Demut und Satire als Antwort auf Stacheldraht und Pietätlosigkeit

Lucian Christian Hamsea malt gegen die Holocaust-Verharmlosung

Das Berühren schmerzhafter Vergangenheit erfordert Feingefühl.

„Das muss man erst mal verdauen!“, sagte am vergangenen frühen Freitagabend Lucian Christian Hamsea auf dem Gehsteig draußen vor der Abteilung des Brukenthalmuseums für Zeitgenössische Kunst. Und damit lag er kein bisschen verquer, weil zuvor in der Eingangshalle und dem Zweitraum vom Parterre des zweifelsohne bekanntesten Altbaus der Quergasse/Tribunei in Hermannstadt/Sibiu seine Ausstellung „<DEADLINE> ...la capătul liniei…“ eröffnet worden war. Das Wort „Holocaust“ kommt zwar nicht vor in den Ölbildern und Mischtechnik-Zeichnungen der zwei stark miteinander verwobenen Reihen „Rabbit Hunt“ (Hasenjagd) und „Barbed Wire“ (Stacheldraht), die er 2011 binnen einer Woche schuf. Doch genau darum geht es in der Weltpremiere des öffentlichen Exponierens dieser schwarz-roten Kompositionen, denen bis heute kein Kurator im Nürnberger Großraum eine Bühne zu geben bereit wäre. 

Lucian Christian Hamsea, September 1989 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland geflohen und seither in Erlangen lebend, hat zwölf lange Jahre warten müssen, ehe sich ein Raum für die Erstpräsentation seiner artistischen Mahnmale „systematischer Gräueltaten“ fand. Das Ausharren aber hat sich gelohnt. Zumal Dr. Alexandru Chituță, interimistischer Brukenthalmuseums-Direktor, der Ausstellung auch unbedingte Weiterreichung an die Synagoge von Großwardein/Oradea und nach Jassy/Iași vermittelt hat. Das kommt Lucian Christian Hamsea, der Hermannstadt zum letzten Mal 2018 besucht hatte, sehr entgegen.

Seine Vorliebe für scharfes Rot als Grundton sämtlicher Arbeiten ist nicht von ungefähr, ebenso auch die Meisterschaft im Umgang mit dem Schwarzen und seinen inhärent grauen Schattierungen. Dass Lucian Christian Hamsea vor längerer Zeit einmal im Privaten wie im Künstlerischen durch eine Depression gegangen ist, war sicher ein Trumpf im Malen und Ausfertigen der Bilder-Serien „Barbed Wire“ und „Rabbit Hunt“, die ihm wie im Rausch von der Hand gegangen sein müssen. Harsch vergrätzen möchte er niemanden, seinem Fanclub jedoch ohne Umschweife ins Gewissen reden. Das gelingt ihm auf Anhieb, keine Frage. „Wir sind geehrt, können das aber nicht mit einem Lächeln zu verstehen geben. Was Ihren Erfolg bestätigt“, so Alexandra Runcan als Kuratorin an Lucian Christian Hamsea vor Hermannstadts Vernissagen-Stammpublikum. Mit von der Partie war auch Weltklasse-Schlagzeuger Mircea Ardeleanu als langjähriger Freund des Ausstellenden und begeisternder Interpret zeitgenössischer Musik für Perkussion, dessen Rezital den Bildern eine angemessen kritische Stimme gab. Einmal mehr bewahrheitete sich, dass meist nur Vernissagen tatsächlich ungekürzten Eindruck des Künstlerischen zu vermitteln vermögen, und die bis Ende des Monats aus dem Lautsprecher tönenden Mitschnitte des Spiels von Mircea Ardeleanu diese Zuarbeit bloß eingeschränkt wiedergeben können werden.

Ganz anders hingegen der satirische Unterton der Ausstellung, den Lucian Christian Hamsea nicht scheut, sondern überaus provokant in Szene setzt, und der auch ohne Erlebnis der Vernissage Sprache annehmen kann: das Querbild „Merry Christmas“ etwa trägt jenen Titel eher absichtlich statt zufällig – der alljährlich auf dem Nürnberger altstädtischen Hauptmarkt veranstaltete Christkindlmarkt gleicht einer Missachtung des Pogroms an über 500 Juden im Jahr 1349 an Ort und Stelle. 

Im zentralen Hermannstadt schließt die Ausstellung „<DEADLINE>...la capătul liniei…“ Sonntag, am 27. August. Wie man sie verlässt? Genauso, wie man sie auch betritt, nämlich durch einen Stacheldraht-Korridor, der aus altem wie neuem Rohmaterial gezogen wurde. Er entlässt einen erst wieder nach Einnahme zeitlos demütiger Haltung vor dem Gedenken der Holocaust-Opfer. „Was wir sehen, hat es zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte wirklich gegeben.“, resümiert Alexandra Runcan die aktuelle Expo von Lucian Christian Hamsea.