Der Bauer als Investor: „Herzblut und Geld“

Schulung mit Diplomabschluss für Bauern mitten im Sommer

Sein Arbeitsjahr beginnt jeweils am 10. Januar. Dann bereitet er seine Mistbeete vor und das kleine Treibhaus, bringt frischen Pferdemist, zwingt die Beete mittels ungelöschtem Kalk auf Betriebstemperatur, streut eine fruchtbare Schicht schwarzvergorenen Mist mit Sandanteil drüber, sät seine Gemüsesamen aus. Danach geht es Schlag auf Schlag. Pikieren in die Pflanztöpfe, die er sich selber presst, Lüften, Abdecken, Begießen. 

Um den 1. Mai herum kommt das Auspflanzen ins Freie oder in die „Tunnels“ – 4000 Quadratmeter seiner insgesamt vier Hektar Gemüse- und Melonenanbaufläche bei Curtici im Kreis Arad sind mittels Plastikplanen und halbkreisförmigen Eisengerüsten überdacht – und ab Mitte Mai werden auf Deibel-komm-raus die Bauernmärkte zwischen den Südwestausläufern des Siebenbürgischen Erzgebirges und der Grenze zu Ungarn abgeklappert.

„Meine Arbeitswoche beginnt in diesen Tagen des Juni montags um drei-vier Uhr morgens“, erzählt Petru Aurel Nistor, den es durch Heirat aus dem Verwaltungskreis S²laj in den Arader Raum verschlagen hat.

Tagesablauf des Gemüsebauern

„Erst wird bei voller Nacht das Auto für zwei Märkte beladen. Die Ware haben unter Aufsicht und Mitarbeit meiner Frau unsere drei Tagelöhner vorbereitet (die den ganzen Tag hacken, gießen, spritzen, ernten, verpacken, schleppen, stapeln). Zuerst fahre ich dann ins 100 Kilometer entfernte Gurahonti. Was ich dort nicht verkaufen kann, nehme ich mit ins 80 Kilometer entfernte Chi{ineu-Cris, wo ich Dienstag hinfahre, immer so, dass ich bei Morgengrauen schon auf dem Markt stehe. Dienstags bin ich also in Chisineu-Cris. Habe ich Glück, ist am Abend der Wagen leerverkauft. 

Dann fahre ich die 80 Kilometer nach Hause, um im Laufe der Nacht frische Ware zu laden. Mittwochs vor Morgengrauen geht es auf den Markt nach Beliu (80 Kilometer), donnerstags nach Sebi{ (100 Kilometer). Nach einer neuerlichen Beladung des Fahrzeugs zu Hause, geht es dann freitags ins 70 Kilometer entfernte Ineu und samstags 120 Kilometer nach Hãlmagiu. Sonntags fahre ich nur noch mit halber Ladung und nicht mehr so weit: nur ins 50 Kilometer entfernte Vinga – die Bulgaren dort sind schon sehr herrisch geworden, außer Steckzwiebeln bauen die kaum noch etwas für den Markt an. Gut für mich!“

Was da bei einem Bier in Temeswar so leichthin erzählt wird, das wird durch einen Blick auf die Hände des 41-Jährigen bestätigt: die Haut rissig, brüchige, schutzlange Fingernägel, das Gesicht und die Arme stark gebräunt, ein stechender Blick. Keine Klage: „Dieses Leben haben wir uns selber gewählt“, meint er, „und es ist ziemlich einträglich. Trotzdem ein Hundeleben. Doch es geht ins Blut über und man kann gar nicht anders. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Dafür hast du auch schon viel zu viel investiert. Herzblut und Geld.“ 

Sein Ziel: Seine Wirtschaft weiter zu entwickeln, „in kleinen Schritten, denn das Geld ist knapp“. Und Spezialisierung: „Immer noch sind die Tomaten das Rentabelste. Dafür brauchst du aber mehr Gewächshäuser und `Tunnels`. Also wieder Geld! Monatlich verbrauche ich in diesem Rhythmus allein für 7000 Lei Diesel-Schmiermittel und -öle und meine eigene Arbeit gar nicht mitgerechnet.“

Massenausbildung für Wissende

Die Begegnung fand im Temeswarer Hotel „Timisoara“ statt, wo im Rahmen eines Fortbildungsprogramms für Klein-, Jung- und Nebenerwerbsbauern in den vergangenen Wochen 120 gestandene Bauern und 90 Jungbauern geschult wurden und danach ein Berufsdiplom erhielten. Das Ganze geschah im Rahmen des Nationalen Programms für Ländliche Entwicklung, war vom Landwirtschaftsministerium Rumäniens (Curriculum und Einschreibungen sowie das Diplom) und der österreichischen Beraterfirma GBI Consulting (Vortragende und Organisierung vor Ort) organisiert und eine Bedingung für die Weiterzahlung der Flächenprämie und der Unterstützung der Kleinbauern aus Mitteln der EU und des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft und Ländliche Entwicklung in Bukarest (immerhin hält man den Bezugsberechtigten „die dritte Rate“, 1500 Euro/Wirtschaft, vor, bis sie ihr Diplom haben).

Über den Zeitpunkt, den sich das federführende Landwirtschaftsministerium Rumäniens ausgewählt hatte für die Muss-Fortbildung, war die Mehrheit der Teilnehmer verärgert. Die Bienenzüchter (beim Pilotkurs in Temeswar 80 Prozent der Teilnehmer, beim Parallelkurs in Piatra Neamt waren sogar um die 85 Prozent Imker) hatten Hochsaison und mussten nicht nur den (2011 überreichen) Akazienhonig schleudern, sondern auch Schwärme einfangen. Beeindruckend die Klage eines Imkers aus dem Almasch-/Almãj-Tal, dem in der Fortbildungswoche drei Bienenschwärme entgangen sind: „Das sind mindestens dreißig Kilo Honig in einem schlechten Honigjahr!“ 

Die Gemüsebauern fehlten in dieser Zeit einfach als Arbeitskraft in ihren Wirtschaften, ebenso die Milchbauern, die sich für die Woche in Temeswar zusätzliche Tagelöhner anstellten – „und Tagelöhner fühlen instinktiv, wie du sie gerade brauchst, und treiben die Tagespreise hoch“, sagte ein Milchbauer aus der Gegend von Borlovenii Vechi – den Bergbauern brannte die Zeit auf den Fingernägeln, weil die erste Heuernte des Jahres anstand oder weil gerade mehrere ihrer trächtigen Kühe kalben sollten, die (wenigen) Getreidebauern hatten in jeder Pause ständig das Mobiltelefon am Ohr, um Wetterberichte von zu Hause zu erfahren.

Eulen nach Athen tragen

Am meisten ärgerten sich die Teilnehmer aber über den Inhalt der ihnen angebotenen Lehrgänge. Außer betriebswirtschaftlichen und buchhalterischen Grundlagen und Dingen, die zur besseren Allgemeinbildung eines Nebenerwerbsbauern gehören sollten – praktische Grundkenntnisse über den Obstbau (Methoden des Veredelns oder dass es gut und günstig ist, die Obstbäume im August zu bewässern, weil dann die Fruchtknospen für das kommende Jahr ausgebildet werden), oder Methoden umweltfreundlicher Schädlingsbekämpfung und wie man am besten den Stallmist als Düngemittel einsetzt, Ratschläge zur Diversifikation der Produktion, ergo der Erhöhung des Einkommens – „nichts von alledem hätte man uns nicht in der landwirtschaftlich ‘toten’ Jahreszeit beibringen können“, grinst Pavel Rotariu aus Prigor im Almasch-Tal mit ironischem Seitenblick auf das Landwirtschaftsministerium, das die Leute gerade jetzt zwang, am Kurs teilzunehmen. 

„Selbstverständlich haben wir die Zeit auch genutzt, um uns unter uns auszutauschen“, gibt Petru Moatãr aus Vrãniut bei Orawitza zu. „Solche Gelegenheiten sind rar, vor allem, weil jetzt die Nachmittage lang sind und man sich auch ausgiebig über die einzelnen Hausschnäpse und über deren Reifung austauschen kann. Aber besser wäre es schon gewesen, wenn die Lehrgänge auf Hauptbeschäftigungen ausgerichtet gewesen wären. Fachliche Zentrierung bringt jedem mehr.“

Tagelöhner statt des Besitzers

Der joviale und sehr kommunikative Petru Moatãr (48), der ein breites Banater Berglandrumänisch spricht (in lautlicher Umschrift etwa: „Laptchele je prea ljesnje“ – die Milch ist zu billig) hatte ebenfalls „seine“ Tagelöhner bei der Arbeit zurückgelassen, um am Lehrgang teilnehmen zu können: „22 Milchkühe und noch vier Kälber sowie einen Zuchtstier kann ich nicht allein meiner Frau und meinem Sohn überlassen. Außerdem habe ich 30 Bienenvölker und muss die Milch täglich nach Iertof bringen, weil ich mir noch keinen Kühltank leisten kann. 

Da meine Frau und ich auch noch im Dienst sind, wir von der Zahlungsstelle APIA und auch dieses Geld vom Landwirtschaftsministerium bekommen, schlagen wir uns zufriedenstellend durch. Aber für mich steht fest: Wenn ich die Mittel auftreiben kann, mir einen Kühltank zuzulegen, dann würde ich doppelt so viele Milchkühe halten. Trotz des schlechten Ankaufspreises der Käserei in Orawitza. Denn ich habe sehr viele private Abnehmer für Frischmilch, Rahm und Topfen sowie für meinen Honig und könnte den Abnehmerkreis stark vergrößern. Wenn sich auch der Absatzmarkt für Kälber und Mastrinder regeln würde – nur Zwischenhändler kaufen sie auf und zahlen richtig schäbige Preise, dazu meist bei Hinauszögerung des Zahltags – wenn also der Kälber- und Rinderhandel geregelt wäre, könnten Bauern zu neuem Ansehen gelangen!“

Keine Hutweide mehr

Petru Moatãr baut sich seine Futtermittel auf seinen 20 Hektar Ackerland selber an und erntet auf Heuwiesen. Sommers werden seine Kühe auf die Weide getrieben. Dazu hat er zwei Tagelöhner. „Im restlichen Dorf sind knapp 20 Milchkühe, da ist also kein Kuhhirt mehr, wie das früher funktioniert hat. Auch die Hutweide gehört nicht mehr den Dorfbewohnern, weil ein früherer Bürgermeister sie einfach verschachert hat, an einen Privatinvestor. Der hat nichts draus gemacht.“

Der älteste Teilnehmer am Lehrgang von Temeswar war der 64-jährige Ilie Codilã aus Teregova, dem Partisanennest der 50er-Jahre im Banater Bergland. Codilã ist ein pensionierter Angestellter der Kreditgenossenschaft aus Teregova, will aber – wie praktisch alle beim Lehrgang befragten Teilnehmer – von gemeinsamer Arbeit oder Nutzung von Geräten, von Genossenschaft oder Maschinenringen nichts wissen. „Zu was die Kollektivwirtschaften geführt haben, das werden wir nie vergessen! Was mein ist, ist heute, Gott sei Dank, wieder mein und ich bin nicht bereit, es gemeinsam zu bearbeiten. Ich mache, was ich kann, und schlage mich durch!“

Einer der Lektoren aus Deutschland brachte den Teilnehmern Modellrechnungen bei, wie man die Kosten eines Traktors pro Flächeneinheit berechnen kann. Und unweigerlich kam die Frage auf, womit der Traktor gekauft werden kann, wenn die Banken keine Kredite geben. „Na was wäre denn, wenn sich zwei unter Ihnen zusammentun würden und gemeinsam einen Traktor kauften?“, fragte der Vortragende, mit deutscher Erfahrung im Hinterkopf. Prompt und einstimmig bekam er zur Antwort: „Nichts als Streit!“ – Übrigens: Wer meint, dass die heutigen Bauern im Banat denk- und sprechfaul und stumpf seien, der sollte mal ein paar Stunden bei einem solchen Lehrgang verbringen. Alles, was ans Praktische grenzt, wird richtig aufgesaugt, man kann spüren, dass nach so etwas gelechzt wird, die Leute sind spontan, offen, gesprächsbereit, voller Fragen und auch mit Selbstironie, keineswegs aber apathisch oder resigniert. Man kann da richtige Kämpfertypen kennenlernen – die gerade dort leben, wo man sie nie vermuten würde: am Land.

Pläne haben und auf Gott vertrauen

Auch der alte Ilie Codilã hinterlässt diesen Eindruck: Seinen Besitz kennt er genau: 7,01 Hektar, „nachdem ich in diesem Frühjahr 0,17 Hektar hinzugekauft habe. Darauf stehen 40 Birnbäume, 20 Kirschbäume, 20 Walnussbäume und 400 bis 500 Pflaumenbäume diverser Sorten – außer Stanley, die wachsen bei uns in Teregova nicht. Zu Hause, „în plat“ (das Banater rumänische „plat“ kommt vom habsburgischen „Hausplatz“, der im 18. Jahrhundert vermessen wurde und heute noch die Grundlage der Grundbücher bildet), hat er auf 1000 Quadratmeter weitere 180, großteils („75-80 Prozent“) veredelte Pflaumenbäume, stehen. 

Sein Ideal ist es, demnächst einen Verkauf ab Hof einzurichten, vor allem für edle Pflaumenschnäpse und Quitten. Außerdem möchte er die alten Pflaumensorten – „die gelblich-weißen, die den besten Schnaps liefern, weil sie am süßesten werden“ – weiter flächendeckend pflanzen, „weil ich noch zu viele vereinzelt stehende Obstbäume habe“. Und er setzt auf Quitten: „Die blühen spät, sind vor Spätfrösten bei uns in den Bergen sicher, die Früchte können ohne viel Aufwand lange aufbewahrt werden und die Marmeladen, Kompotte oder Gelees daraus gehören zum Edelsten, was unsere Frauen in der traditionellen Küche so machen können!“

Auf die vielen Pläne angesprochen, die er in seinem Alter hat, schmunzelt er: „Mein Großvater hat 100 Jahre und 117 Tage gelebt. Wenn ich einen halben Tag lang Heu gemäht habe, denke ich mir abends: Du hast doch ein großes Glück, dass der Herrgott dir wieder einen Tag voller Genugtuungen geschenkt hat. Langlebige Leute wie wir können vieles erleben. Man muss nur Gott vertrauen. Und Pläne haben.“