„Das Leben steckt voller Zufälle“

Interview mit dem Banater Dichter und Journalisten Horst Samson

Der Dichter bei einer Lesung aus seinem Gedichtband „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“, 2015
Foto: Edda Samson/Wikipedia

Der 2022 im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienene Gedichtband „Der Tod ist noch am Leben“ von Horst Samson mit 23 Zeichnungen von Gert Fabritius sowie andere Bücher des Autors sind auf buechercafe.ro sowie in den Buchhandlungen des Schiller-Verlags verfügbar. ISBN 978-3-86356-355-4, 196 Seiten.

Der mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnete Dichter Horst Samson wurde 1954 in einer aus dem Banat stammenden rumäniendeutschen, in den Weiler  Salcâmi  in der B²r²gan-Tiefebene deportierten Familie geboren. Er arbeitete bis zu seiner Auswanderung nach Deutschland 1987 als Journalist bei der „Neuen Banater Zeitung“ in Temeswar und hat über ein Dutzend Gedichtbände sowie Prosa und Essays in deutscher Sprache veröffentlicht, in Rumänien sowie in Deutschland. Nach seiner Auswanderung hat er 27 Jahre lang als Chefredakteur des „Bad Vilbeler Anzeigers“ in Neuberg gewirkt. Ende Juni hat er sich nach einer Lesung aus seinem neuesten Buch „Der Tod ist noch am Leben“ im Nationalen Museum der Rumänischen Literatur in Bukarest mit ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu unterhalten.

Herr Samson, als Rumäniendeutscher mit Deportationshintergrund müssen Sie es während des Kommunismus wohl schwer gehabt haben. Wurden Sie von den Behörden schikaniert?
Deswegen eigentlich nur marginal. Es hat zum Beispiel weh getan, als die kommunistische Zensur meinen Geburtsort, das Dorf Salcâmi in der Bărăgan-Tiefebene, aus meinem ersten Gedichtband „Der blaue Wasserjunge“ gestrichen hat, um die Deportationsgeschichte zu vertuschen. Auch das haben sie mir weggenommen.

Mich hat weniger die Drangsalierung durch die Bărăgan-Erfahrung als dieses innere Verloren-sein, den Geburtsort nicht mehr zu haben, betroffen. Dieser Teil der Biografie ist weg. Nachdem die Deportierten 1956 zurückkehren durften, wurden diese Dörfer sehr schnell von den Behörden eingeebnet. Zum Beispiel ist es so auch mit dem Arbeitslager in Târgu Jiu geschehen, wo Paul Celan Zwangsarbeit geleistet hat. Insofern verfolgt mich natürlich dies bis heute, wie das Bild der Heimat meiner Eltern, Albrechtsflor/Teremia Mică im Banat, wovon auch nur noch die Hälfte steht.

Wie hat es sich ergeben, dass Sie als Redakteur bei der „Neuen Banater Zeitung“ in Temeswar angestellt wurden?

Das Leben steckt voller Zufälle. Dass ich zur Banater Zeitung gekommen bin, das war so ein Zufall. Ich bin zunächst als Deutschlehrer nach Busiasch per staatlicher Stellenzuteilung gekommen. Ich pendelte jeden Tag von Temeswar nach Busiasch. An einem Tag, als sich mein Autobus verspätete, kam ich mit einem Busiascher Laienmaler namens Albert Weigang ins Gespräch. Seine Biografie schien mir so interessant, dass ich ihn unbedingt bekannt machen wollte.

So schrieb ich ein kleines Porträt über ihn und schickte es der „Neuen Banater Zeitung“. Kurze Zeit später entschied ich mich, zum Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ in Temeswar zu gehen. Da ich aus einem musikalischen Umfeld stammte, war Literatur damals nicht mein Fach. Als ich mich daran zum ersten Mal beteiligte, stellte mich Eduard Schneider, der damalige Feuilletonchef bei der „Neuen Banater Zeitung“, Nikolaus Berwanger, dem Chefredakteur, vor. Dieser erinnerte sich an mein Porträt und fragte mich, ob ich nicht zu seiner Zeitung kommen wollte, und ich bejahte. Am darauffolgenden Montag bin ich tatsächlich, statt zur Schule zu fahren, zu ihm ins Büro gegangen. Nachdem ich zu meinem Schreibtisch geführt wurde, bin ich von dort nicht mehr weggegangen. Also reiner Zufall! (lacht)

Für welche Rubrik schrieben Sie zunächst?

Ich begann als Lokalredakteur und das war auch so in meinem Sinn, denn ich interessierte mich für das Leben der Landsleute. Zu jener Zeit war ich nicht allzu kritisch. Das ist erst später durch das Interesse für ihre Lebensarten geweckt worden. Dann bin ich einmal in die Sportabteilung strafversetzt worden, weil ich mich ungehörig meinem Chef gegenüber benommen hatte. So habe ich ein paar Monate lang für die Sportrubrik geschrieben, und nachdem wir Frieden geschlossen hatten, kam ich in die Kulturabteilung. Das war der Weg.

Hatten Sie schon damals gedichtet, zumindest nebenbei?

Ja, das stimmt. Schon als Schüler hatte ich ein Heft voller Gedichte geschrieben. Dann gab ich das für eine Zeit auf und nahm das Dichten als Mitglied des Literaturkreises wieder auf, zumal ich auch zu Hause ein bisschen herumgekritzelt habe. Die Gedichte waren aber damals noch sehr unreif sozusagen, denn ich hatte mich ein Leben lang mit Musik beschäftigt. Mein Vater war Kapellmeister, meine Großmutter hatte ein Wirtshaus. Da haben die Musikanten immer geprobt. Daher wurde ich mit der Musik groß und spiele auch heute noch einige Instrumente. Das hat mich dann fasziniert. In Hermannstadt hatten wir zwei Bands, mit denen wir viel Geld verdienten. Als Schüler waren wir echt reiche Kerle.

Als ich nach Temeswar umzog, weil ich die Zuteilung vom Schulaufsichtsamt in Busiasch erhalten hatte, löste sich dieses Verhältnis zu meinen Freunden auf. Solche Freunde habe ich in Temeswar nicht wiedergefunden. So kam ich dann in diese einsame Disziplin der Literatur, wo man niemanden anderen braucht als sich selber. Mein erstes Buch ist relativ früh erschienen. Zu früh, muss man sagen. Es enthält relativ einfache Gedichte. „Der blaue Wasserjunge“ ist 1978 im Facla-Verlag erschienen – eine ganz verträumte, romantische Titelgebung (lächelt). Ich bin eigentlich kein Banater, sondern ein richtiger „Regatler“ (Anm. d. Red. aus dem Altreich Stämmiger). Im Literaturkreis haben wir jungen Autoren uns nichts geschenkt, sondern uns mit der Literatur kritisch auseinandergesetzt, und das war wunderbar. Anstatt uns gegenseitig zu loben, haben wir uns im Grund und Boden gerammt (kichert). Das ambitioniert einen natürlich und war das Richtige, im Nachhinein gesehen. Wir wollten eine moderne Literatur schaffen und uns kritisch profilieren. Dies war der richtige Weg. Relativ kurz danach erschien 1981 mein zweiter Gedichtband „Tiefflug“, der hat eingeschlagen. Dafür erhielt ich den Preis des Schriftstellerverbandes.

Können Sie uns einige Themen Ihrer Dichtung nennen? Setzen Sie sich durch das Dichten etwa mit Ihrem ehemaligen Leben hier in Rumänien auseinander?

Marcel Reich-Ranicki, der berühmte Literaturkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), war lange Zeit der „Literatur-Papst“ in Deutschland, und er sagte: „Es gibt nur zwei große Themen: die Liebe und den Tod.“ Zwischen diesen beiden Polen spielt sich auch die Thematik meiner Gedichte ab. Sie sind eine sehr direkte und tiefe Auseinandersetzung mit meiner Existenz, mit meinen eigenen Erfahrungen und natürlich mit dem Thema Sprache, das für mich unglaublich wichtig ist, durch diese Weltsprache der Poesie. Den Brecht’schen Ton – so rational und nüchtern – habe ich inzwischen abgelegt und in einer verfeinerten Form wiederaufgenommen, in dem die Sprache durch Metaphern, durch Kunstbilder des urwüchsigen Lichts aus der Sprache zum Vorschein kommt. Mein vorletzter Band heißt daher „In der Sprache brennt noch Licht“, und da wollte ich zeigen, was man mit Sprache noch ausdrücken kann, wie Sprache im Gedicht klingen kann, wenn man versteht, mit ihr umzugehen. Ich habe mir so verschiedene Techniken angeeignet wie die Zeilenbrüche und die Musikalität, die ich dann für mich zur Meisterschaft entwickelt habe.

Die Themen sind so die Zeit, das Leben, der Alltag, aber nicht in seiner banalen Form, sondern in seiner verfeinerten, philosophischen, existentiellen Form. Existentiell grundiert sind alle meine Gedichte in der Sprache, in der schwingt immer auch ein bisschen Geschichtsschreibung.

Dies habe ich beibehalten, denn als wir mit dem Schreiben begannen, war die Geschichte eine einzige Fälschung, die wir kannten. Mit der Aktionsgruppe Banat setzten wir uns zum Ziel, die Geschichte mitzuschreiben, damit man neben der verfeinerten ästhetischen Form immer auch den Hintergrund nachvollziehen kann. Es sind Zeugnisse, die etwas aussagen, nicht nur über den Dichter und seine Umgebung, sondern auch über den Hintergrund ihrer Existenz, über die Zeit und über die Gesellschaft selber. Die Geschichte erscheint dabei nicht im Vordergrund, sondern sie schwingt sehr oft mit.

Sie haben bereits aus dem Gedichtband „Der Tod ist noch am Leben“ vorgelesen. Können Sie uns die Titelgebung ein bisschen deuten?

Mein neuester Gedichtband ist im April dieses Jahres erschienen. Er ist noch brühwarm! Er enthält ganz unterschiedliche Gedichte, die alle das Thema Tod angehen. „Der Tod ist noch am Leben“ handelt von vielen Sachen, die werden durch den Tod zusammengetragen, um das Wesen dieses Lebens zu beschreiben. Der Tod wird in so vielen Hypostasen gezeigt… Er ist mal Jongleur, mal ist er Künstler, mal Ironiker, mal Flaneur, mal Philosoph, mal sitzt er nur auf der Bank hinterm Haus und wartet. Das erste Gedicht ist etwas länger, ein zehnteiliges Poem über die Grenzübertritte im Banat, vor allem im Grenzdorf Albrechtsflor, aus dem ich eigentlich herkomme und wo viele Leute, die heimlich ins Ausland fliehen wollten, erschossen wurden. Das habe ich früh geschrieben und es blieb unveröffentlicht bis jetzt.

Mein Nachdenken über den Tod hängt auch damit zusammen, dass ich 1986 mit dem Tod bedroht wurde. Das war der Anfang des Endes meines vorherigen Lebens in Rumänien, weil ich danach nicht mehr wirklich existieren konnte, nur unter Angst leben konnte und wir uns entschieden, auszuwandern. Außerdem hatte ich als Kind mitbekommen, wie die Leute, welche die Grenze zu übertreten versuchten, da im Dorf erschossen wurden. Wenn sie erwischt wurden, dann schlug sie die Grenzpolizei blutig und führte sie an Ketten durch das Dorf, um Abschreckung zu betreiben.

All diese Elemente sind in mir gewachsen, so dass sie sich zu diesem Thema hingezogen haben. Irgendwann merkte ich, dass ich sehr viel über dieses Thema geschrieben und vieles nicht veröffentlicht hatte. So ist das thematische Buch entstanden und es ist sehr gut angenommen worden, es gibt viele schöne Rezensionen dazu.

Nicht nur dieses, sondern alle Ihre Werke sind offensichtlich sehr gut in Deutschland angesehen. Dies bestätigen die zahlreichen Literaturpreise, die Sie dafür erhalten haben. Haben Sie diese auch in Rumänien vorgestellt?

Meine in der letzten Zeit veröffentlichten Bücher habe ich alle in Rumänien vorgestellt. „Heimat als Versuchung“, „Das Meer im Rausch“, „In der Sprache brennt noch Licht“, habe ich bei den Reschitzaer Literaturtagen auf die Einladung von Erwin Josef }igla präsentiert. Das war eine schöne Begegnung.

Aber die erste, die mich wieder nach Rumänien zurückgeholt hat, war die Schriftstellerin Annemarie Podlipny-Hehn. Sie hat immer bei mir herumgearbeitet und ich hatte nicht mehr so richtig Lust zurückzukehren, ich war ein bisschen verfremdet. Weil sie nie nachgibt, gab ich irgendwann nach (lacht) und das war das Beste, das ich tun konnte. Ich habe seither viele schöne Erlebnisse gehabt, Freunde neu entdeckt und alte wieder getroffen. So verbindet uns heute eine schöne Freundschaft mit Reschitza.

Wir bedanken uns für das interessante Gespräch!