Das Bittgesuch

Wort zum Sonntag

Wenn wir von den Behörden etwas erlangen wollen, reichen wir ein Bittgesuch ein und warten auf seine günstige Erledigung. Doch diese lässt oft lange auf sich warten. Kommt keine Antwort, so schreiben wir ein zweites und ein drittes Mal. Vor der Revolution schrieben Auswanderungswillige viele Gesuche, um die endgültige Ausreiseerlaubnis zu erlangen. Sie ließen sich durch keine Absage entmutigen und setzten ihr Gesuch-Bombardement unverdrossen fort. Dabei leitete sie die Erwartung, dass die vielen Gesuche den Behörden auf den Wecker gehen und sie die Erlaubnis erteilen werden, um die Belästigungen loszuwerden.

Genau diese Methode rät uns Christus beim Bittgebet an. Er stellt in den Mittelpunkt seiner Belehrung einen abgebrühten Richter, der sich weder vor Gott noch vor dem Teufel fürchtet. Eine Frau kommt und verlangt ihr Recht. Der Richter verweigert es ihr. Sie kommt immer wieder. Er weist sie jedes Mal ab. Doch am Ende trägt ihre Hartnäckigkeit den Sieg davon. Er erfüllt ihre Bitte und schafft ihr Recht. Das geschieht keineswegs aus Liebe zur Gerechtigkeit, wie es sein müsste, sondern nur um die Beißzange loszuwerden.

Diesem ungerechten Richter stellt Christus Gott gegenüber. Die Lehre ist eindeutig: Wenn man also durch Zudringlichkeit sogar einen ungerechten Menschen zur Erfüllung der Bitte bringen kann, um wie viel mehr den allmächtigen Gott, der doch die Gerechtigkeit und Heiligkeit in Person ist.

Warum sollen wir aber Bittgebete verrichten? Es heißt doch, Gott sei allwissend und allmächtig, also kann Er auch ohne Bitten und Flehen helfen. Hilft Ihm unser Gebet etwa? Nein, Ihm hilft es nicht. Er ist auch ohne unser Gebet unendlich glücklich. Wir aber haben Ihn sehr notwendig. Das Gebet schafft die Verbindung zu Ihm, bringt uns auf die gleiche Wellenlänge zu Ihm. Ist die Verbindung hergestellt, kann seine Hilfe über unser Gebet uns zufließen. Und die Hilfe Gottes hat doch jeder von uns so bitter nötig. Wir benötigen Mut und Kraft, um den täglichen Lebenskampf zu bestehen. Von wo anders können wir diese Hilfe erwarten? Doch nur von Gott.

Das Schiff „Cornelia“ fuhr von der Küste Amerikas ab. Mitten auf dem Ozean brach ein gewaltiger Sturm aus. Er hielt bereits fünf Tage an und brachte das Schiff in Gefahr, mit Mann und Maus zu versinken. Die Matrosen, die schon manchen großen Sturm überstanden hatten, gaben sich diesmal schon fast verloren. Gerade als der Sturm am heftigsten wütete, geriet das Segelgerüst am Hauptmast in Unordnung. Der Schaden musste schleunigst behoben werden, sollte nicht die letzte Hoffnung schwinden. Doch in diesem Sturm am Mast emporzuklettern, war ein Wagstück auf Leben und Tod. Wer sollte hinauf? Die Wahl des Steuermanns fiel auf den 15-jährigen Schiffsjungen. Er war nämlich der Leichteste. Dieser Junge war das einzige Kind einer armen Witwe, die ihn nur schweren Herzens auf das Meer gelassen hatte. Der Junge schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Ich komme gleich!“ Er ging in die Kajüte. Nach einigen Minuten erschien er wieder und kletterte flink auf der Strickleiter empor. Der Sturm aber raste und tauchte die Mastspitze fast in die Flut. In einer Viertelstunde hatte der Junge es geschafft und kam wohlbehalten wieder unten an. Lächelnd sagte er: „Gott sei Dank!“ Ein Matrose fragte ihn: „Hast du keine Angst gehabt?“ „Doch“, erwiderte der kleine Held. „Oh“, meinte der andere, „darum hast du dich in der Kabine zuerst bedacht.“ „Bedacht nicht“, sagte der angehende Matrose, „ich wollte zuerst beten. Ich dachte nämlich, lebendig kommst du nicht wieder herunter. Da habe ich zuerst beten müssen. Danach war mir nicht mehr bange.“ „Wer hat dir das Beten beigebracht?“, forschte der Matrose weiter. „Meine Mutter“, war die Antwort. „Als ich fortging, sagte sie, ich solle jeden Tag beten, besonders in Gefahren, dass Gott mich schütze.“

So hat es der Schiffsjunge gemacht. Das Gebet hat ihm einen solchen Mut gegeben, den selbst sturmerprobte Seemänner nicht aufbringen konnten. Überlegen wir: Warum verzagen, warum sich ängstigen und sorgen, warum verzweifeln, wenn es im Leben nicht nach Wunsch geht. Uns steht doch derselbe allmächtige Helfer zur Seite wie dem Schiffsjungen. Rufen wir Ihn vertrauensvoll an. „Ja“, fragen viele, „wenn ich bete, geht dann die Krankheit vorüber? Wird die Not sogleich ein Ende haben?“ Das nicht. Der Junge hat ja auch nicht gebetet, dass der Sturm aufhöre, sondern, dass er Mut und Kraft erhalte, die Gefahr zu bestehen. Gebet zaubert nicht die Schwierigkeiten weg, aber es gibt uns die Kraft, sie zu überwinden. Halten wir uns an den altbewährten Rat: „Verlasse du Gott nicht und auch Er wird dich nicht verlassen!“