Der Lenker unseres Schicksals

Wort zum Sonntag

Alles Schwere, das uns Menschen ohne unser Zutun begegnet, zumal wenn es tief erschütternd in unser Leben eingreift, wie die Russlanddeportation, nennen wir Schicksal. Leicht verbindet sich damit die Vorstellung, dass wir einer blinden, unentfliehbaren, gegen unser Wohl und Wehe gleichgültigen Macht willenlos unterworfen sind. So stellten es sich die alten Völker vor. Die Griechen glaubten, dass die Moiren (Schicksalsweberinnen) den Lebensfaden jedes Menschen weben, den dieser nach und nach abspulen musste. Bei den Römern hießen sie „Parzen“, bei den Germanen „Nornen“. Diese Schicksalsweberinnen standen als Vertreterinnen der blind wirkenden Schicksalsmacht noch über den Göttern, die in ihrem Werden und Vergehen auch dem Schicksal (Fatum) unterworfen seien.

Was glauben wir? Alle Atheisten sind Schicksalsgläubige, weil sie die Entstehung und Leitung der Welt nicht einer überweltlichen und übervernünftigen Ursache, also Gott, zuschreiben, sondern einer vernunftlosen, aber doch machtvollen Ursache. Sie glauben, dass alle Naturgesetze, die den Gang der Dinge und auch das Leben der vernünftigen Wesen regeln, einer vernunftlosen Macht unterworfen sind. Also, wir Menschen, mit Vernunft begabte Wesen, verdanken unser Dasein einer blinden vernunftlosen Ursache, der wir nicht entrinnen können. Warum glauben sie so fest daran? Der Grund: Einer vernunftlosen blinden Macht ist man über sein eigenes Leben keine Rechenschaft schuldig. Man kann sich alle „Freiheiten“ erlauben, sein eigener Herr sein und sich nach Lust und Liebe und finanziellen Möglichkeiten sein Leben gestalten, ohne sich um die Gebote Gottes „Du sollst“ und „Du sollst nicht“ kümmern zu müssen. Wenn alles nach blindem Schicksal geschieht, dann gibt es keine Verantwortung. Die Gottesleugner sind für die „schrankenlose sittliche Freiheit“. Ist das die wahre und ersehnenswerte Freiheit? Der Dichter Logau ist ganz anderer Meinung, der jeder überzeugte Gottgläubige zustimmt: „Wenn dieses Freiheit ist: frei tun nach aller Lust, so sind ein freies Volk die Sau’in ihrem Wust.“

Wer fest an Gott glaubt, fühlt sich nicht einer vernunft- und herzlosen blinden Macht unterworfen. Diese Überzeugung hat ein christlicher Maler in einem Bild zur Frage „Mensch und Schicksal“ zum Ausdruck gebracht. Er malte ein Bild, das ein Segelschiff im Sturm darstellt. Darunter schrieb er die Worte: „Gottes sind Wogen und Wind, Segel aber und Steuer, dass ihr den Hafen gewinnt, sind euer!“ Gewiss: Wir können die meisten Dinge dieser Welt nicht selbst gestalten, viele sind uns „schicksalshaft“ vorgegeben. Wir wurden nicht in ein Königshaus hineingeboren wie die englische Königin. Viele von uns kamen in ärmlichen Verhältnissen auf diese Welt, viele mussten das Elend der Russlanddeportation machtlos ertragen. Schwere Schicksalsschläge können Menschen zerbrechen. Was Menschen in schweren, leidvollen Zeiten nicht verzweifeln lässt, ist nicht der Glaube an ein blindes, vernunftloses, herzloses Schicksal, sondern der Glaube an einen all-mächtigen, Menschen liebenden Gott. Deshalb blicken die Gottgläubigen hoffnungsvoll in die Zukunft und stimmen dem Dichter zu: „Lass die Winde stürmen auf des Lebens Bahn; ob sie Wogen türmen gegen deinen Kahn. Schiffe ruhig weiter, wenn der Mast auch bricht; Gott ist dein Begleiter; Er verlässt dich nicht!“

Viele Menschen sind der Meinung, dass dieses eine Strafe Gottes sei, wenn einem Mitmenschen ein Unglück widerfährt. Das glaubten auch die Bewohner von Malta. Das Schiff, das den Apostel Paulus nach Rom bringen sollte, versank vor Malta in den Fluten. Alle Schiffbrüchigen wurden gerettet. Es wurde ein Feuer angezündet und Paulus legte einen Haufen Reisig auf das Feuer. Eine darin verborgene Giftschlange biss sich an seiner Hand fest. Da sagten die Einheimischen: „Dieser Mensch ist gewiss ein Mörder: Die Rachegöttin lässt ihn nicht leben, obwohl er dem Meer entronnen ist!“ Als aber nichts Schlimmes geschah, meinten sie, er sei ein Gott.

Christus tritt im Lukasevangelium der verbreiteten Meinung entgegen, dass Unglücksfälle immer eine Strafe Gottes seien. Man brachte ihm die Kunde, dass Pilatus beim Opfern mehrere Galiläer umbringen ließ. Jesus sagte: „Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren und die übrigen Galiläer nicht? Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden, Schuld auf sich geladen haben, die übrigen Einwohner Jerusalems nicht?“ Er fügte die Mahnung hinzu: „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt!“ Gott steht nicht als Zuchtmeister hinter uns, sondern als helfender Vater. Das bekennen wir, wenn wir beten „Vater unser… Dein Wille geschehe!“ Kein blindes Schicksal, sondern der allmächtige und helfende Vatergott ist „der Lenker unseres Schicksals“.