Das Gut des Herzensfriedens

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Gott legt in die Seele jedes Menschen Talente, Gaben und Fähigkeiten. Viele benützen sie nur teilweise oder lassen sie brach liegen. Andere gebrauchen sie und steigen auf der Erfolgsleiter empor. Das ist eine der Ursachen, dass unsere Lebensschicksale so verschieden sind. Hier hat das Sprichwort recht: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Aber für die Erfolgreichen entsteht dadurch eine große Gefahr: die Gefahr der Selbstüberschätzung. Davor mahnt uns Christus mit seinem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner. Der Pharisäer fühlte sich wegen seines Frömmigkeitseifers und seines Status dem Zöllner weit überlegen. Heute kann man mit Glaubenseifer keinen Eindruck schinden. Es gibt im heutigen Leben so viele andere Gebiete, auf denen wir unsere Fähigkeiten und Erfolge zur Schau stellen können: im Sport, in der Unterhaltungsbranche, in Kunst, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.

Wie sieht ein „moderner weltlicher Pharisäer“ aus? Er will Geltung und Anerkennung haben. Wenn das andere nicht tun, bringt er sich selber auf die Bühne. Er ist sein eigener Priester und widmet sich Loblieder; er ist sein eigener Prediger und verkündet seine großen Taten, die wirklichen und auch die eingebildeten.
Ein gelehrter Mann hat ein wahres Wort gesprochen: „Ich höre am liebsten die Leute von sich selber reden, denn dann reden sie nur Gutes!“ Wenn alle Worte, die wir über unsere Mitmenschen gesprochen haben, von einem Tonband heruntergespielt würden, und nachher alle Worte, die wir vor anderen über uns selbst gesprochen haben, würde wahrscheinliche dasselbe herauskommen, was der Pharisäer gesprochen hat: „Gott, ich danke Dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, die Räuber, Ehebrecher und wie meine Mitbürger“! Bei vielen Leuten ist es noch schlimmer: In der Lebensführung gleichen sie dem sündigen Zöllner, im Benehmen dem hochmütigen Pharisäer. Ein Sprichwort sagt: „Liebe macht blind!“ Man kann hinzufügen: „Eigenliebe macht stockblind!“

Manche Menschen sind auf ihr Wissen und Können so eingebildet, als wären sie die letzte Instanz. Es ist ihnen schwer beizubringen, dass andere Menschen noch einen findigeren Kopf haben als sie. Hier ein eklatantes Beispiel. Der deutsche Arzt Robert Koch (1843 – 1910) hatte eine umwälzende Entdeckung gemacht, dass nämlich bestimmte Krankheiten durch Bakterien verursacht werden. Damit warf er die bisherigen Anschauungen der Medizin, vor allem ihres bisher unbestrittenen Führers Rudolf Virchow (1821 – 1902) über den Haufen. Virchow stand im höchsten Ansehen der Öffentlichkeit. Er versuchte zunächst, den „Landarzt“ totzuschweigen. Aber Koch ruhte nicht. In einer großen Versammlung von Fachkollegen stellte er Virchow vor das Mikroskop. Virchow brachte es noch immer nicht über sich, ein Wort der Anerkennung zu sagen, obwohl er überwunden war. Erst als Koch seine beste Kraft im Kampf um die Durchsetzung seiner Erfindungen verbraucht hatte, gestand der große Gelehrte sein Versagen ein und erkannte Koch an.

In solche Zwickmühlen geraten wir kleinen Leute nicht. Womit sollten wir uns auch rühmen? Wir haben weder das Schießpulver, noch die Kernspaltung der Atome entdeckt. Schätzen wir uns richtig ein. Es ist doch eigenartig: Die Pharisäer aller Schattierungen überschätzen sich; die Heiligen „unterschätzen“ sich. Der heilige Philipp Neri (1515 – 1595), den auch Goethe bewundert hat, betete, wenn er in die Stadt ging: „Lieber Gott, beschütze mich, sonst komme ich als Mohammedaner nach Hause!“ So wenig gefestigt hielt er sich.
Nützen wir die Fähigkeiten, die uns Gott verliehen hat, im Dienste unserer Mitmenschen. Das ist ihr bester Gebrauch. Damit erringen wir das hohe Gut des Herzensfriedens, das uns kein Neid, keine Missgunst, keine Eifersucht und keine Feinschaft rauben kann. Das Gut des Herzensfriedens ist mehr wert als alle äußeren Erfolge und macht uns glücklicher als alle Ehrenbezeigungen unserer Mitwelt.