Der bezahlte Wachhund der Demokratie

Parteigelder und die rumänischen Medien

Parteifinanzierung aus öffentlichen Geldern. Momentaufnahme aus „Der Preis des Schweigens. Eine Untersuchung der Buchhaltung der Parteipresse“. Quelle: recorder.ro

Spricht man von der „vierten Gewalt im Staat“ oder dem „Wachhund der Demokratie“, so bezieht man sich auf die Presse in ihrer Gesamtheit: Druck, Funk, Online usw. und ihre Aufgaben - einerseits als Kontrollinstanz der Politik, andererseits als verantwortlicher Mitgestalter der öffentlichen Meinungsbildung. Zugleich sollten die Medien eine Brücke zwischen den Interessen und Bedürfnissen  der Wähler und den von ihnen gewählten Vertretern sein. Was passiert aber, wenn der Wachhund an die Leine gelegt wird und seiner Bestimmung nicht mehr gerecht werden kann? Und für den Fall, dass er sich doch losreißen könnte, ihm ein Maulkorb angelegt wird, damit er zwar kläffen, aber nicht beißen kann?

Die Gratwanderung, welche die Presse begehen muss, ist bei Weitem keine einfache. Jeder gesunde Menschenverstand wird akzeptieren, dass der Kampf um das wirtschaftliche Bestehen von Medien für diese oft im Vordergrund steht. Dies darf aber keine Rechtfertigung sein für ein Angebot wie im Schaufenster des Rotlicht-Millieus, wo jeder Freier für Geld eine nach Lust und Laune tanzende Presse kaufen kann. In einer digitalbestimmten Welt, in der jeder seine eigene Wahrheit hinausposaunen kann und darf, sollte die Presse ein Gleichgewichtspol bleiben.

Der rumänische Medienmarkt

Seit der Wende im Dezember 1989 ist die rumänische Presse einen weiten Weg gegangen. Von Ion Cristoius Huhn, welches lebendige Küken gebiert (der am 28. September 1993 in der Tageszeitung „Evenimentul Zilei“ veröffentlichte Artikel, gilt in der rumänischen Presse als die Geburtsstunde der niveaulosen medialen Effekthascherei), zu den Recherchen von C²t²lin Tolontan zu Hexipharma 2016 (in Folge eines Brandes in einer Bar, dem 64 Menschen zum Opfer fielen und weitere 186 schwere Brandwunden davontrugen, deckte das Team der Sportzeitung „Gazeta Sporturilor“ auf, dass Hexipharma die rumänischen Krankenhäuser mit gepanschten und verdünnten Desinfektionsmitteln belieferte) bis hin zu den Plagiatsuntersuchungen von Emilia [ercan heutzutage, war der Weg gewunden, manchmal holprig und steil, aber erlaubte keine Umkehr. Der rumänische Pressekonsument lernte Begriffe wie Pressefreiheit, Recht auf Information, objektive Berichterstattung kennen, aber weiß inzwischen auch, was Einflussnahme, Informationsverweigerung, Whistleblower (Hinweisgeber) und Kompromat bedeuten. Trotzdem ist das, was man heutzutage unter dem Begriff Medienkompetenz versteht, im Gesamtbild der rumänischen Gesellschaft eher eine Seltenheit.

In der rumänischen Medienlandschaft gehören Zeitungen fast schon der Vergangenheit an. Die Printmedien bewegen kaum noch das Zünglein an der Wage: Die höchste Auflage hat, laut brat.ro, die Tageszeitung „Libertatea“ mit täglich  22.088 gedruckten Exemplaren, gefolgt von der Tageszeitung der Rumänischen Orthodoxen Kirche „Ziarul Lumina“ mit 21.986 Exemplaren. Die Zahlen gelten für die Zeitspanne April – Juni 2022. Dafür gibt es mehr als 20 landesweite Nachrichtensender, die von jedem Kabelanbieter geführt werden. Die wichtigste Informationsquelle bleibt in Rumänien der Fernseher, wobei dieser bei der jüngeren Generation durch das Internet ersetzt wird. Damit steht unser Land voll im europäischen Trend.

Wie überall auf der Welt müssen sich auch in Rumänien die Medien auf dem Markt behaupten. Die Frage nach dem finanziellen Überleben ist zentral. Einerseits geschieht dieses über Werbung, was die eher niedrigen Marktanteile der Nachrichtensender erschweren. Was aber noch längst nicht bedeutet, dass sich Nachrichtensender vor dem Aus befinden. Doch fraglich ist, ob dies eine Finanzierung aus Parteimitteln rechtfertigt, zumal diese durch die rumänische Gesetzgebung verboten ist.  Außerdem handelt es sich dabei nicht einmal um parteieigene Finanzmittel, sondern um Gelder der öffentlichen Hand, welche an die Parteien zur eigenen Finanzierung ausgeschüttet werden. Diese staatliche Förderung ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen.  

Wenn die Partei Presse macht

Am 14. September 2022 veröffentlichte das Internetportal recorder.ro, ein journalistisches Unternehmen, spezialisiert auf investigativen Journalismus, eine Recherche mit dem Titel: „Der Preis des Schweigens. Eine Untersuchung der Buchhaltung der Parteipresse“ (Pre]ul t²cerii. O investiga]ie în contabilitatea presei de partid). Die drei AutorenVictor Ilie, Mihai Voinea und Cristian Delcea machen sich auf und „folgen dem Geld“, um zu verstehen, in wie weit die Mächtigen die Tagesagenda des Nachrichtenflusses bestimmen und wie die wichtigsten Medienkonzerne aus Parteimitteln finanziert werden. Über den komplizierten Weg, der dabei eingeschlagen wird - die Gelder fließen über mehr oder weniger direkte Wege an die Medienunternehmen -, sei an dieser Stelle nicht die Rede. Viel besorgniserregender ist die Reaktion der Medienvertreter. Wenn sie überhaupt auf die Fragen der Reporter antworten, dann nur gemäß dem rumänischen Sprichwort: „Weder habe ich Knoblauch gegessen, noch stinkt mein Mund“.

Doch wirft die Recherche von reporter.ro eine wichtige Frage auf: Wenn die wichtigste Informationsquelle des rumänischen Wählers sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Geldern der Parteien befindet, inwieweit kann sie noch ihrer Aufgabe gerecht werden, unvoreingenommen zu informieren? Die rumänische Gesetzgebung erlaubt Parteien, für Sendezeit nur während der Wahlkampagnen zu bezahlen, wobei diese als solche ausgewiesen werden muss. 2019 und 2020 sollen laut dem Rumänischen Zentralen Wähleramt während Wahlkampagnen mehr als 22 Millionen Euro von Parteien an Medienkonzerne ausgezahlt worden sein. Der rumänische Politiker befindet sich aber bekann-terweise in einem immerwährenden Wahlkampf, also wurden Mechanismen entwickelt, um die Tagesagenda auch außerhalb des gesetzlich bestimmten Rahmens zu beeinflussen. So erklärt sich einerseits die Erhöhung der staatlichen Parteiförderung, die sich diese selbst Jahr für Jahr genehmigen, andererseits der Geldfluss, der die Mehrheit der Sender „an der Leine“ hält.   

Statt dem rund um die Uhr mit Breaking News bombardierten Zuschauer eine Auswahl relevanter Informationen anzubieten, auf deren Basis er sich selbständig eine Meinung bilden kann, werden ihm diese entweder vorenthalten oder portionsweise mundgerecht vorgekaut, nach der Vision der dafür zahlenden Partei.

Rechnet man das im Allgemeinen niedrige mediale Bildungsniveau in Rumänien dazu, entstehen die idealen Voraussetzung für ein verzerrtes Realitätsbild. Die Covid-19 Pandemie hat dies deutlich vor Augen geführt, wo Verschwörungstheorien massiv verbreitet und Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen gesät wurden.

Zwei Fronten stehen sich gegenüber

Ob in diesen Fällen von Fake News gesprochen werden kann, ist eine weite Debatte. Dazu schreibt der berühmte Kolumnist Sascha Lobo in seinem Buch: „Realitätsschock“ (Kiepenheuer&Witsch 2019): „Fake News und Verschwörungstheorien töten. Das ist die Feststellung, die zuallererst getroffen werden muss, denn die Debatte darum erscheint zerfasert. Auch weil Fake News kein einheitlich verwendeter oder definierter Begriff ist. Man versteht darunter sowohl brandneue wie auch uralte Medienereignisse. Dazu zählen Propaganda, Lügen, Zeitungsenten, Satire, simple Fehler, veraltete Informationen, inzwischen widerlegte Vermutungen, schwer oder gar nicht Überprüfbares, Zuspitzungen, weitergehende Interpretationen und subjektiv legitime Verkürzungen. Zudem benutzen autoritäre Akteure Fake News als Kampfbegriff, um die freie Presse zu delegitimieren.“

In den letzten 20 Jahren haben sich in Rumänien mehrere Onlinepublikationen behaupten können, die sich zur Aufgabe gemacht haben, mittels tiefgehender und langwieriger Recherchen, Korruption mit all ihren Facetten und Erscheinungsformen aufzudecken. Nicht selten gelangen diese in direkte Konfrontation mit den eher traditionellen Medien. Dieser „Clash“ kann auch durch die unterschiedlichen Finanzierungsformen der entsprechenden Medien erklärt werden. Als Beispiel dazu dienen die Hetzkampagnen gegen Emilia [ercan, die sich durch das Aufdecken von unzähligen Plagiaten von Politikern einen Namen gemacht hat, und Valeriu Nicolae, der sich mit der Analyse der Lebensläufe von Politikern und deren Verwandten, die in der guten Tradition des Nepotismus unabhängig ihrer Qualifikation mit Arbeitsstellen im staatlichen Aparat versehen werden, beschäftigt. Beide, sowohl [ercan wie auch Nicolae, sind der akademischen Korruption und dem intellektuellen Diebstahl auf der Spur, denn es gibt so gut wie keinen Bereich in Rumänien, der eine größere Dichte an Doktortitelträgern nachweisen kann, als die Politik.   

Andererseits stehen diese freien Medien großen Kolossen gegenüber. Hier sei der Kampf zwischen safielumina.ro und dem Patriarchat der Rumänischen Orthodoxen Kirche zu erwähnen. Es bedurfte eines dreijährigen Prozesses, um das Patriarchat zu zwingen, Daten zur Nutzung von öffentlichen Geldern gemäß Gesetz 544 / 2011, welches den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse regelt, freizugeben.

Um das Bild zu vervollständigen, muss man auch ein Auge auf den jährlichen Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ werfen. In der für 2022 veröffentlichten „Rangliste zur Pressefreiheit“ belegt Rumänien Platz 56 von 180 (unter der Rubrik: Erkennbare Probleme). Im Vergleich zu 2021 ist Rumänien im Ranking um acht Plätze gesunken und wird von Staaten wie die Republik Moldau, Burkina Faso oder Armenien überholt.

Pressefreiheit – ein Problem auf EU-Ebene

In einem Interview für Euronews vom 19. September 2022 reagierte Vera Jourova, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, auf genau das Thema der Beziehung von Politik und Pressefreiheit. „Wir brauchen rechtsverbindliche Regeln, um die Medien in Europa besser zu schützen, denn wir stellen in fast allen Mitgliedsstaaten eine negative Entwicklung fest. Wir haben ein europaweites Problem des politischen Drucks und der wirtschaftlichen Not der Medien.(...)Wir erkennen, dass nicht genug Transparenz herrscht, wenn es um Eigentumsverhältnisse in den Medien und Werbung mit öffentlichen Geldern geht.“ Ziel der geplanten Gesetzgebung sei es, die Medien gegen politische  Einmischung zu wappnen, die Medienschaffenden vor der Nutzung von Ausspähprogrammen zu schützen und ein Gleichgewicht zwischen den Medien und den Online-Plattformen zu schaffen. „Wir wollen, dass die von hauptberuflichen Journalisten erstellten Inhalte überleben und nicht entfernt oder irgendwie verdrängt werden“,  fügte die Vizepräsidentin der Kommission hinzu.  

 Die Jugend und ihre Lektion

Presse sollte sich als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Politik verstehen. Erst von dieser Warte aus darf sie den Schutz ihrer Freiheit von beiden Seiten einfordern. Im deutschsprachigen Raum wird zwischen der äußeren und der inneren Pressefreiheit gesprochen. Die äußere bezieht sich auf die externen Faktoren, die Einfluss auf Medieninhalte und Berichterstattung ausüben können, dabei bezieht man sich auf Politiker, Lobby- und Interessengruppen, welche Inhalte in die eine oder andere Richtung lenken wollen. Die innere hingegen hat die Inhaber, Redaktionsleiter oder die eigenen finanziellen Interessen im Fokus. Diese scheint ein wichtiger Teil der rumänischen Presse freiwillig aufgegeben zu haben. Bis diese den Weg zurückfinden werden, bleibt die unabhängige Presse die vertrauenswürdige Informationsquelle, damit sind mediale Projekte gemeint, die sich gegen öffentliche Geldern jeder Art sperren (siehe G4Media, Biziday, reporter.ro, presshub.ro,  usw.), die sich durch Spenden oder EU-Mitteln finanzieren und meistens nur als Onlinemedium vorhanden sind.

Eine Lanze soll auch für die sogenannten Faktenchecker gebrochen werden. Zwar hilft der von Google angebotene „Fact-check-explorer“ als Suchmaschine, doch stecken hinter rumänischen Projekten wie „Misreport“ (wöchentliche Zusammenschau der wichtigsten nationalen und internationalen Fake News mit Richtigstellungen, per Mail kostenlos zu abonnieren) und „Funky Citizens“ (Beispielhaft ihre App: „Harta banilor publici“, die Karte der öffentlichen Gelder, anhand derer der Einsatz von öffentlichen Geldern und entsprechenden Projekten interaktiv nachverfolgt werden kann) viele Stunden freiwilliger Arbeit, die zu einer Genesung der rumänischen Medienlandschaft beitragen.

Als Medienkonsumenten sind wir Teil eines Informationskrieges, der seit mehreren Jahren auf den unterschiedlichsten Ebenen ausgetragen wird. Den Medien zu entsagen aber bedeutet, die Flinte ins Korn zu werfen. Rumänien braucht nicht nur mündige Politiker und eine aktive Zivilgesellschaft, sondern auch eine unvoreingenommene Presse. Letztendlich aber ist es unser eigenes Informationsverhalten, welches die Entwicklung der rumänischen Medien bestimmt. Ein Beispiel können uns hier die jungen Generationen liefern, die sich längst nicht mehr auf ein einziges Medium festnageln lassen wollen. Zwar wird der Jugend  oft Online-Verdrossenheit vorgeworfen, doch ihr Verhalten im Netz kann uns lehren. Dazu schreibt Sascha Lobo in seinem schon zitierten Buch: „Die Generation Z, die in diesem Jahrtausend Geborenen, ist im Durchschnitt bei neun verschiedenen Social Networks angemeldet und verwendet fünf bis sechs davon aktiv (USA 2017). Verschiedene Gruppen und soziale Zusammenhänge werden über unterschiedliche Netzwerke angesteuert, im schnellen Wechsel, je nachdem, was momentan als hip gilt. Dieses Verhalten ist das derzeit bestfunktionierende Mittel gegen digitale Monopole. Es reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Digitalkonzernen erheblich. Manchmal dreht es die Abhängigkeit sogar um und die Plattform ist gezwungen, sich um die Nutzer zu bemühen, denn die haben eine echte Auswahl, kennen echte Alternativen. Das taugt hervorragend als Gegenwehr…“. Was natürlich noch keine Qualitätsgarantie mit sich bringt. Diese zu sichern können nur wir als Konsumenten, in dem wir versuchen, durch unseren – ja, auch finanziellen - Einsatz den Journalisten den Rücken frei zu halten, so dass sie weiterhin unsere Wachhunde der Demokratie sein können.