Der Mann mit dem Dudelsack lässt sich nicht beirren. Mit stoischer Ruhe steht er auf dem Deck des Ausflugsdampfers und bläst Melodien, die hier im nordfriesischen Wattenmeer recht exotisch wirken, denn diese Melodien sind traditionelle bretonische Weisen. Was tut der Mann mit dem Dudelsack so weit weg von seiner Heimat an der rauen Atlantikküste? Jean-Pierre Levesque ist Sekretär des Bretonischen Kulturinstituts, das seit gut einem Jahr Mitglied der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) ist, und sein Instrument – die bretonische „Binioů kozh“ – spielt er bei einer Exkursion im Rahmen des FUEN-Kongresses in Hüsem/Husum, bei der die Teilnehmer die Nordfriesen und ihre Welt kennenlernen wollen.
Von der FUEN erhoffen sich die Bretonen Unterstützung für ihre Anliegen. Und da gäbe es viel zu tun. Von der UNESCO wird die bretonische Sprache als ernsthaft bedroht eingestuft. In Zahlen bedeutet das: „Heute sprechen 200.000 von fünf Millionen Einwohnern der Bretagne Bretonisch; 1910 waren es noch eineinhalb Millionen“, erklärt Levesque. Der Großteil ist über 60 Jahre alt, und beim Nachwuchs schaut es eher schlecht aus.
Dabei wird heute einiges getan zur Förderung der einzigen keltischen Sprache auf dem europäischen Festland, nachdem sie in Frankreich – wie alle nicht-französischen Sprachen und wie auch die regionalen Mundarten – über Jahrhunderte hinweg unterdrückt und nur das Standardfranzösische in der Öffentlichkeit und im Bildungswesen erlaubt war. Der französische Zentralismus hatte immer wieder heftige Proteste zur Folge, die vor einigen Jahrzehnten auch zur systematischen Beschmierung einsprachig französischer Ortsschilder und zu gewalttätigen Aktionen bis hin zu Bombenanschlägen der Bretonischen Befreiungsfront FLB geführt hatten.
In den 1970er-Jahren gab es eine Öffnung. 1977 wurde die Charta für die bretonische Kultur unterschrieben, ein eigener Kulturrat für die Bretagne, der die Politik beraten sollte, wurde eingerichtet, und 1981 wurde das Bretonische Kulturinstitut gegründet. „Die Maßnahmen waren nicht sehr konkret, aber sie bedeuteten die Anerkennung der bretonischen Identität“, sagt Jean-Pierre Levesque. Das Geld für diese Initiativen kommt nur zu einem sehr kleinen Teil vom Zentralstaat, der sonst alles und jedes in Frankreich regeln will: Die Mittel müssen die Region, die Departements und die Gemeinden aufbringen.
Dennoch blühte die Bretagne kulturell wieder auf. Ein wichtiger Pfeiler dieser Entwicklung ist der Ausbau des Bretonisch-Unterrichts in den Schulen. 1977 wurde der Verein Diwan (bretonisch für Keim, Saat) gegründet, der in seinen privaten Schulen auf Immersion setzt. Nach und nach wurde das Angebot erweitert. Andere private Träger zogen mit paritätischem zweisprachigen Unterricht nach, so dass sich am Ende auch das öffentliche Schulwesen gezwungen sah, Bretonisch in seinen Schulen anzubieten. „Es ist inzwischen möglich, von der ersten Klasse bis zum Abitur die Schule auf Bretonisch zu absolvieren; Mathematik darf aus unerfindlichen Gründen aber nur auf Französisch unterrichtet werden“, sagt Jean-Pierre Levesque.
Die Förderung des Bretonischen ist in der Bretagne weitgehend akzeptiert; es wird sogar mehr Unterricht in Bretonisch gewünscht. Das gilt auch für Nicht-Bretonen: „Nicht die französischen Bürger hassen die Bretonen; sie lieben sie“, sagt Levesque: „Es sind die Regierung und die Eliten, die die Bretonen hassen.“
Durch die Bretonisch-Angebote in den Schulen wurde allerdings höchstens der weitere Rückgang bei der Weitergabe der Sprache aufgehalten; gerade bei der Bevölkerung zwischen 20 und 50 Jahren klafft eine große Lücke. Und das Angebot an bilingualem oder immersivem Unterricht reicht nicht aus: Es gibt ihn in gerade einmal zehn Prozent der Schulen. 20.000 Schüler profitieren von diesem Angebot. Jüngst wurde eine Übereinkunft erzielt zwischen Staat und Region, dass diese Zahl auf 30.000 gesteigert werden soll. Dem stehen aber große Probleme entgegen, wie die ungenügende Finanzierung und vor allem der große Mangel an Lehrern, die des Bretonischen mächtig sind.
Große Bemühungen werden unternommen, um das Bretonische im öffentlichen Leben sichtbarer zu machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Amt der Bretonischen Sprache (bretonisch „Ofis publik ar Brezhoneg“), eine 1999 gegründete Institution, die in bretonischer Sprache für diese Sprache arbeitet. Sie ist in jedem der fünf Departements der historischen Bretagne präsent. Ihre Aufgaben sind die Förderung der Zweisprachigkeit in allen Bildungsniveaus in den Schulen, das Amt bietet darüber hinaus Hilfe bei Übersetzungen und Unterstützung jeder Art für die Verwendung des Bretonischen und arbeitet an der bretonischen Ortsnamensgebung mit (seit den 1980er-Jahren sind zweisprachige Ortsnamen zulässig). Drei Viertel der Finanzmittel für diese Arbeit kommen von der Region Bretagne, der Staat steuert nicht einmal zehn Prozent bei.
Was fordern die Bretonen von der Regierung? „Vor allem die Wiedervereinigung der historischen Bretagne in einer Region“, sagt Jean-Pierre Levesque, denn die altbewährte machtpolitische Devise „Teile und herrsche“ hat vor Jahrzehnten auch Frankreich befolgt und die fünf Departements auf zwei Regionen aufgeteilt: Finistère (bretonisch Penn-ar-Bed), Côtes d’Armor (Aodoů-an-Arvor), Morbihan (Mor-bihan) und Ille-et-Vilaine (Il-ha-Gwilen) gehören zur heutigen Verwaltungseinheit Bretagne. Loire-Atlantique (Liger-Atlantel) aber wurde von der Bretagne (bretonisch Breizh) abgetrennt und gehört heute zur Region Pays-de-la-Loire. Es hätte mehrmals Anlässe gegeben, um die Bretagne wiederzuvereinen, doch Paris denkt gar nicht daran: Die Integrität des Staates muss schließlich geschützt werden, lautet das Argument. „Die politischen Eliten wollen auch kein Referendum zu dem Thema durchführen, was leicht möglich wäre. Sie wissen warum: Sie haben Angst vor dem Ergebnis“, sagt dazu Jean-Pierre Levesque.
So bleibt Rennes (bretonisch Roazhon) weiterhin die neue Hauptstadt der Region Bretagne, während die historische bretonische Hauptstadt Nantes (Naoned) außen vor bleibt. Nantes allerdings hat noch einen weiteren Namen, der ebenfalls nicht französisch ist: Naunnt lautet er in Gallo, der zweiten Sprache der Bretagne, die seit jeher im Osten des Landes gesprochen wird. Gallo gehört wie Französisch zu den galloromanischen Sprachen, darin aber zur Untergruppe der Oil-Sprachen: Wie Frankoprovenzalisch, Okzitanisch, Katalanisch und Rätoromanisch hat sich Gallo aus dem Vulgärlateinischen entwickelt. Es ist zwar die einzige Langue d’oil, die vom Bildungsministerium als Regionalsprache anerkannt ist, aber trotzdem eine der am wenigsten unterrichteten Regional-Sprachen in Frankreich. 200.000 Sprecher gibt es.
Es gibt Sprachwissenschaftler, die Gallo die Qualität als eigene Sprache absprechen und es als regionale Mundart (patois) bezeichnen. Aber spielt das eine große Rolle, wenn die Sprecher anderer Ansicht sind und Gallo gefördert wissen wollen? Immerhin befürworten dies viele Bewohner des Departements Loire-Atlantique. Solidarität erfahren sie aus der übrigen Bretagne: Die Charta für die bretonische Kultur von 1977 ermöglicht Initiativen zur Entwicklung der Bildung und der Kultur in Gallo, und 2004 wurde Gallo von der Bretagne als eine Sprache der Bretagne anerkannt.
„Ich bin Optimist, wenn wir auch in einer schwierigen Lage stecken“, sagt Jean-Pierre Levesque. Er beklagt ein französisches mediales und politisches Trommelfeuer gegen alles Bretonische. „Aber dennoch wollen immer noch 70 Prozent der Bürger von Loire-Atlantique zurück zur Bretagne. Das ist wundervoll“, sagt der Mann mit dem Dudelsack.
Er hat beim FUEN-Kongress ein Anliegen eingebracht, das die Probleme der Bretagne verdeutlicht. Die Anwendung eines vor zwei Jahren verabschiedeten Staatsgesetzes führe zur Debretonisierung, beklagt das Bretonische Kulturinstitut. Bei der Digitalisierung der Straßennamenverzeichnisse verschwinden demnach oft die bretonischen Namen; andere Straßen, die bisher gar keine Namen trugen, bekommen rein französische Namen. „Aus rein technischen Gründen verschwindet unser Spracherbe“, beklagt das Kulturinstitut in einer Resolution, die der FUEN-Kongress einstimmig angenommen hat, und weiter: „Die Tendenz zur Auslöschung regionaler Besonderheiten ist eine Konstante im tiefgreifenden Handeln des französischen Zentralstaates, der auf Zeit spielt.“
Der Mann mit dem Dudelsack aber gibt nicht auf. „Sie können uns nicht aufhalten, zu tanzen und Musik zu machen. Wir machen das dauernd,“ sagt Jean-Pierre Levesque und stellt das mit seiner Binioů auf dem Ausflugsdampfer im Wattenmeer eindrücklich unter Beweis.