Das ungeliebte Fräulein

Aus meiner Kindheit kenne ich noch Formulare, vor dessen Ausfüllen man ankreuzen musste: Anrede – Frau – Fräulein – Herr. Mittlerweile ist das Unwort Fräulein gottlob aus dem deutschen Sprachgebrauch verschwunden – mit der kleinen Ausnahme als Bezeichnung für die Dame, die das Bier bringt. Vielleicht hat man erkannt, dass ein Fräulein auch 1,90 m groß sein und 100 Kilo wiegen kann. Oder, dass es komisch klingt, mit gestandenen 40, 60 oder gar 80 Jahren als „kleine Frau” verniedlicht zu werden, nur weil man nicht im offizialisierten Doppelpack durchs Leben geht. Außerdem verstößt die Anrede gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter, denn schließlich gibt es ja auch kein Herrlein, oder gar Männlein! In diesem Zusammenhang fällt mir gerade eine weitere sprachliche Ungerechtigkeit auf, die es noch zu beseitigen gilt: die unterschiedliche Bedeutung von „herrlich” und „dämlich”...
Ein Jahrhundert früher hingegen war die Bezeichnung „Fräulein” mit einem gewissen Informationsgehalt verbunden: Die Dame ist noch zu haben! In der heutigen Gesellschaft, in der sich Herrleins und Fräuleins oft auch ohne Trauschein in familienähnlichen Strukturen zusammenfinden und der Lebenszweck einer Dame nicht mehr nur darin besteht, unter die Haube zu kommen, hat sich dieser jedoch verflüchtigt.
Anders in Rumänien. Hier gilt es immer noch als besondere Ehre, mit Fräulein – „Domni{oar²” – angesprochen zu werden. So manche Rentnerin, die an der Supermarktkasse höflich als Doamn² adressiert wird, protestiert entrüstet: „Eu sunt domni{oar²!” Als ob man das an ihrer Stirn hätte ablesen können. Welch zweifelhafte Ehre gilt es hier zu verteidigen? Meine Freundin Marilena – weit über 50 und auch formell längst kein Fräulein mehr – lächelt stolz, als der Tankwart sie als solches anspricht. Was geht hier vor? Obwohl ich seit vielen Jahren in Rumänien lebe, beiße ich mir heute noch auf die Zunge, bevor ich einer mir unbekannten Dame spontan etwas hinterherrufe. „Fräulein – Sie haben ihren Schal verloren!” Nein, das geht gar nicht! Ich kann die Frau doch nicht beleidigen, sagt mein spontanes inneres Gefühl – dasselbe, das eine ironische Antwort hinunterschluckt, die mir auf der Zunge liegt, wenn ein Rumäne mich höflich „Domnișoară” nennt. Woher will der wissen, ob ich verheiratet oder ledig bin? Oder will der mich veräppeln?
Wie schön ist es hingegen, wenn man auf dem Dorf lebt! Da ruft man alle Frauen einfach „Tanti”...