulturhauptstadtprogramm soll das ganze Jahr über in Karlsruhe bekannt gemacht werden, so der Oberbürgermeister. 

Anlässlich der Feierlichkeiten Mitte Februar konnten Temeswarer und Touristen den Aufritt des Medienkünstlers Jonas Denzel aus Karlsruhe verfolgen. Im Rahmen des Eröffnungswochenendes war die Videoinstallation „Ballet of The Cities“ im öffentlichen Stadtraum von Temeswar zu sehen. An drei aufeinanderfolgenden Abenden konnte nach Einbruch der Dunkelheit der Medienkünstler mit Hilfe seines „Beam-bike“, einem mit mobiler Projektionstechnik ausgestatteten E-Lastenfahrrad, mehrere historische Gebäude mit unterschiedlichen Choreographien künstlerisch in Szene setzen. Das Projekt „Ballet of the City“, im Rahmen des Programms, das Karlsruhe als „Unesco Creative City of Media Arts“ entwickelt hatte, entstanden, wurde erstmals im Frühjahr 2022 in Karlsruhe vorgestellt. Dieser Titel wurde Karlsruhe 2019 verliehen – als erste Stadt in Deutschland, die diesen Titel tragen durfte. Die Projektionen Denzels in Temeswar ließen die Altbauten zu neuem Leben erwachen – seine Tänzerinnen und Tänzer boten ganz besondere choreographische Momente auf der Oper, der U-Kaserne (auch Franz-Joseph-Kaserne, ehemalige Kadettenschule) u.a. Gebäuden in der Innenstadt. 

Die Partnerschaft zwischen Temeswar und Karlsruhe ist auch für die Bürge-rinnen und Bürger von Karlsruhe von Bedeutung. „Man muss ja wissen, dass in der Stadt selbst und in der Umgebung von Karlsruhe Banater Schwaben leben, die im Laufe der letzten Jahrzehnte nach Deutschland gekommen sind. Es ist ein Stück weit, dieses als gemeinsame Heimat begreifen, was es für Karlsruhe so bedeutsam macht. Ich spüre immer die Dankbarkeit der Karlsruher mit Banater Wurzeln, dass wir uns als Stadt für ihre Vergangenheit und ihre Herkunft interessieren“, sagte der Oberbürgermeister. Und weiter: „Es gab Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, da war jeder vierte, der in Karlsruhe lebte, jemand, der von anderswo her im Zuge des Zweiten Weltkriegs gekommen war. Aus dem Grund muss sich eine Großstadt wie Karlsruhe, die aus ganz vielen Menschen zusammengesetzt ist, die von überall herkommen, mit der Herkunft der Menschen beschäftigen, die ihre Stadtgesellschaft ausmachen. Das ganze bekommt eine besondere Bedeutung durch die europäische Einigung, sodass es für die Karlsruher wichtig ist, mehr über andere Regionen in Europa zu erfahren und dadurch auch mehr Verantwortung zu übernehmen für Europa; die gemeinsamen kulturellen Wurzeln, aber auch die Unterschiede zu erleben und damit einfach den Horizont zu erweitern. Das tut den Karlsruherinnen und Karlsruhern gut“, sagte Oberbürgermeister Mentrup. 

Gelebte kulturelle Vielfalt ist in Temeswar und im Banat seit Jahrhunderten Realität. Das überrascht manch einen Westeuropäer, der zum ersten Mal nach Westrumänien reist. „Für uns in Deutschland Geborene ist es natürlich faszinierend, wie im Banat mit den verschiedenen Sprachen umgegangen wird, mit den verschiedenen Minderheiten, wie im Rahmen des Europäischen Kulturhauptstadtprogramms versucht wird, das alles einzubinden“, sagte Frank Mentrup.

Der Freundeskreis Karlsruhe-Temeswar besteht seit 1993. Ziele des Vereins sind die Förderung des Jugendaustausches zwischen den beiden Partnerstädten, aber auch die Herstellung von Kontakten zwischen (Kultur-) Institutionen, die Pflege von Kooperationen auf Wirtschaftsebene, der Austausch von Wissenschaft und Kunst sowie die Veranstaltung von Bürgerreisen in die Partnerstadt Temeswar. Am 4. April findet die Jahreshauptversammlung des Freundeskreises Karlsruhe-Temeswar statt. Die Vorsitzende des Vereins, Alexandra Ries, seit 2004 Ortsvorsteherin des Karlsruher Stadtteils Durlach, begleitete die Karlsruher Delegation nach Temeswar. „Damit sich eine solche Partnerschaft nicht auflöst, bedarf es der Begegnung von Menschen in einem gemeinsamen Europa. Wir versuchen, den Austausch zwischen den Menschen herbeizuführen“, sagte sie. Der Freundeskreis Karlsruhe-Temeswar schreibt auch in diesem Jahr eine Bürgerreise aus, damit die Karlsruher etwas von dem Temeswarer Kulturhauptstadtjahr miterleben dürfen. Das Image Rumäniens in Deutschland habe sich sehr verändert, findet Alexandra Ries. „Jeder, der aus Karlsruhe nach Temeswar kommt, der erlebt hier ein Bild und er erzählt es auch in der Stadt weiter. Es ist wichtig, dass man herkommt, dass man sich begegnet, kennenlernt, dass man erlebt, wie es heute ist und dadurch das richtige Bild vermittelt“, sagte die Vorsitzende des Freundeskreises Karlsruhe-Temeswar. Das Interesse der Karlsruher, nach Temeswar zu reisen, sei riesengroß, so Alexandra Ries. 

Dass sich die Europäische Kulturhauptstadt über Touristen freut, das hebt seit seinem Amtsantritt auch der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz hervor. Umso mehr freut man sich in Temeswar über langjährige Partner und Freunde, die auch in diesem Jahr den Weg nach  Rumänien finden. Ob die Familie Karlsruhe-Temeswar näher zusammengerückt sei, nachdem die Stadt nun einen bundesdeutschen Bürgermeister hat? „Ich erlebte Dominic Fritz in Temeswar nicht als Deutschen, sondern als Europäer. Und von daher ist es natürlich leichter, weil ich mit ihm auf Deutsch reden kann, es ist aber auch leichter, weil er im Herzen ein großer Europäer ist und das macht natürlich diese Zusammenarbeit nochmals sehr viel einfacher“, antwortet der Oberbürgermeister von Karlsruhe. Frank Mentrup selbst nimmt sich vor, sollte es sein voller Terminkalender erlauben, in diesem Jahr nach Temeswar zurückzukehren, um sich den einen oder anderen Programmpunkt der Europäischen Kulturhauptstadt anzuschauen.