Das Banat als Raum der Dichtung

Zur jüngsten Tagung am „Heiligenhof“ von Bad Kissingen über Banater Literatur

Ein Gruppenbild mit fast allen Teilnehmenden der Tagung in Bad Kissingen Foto: privat

Das Kulturwerk der Banater Schwaben e.V. (als finanzieller Förderer) und die Akademie Mittel-europa e.V. als Logistik- und Austragungsort veranstalteten in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ im bayerischen, am Rande der Rhön gelegenen Bad Kissingen zwischen dem 14. und 16. April ein Literaturseminar, das der Banater deutschen Literatur gewidmet war. Prof. Dr. Anton Sterbling und der Studienleiter des „Heiligenhofs“, Gustav Binder, hatten die zur Tradition tendierende Frühjahrstagung 2023 unter das Motto gestellt: „Das Banat und andere imaginäre Räume der Dichtung“. 

Dem Ruf der beiden mit-einander gut harmonierenden guten Geister der Veranstaltung waren mehr als drei Dutzend Interessenten – die Vortragenden mit eingeschlossen – gefolgt, unter ihnen auch vier der Gründungsmitglieder der ehemaligen „Aktionsgruppe Banat“, Anton Sterbling, Johann Lippet, Albert Bohn und der Unterzeichner dieses Berichts; aber auch einige dem Schriftstellerkreis von 1972-1975 Nahestehende: Horst Samson, Ilse Hehn, Traian Pop Traian, auch der kurzfristig am Kommen verhinderte Hellmut Seiler, der allerdings ein Dutzend Gedichte sandte, die vorgelesen wurden. Leider musste auch der wiedergewählte Vorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber, seine Teilnahme absagen, da zur gleichen Zeit im französischen Lunéville eine Begegnung der ehemaligen im Banat angesiedelten Lothringer und Elsässer stattfand, die nach dem zweiten Weltkrieg und ihrer Flucht bis Österreich aufgrund der zu ihren Gunsten verlaufenen Verhandlungen mit Robert Schuman sich erneut in Frankreich ansiedeln konnten (in einem Antwortbrief Schumans auf ein vom Rücksiedlungsinitiator Lamesfeld in einer Trachtenpuppe nach Frankreich geschmuggeltes Schreiben heißt es: „Ich als Lothringer kenne die Geschichte der Banater, und ich werde dafür sorgen, dass sie – meine Banater Landsleute – eine neue Heimat in Frankreich finden.“ 

Und da Peter-Dietmar Leber – ein Landsmann des damaligen Banater Verhandlungsführers Jean/Johann Lamesfeld, dessen aus Blumenthal stammende Familie, wie die Familie Lebers, in Großsanktnikolaus lebte – ab 2005 die Öffentlichkeit in mehreren Berichten über diese Vorgänge in Kenntnis gesetzt hatte, musste er Prioritäten setzen und nach Frankreich fahren. Übrigens: Die aus Kubin, Homolitz und Ploschitz im heute serbischen Banat, aus Brestowatz und Tschawosch, aus Temeswar und Kleinbetschkerek, aus Sackelhausen, Lenauheim und Großsanktnikolaus stammenden Banater Schwaben ließen sich 1949/50 im von den französischen Behörden ihnen zugewiesenen Bergdorf La Roque-sur-Pernes in der Provence (Département Vaucluse) nieder, nachdem es in Colmar ein großes Begrüßungsfest für die „Heimkehrer“ gegeben hatte. Diese Banater Um- und Rücksiedlung ist ein besonderer Aspekt der Flucht der Banater Schwaben vom Herbst 1944 vor der anrückenden Roten Armee, dessen 80-jähriges Jubiläum im kommenden Jahr begangen werden könnten.

Auf der Tagung in Bad Kissingen ging man nur gelegentlich und in Pausengesprächen auf derartige Aspekte der jüngsten Banater Vergangenheit ein. Hingegen gab es reichlich Literatur und kluge Moderatoren (Dr. Walter Engel, Dr. Markus Bauer, Dr. Anneli-Ute Gabanyi, Prof. Dr. Wolfgang Dahmen) und auch einen, von Anton Sterbling initiierten und moderierten, Gedenkmoment an zwei wichtige Impulsgeber der Banater deutschen Gegenwartsliteratur, an die kürzlich verstorbenen Gerhard Csejka und Richard Wagner („Wennschon Strauss, dann Richard; wennschon Richard, dann Wagner. Der Schriftsteller“ – sagte, halb im Scherz, Prof. Dr. Dahmen).

Johann Lippet fiel die nicht immer dankbare Aufgabe zu, nach einer umfangreichen und breit angelegten Einführung von Dr. Engel die erste Lesung zu bestreiten. Er hatte sich für eines seiner Langgedichte entschieden, hochpoetisch (Ilse Hehn danach: „Das war eindeutig ganz große Literatur, Lyrik höchster Güte!“) und, wie immer, tief verwurzelt in seiner Autobiografie. Er ging nicht viel weiter darauf ein, dass ihn viele österreichische Literaturgeschichtler als „österreichischen“ Autor einstufen (was hinsichtlich seines zufälligen Geburtsorts, Wels, sogar stimmt), sondern eher auf die in seinen Werken auszumachende Fixierung auf den Ort seiner Kindheit, den Geburtsort seines Vaters, Wiseschdia, das – manche Exegesen haben das gleichlautend festgestellt – bei ihm eine Rolle wie bei Gabriel Garcia Marquez das fiktive Dorf Macondo einnimmt. Die Gespräche drehten sich – auch unter dem Einfluss von Moderator Dr. Engel – um Lippets Prosa, vor allem die Dorfchronik und seine Romantrilogie rund um seine Familie, die zum Solidesten gehören, was in der deutschen Literatur in den letzten 50 Jahren erschienen ist. Horst Samson, der während der Bărăgan-Verschleppung zu Beginn der 1950er Jahre Geborene, untermauerte bei seiner Lesung einmal mehr seinen Status als Vollblutlyriker, der seine Gedichte nicht nur effektvoll vortragen kann, sondern auch sehr wohl abzuwägen vermag, was bei welcher Gelegenheit und vor welchem Publikum am besten ankommt.
 
Dr. Markus Bauer stellte die den kommenden Tag eröffnende Ilse Hehn so vor, wie sie sich seit einigen Jahren souverän und auch mit verdientem Erfolg der Öffentlichkeit präsentiert: Als Wort- und Bild-Künstlerin, denn die seit Beginn der 1970er Jahre veröffentlichende Lyrikerin und – neuerdings – Reiseschriftstellerin verleugnet nie ihre künstlerische Ader (die „Kunstnatur“ hat sie von ihren Eltern, vor allem von der Mutter). Folgerichtig illustrierte Ilse Hehn ihre Lesung mit dazu passenden (teils übermalten) Fotos und Malereien und schuf damit eine Atmosphäre des Gesamtkunstwerks, das für sie zunehmend charakteristisch wird. 

Mit dem Autor der vorliegenden Zeilen hatte Dr. Bauer bei der Vorstellung einige Mühe, wie man es allerdings meist mit Schreibenden hat, die sich selber in erster Linie als Journalisten verstehen, also einem Wort dienen, das ab initio kurzlebig ist. 

Der vorgestellte Text – „Sloterdijk, Ujică und ich“ – war tatsächlich schwierig einzugliedern, da es ein Bericht vom Live-Erlebnis der Eröffnungstage des Kulturhauptstadtjahrs Temeswar 2023 war, wo WK als Dolmetscher von Sloterdijk und seines ehemaligen Schulkollegen Andrei Ujic˛ auftrat und zwei Tage in der Nähe der beiden verbrachte.
Heraus kam ein Gemisch von Doku-Fiktion, Erinnerungen, Reflexionen zum Gesagten, Erlebten und Gefühlten, von kritisch-sarkastischem Kommentieren und Selbstironie – die beim Publikum sehr gut ankamen. Allerdings: Literatur war das nicht, es sei denn, der Begriff wird weit aufgefasst. Albert Bohn, der erst seit seiner Rente wieder an die Öffentlichkeit geht, las eine Gedichtesuite aus seinen Jugendjahren, denen man die über fünf Jahrzehnte zwischen Niederschrift und Vorlesen in Bad Kissingen überhaupt nicht ansah, so frisch, aktuell und aussagekräftig waren sie. 

Für Frische und Heiterkeit sorgte auch der schreibende Arzt Kurt Thomas Ziegler, der in Hermannstadt geboren wurde, in Österreich lebt und ordiniert und der seit einigen Jahren die Nähe zu Banater Autoren sucht – und gefunden hat. Von ihm erschien bei Schiller in Hermannstadt ein erster Band seiner Autobiographie (von geplanten drei Büchern), etwas durchaus Lesenswertes, und sei es nur aus zwei Gründen: einerseits war K. T. Ziegler durch sein Elternhaus am Erlenpark eng mit der intellektuellen Elite Hermannstadts in Kontakt, so lange er in Rumänien lebte (bis 1977), andrerseits weist er im ersten Band seiner Lebensbeschreibung eine bewunderns- und beneidenswerte Belesenheit nach, aus der man, bei kurzweiligem Lesen, viel lernen kann. 

Mit Dagmar Dusil und Astrid Ziegler stellte Moderatorin Anneli-Ute Gabanyi zwei gänzlich unterschiedliche Autorinnen vor. Dusil („Bilder einer Kindheit“), die Hermannstädterin, inzwischen eine gestandene Autorin, fleißig, vielseitig und auch in ihrer Wahlheimat Bamberg kulturell und öffentlich aktiv, las Besinnliches und – wie nahezu alle Autoren dieser Veranstaltung – auch Gescheites zum Thema Heimat, wobei die Kommentare und Gesprächsansätze zwischendurch nicht weit über den Ansatz zu Definitionen von „Heimat“ hinauskamen.

 Astrid Ziegler ließ sich ihr Thema „Heimat, das schwere Wort“ von Hans Rothgerber sensibel und banatkompetent mit Fotos, Drohnenpanoramen und Filmschnitzeln illustrieren, so dass die beiden, die auch Banat-Tour.de betreiben, einen guten Ansatz zum Entdecken des Banats aus mannigfachen Blickwinkeln liefern. Den Abschlusstag moderierte Prof. Dr. Wolfgang Dahmen mit leicht zurückhaltender Kompetenz – man erkannte jedoch un-schwer, dass ihm das Thema Banat nichts Unbekanntes vorenthält – und führte den wie immer im Deutschen sich gehandicapt fühlenden Lyriker und Verleger Traian Pop Traian ein („Ich habe das Rumänische fast schon vergessen und das Deutsche im-mer noch nicht richtig gelernt“), der Erinnerungen an die 1970er Jahre und die Aktionsgruppe Banat wachrief sowie seine damaligen Beziehungen zu dieser (Pop war zeitweilig am DSTT in Temeswar angestellt) auch fotografisch illustrierte. 

Anton Sterbling erwies sich wieder mal als begnadeter Solounterhalter, der schreibt, „weil es mir Spass macht“ und der seine in den vergangenen Jahren in beschleunigtem Rhythmus erscheinenden Bücher scheinbar nur so aus dem Ärmel zu schütteln braucht. Der emeritierte Soziologieprofessor las und erzählte über seinen Kurzroman „Die versunkene Republik“.
Hellmut Seiler konnte nur seine Gedichte schicken, die dann in einer Last-minute-Improvisation von Ilse Hehn, Albert Bohn und dem Unterzeichner dieses Berichts – in einer fast vergessenen „Aktionsgruppen“-Tradition der Gruppenlesung – vorgetragen wurden.

Die „Gedanken zum Tod von Richard Wagner und Gerhard Csejka“, bei denen alle Anwesenden – die das wünschten – zu Wort kamen, schlossen die Tagung über Banater Deutsche Literatur in Bad Kissingen ab.