Der Wald als Balsam für Körper und Seele

Wie das Konzept des „Waldbadens“ unser Wohlbefinden verbessern kann

Der Wald als Organismus | Foto: Gustav Gullstrand, www.unsplash.com

Es muss nicht immer Joggen sein... | Foto: Hendrik Morkel, www.unsplash.com

Durch kurze Kleidung kann man bei passenden Temperaturen deutlich mehr Botenstoffe aufnehmen. Viele Terpene kommen in Harzen vor, etwa von Kiefern. | Fotos: Abdur Ahmanus, www.unsplash.com; Wikimedia Commons

Durch kurze Kleidung kann man bei passenden Temperaturen deutlich mehr Botenstoffe aufnehmen. Viele Terpene kommen in Harzen vor, etwa von Kiefern. | Fotos: Abdur Ahmanus, www.unsplash.com; Wikimedia Commons

Der Sommer neigt sich dem Ende zu, und der Herbst beginnt langsam mit der Verwandlung der Natur. Die Blätterdächer vieler Bäume leuchten bald in vielen bunten Farben: Die Bäume im Wald laden in neuem Gewand zu einem Besuch ein. So zieht der Wald viele Menschen nahezu magisch an. 

Für viele Wanderer, Sportler und Erholungsuchende ist der Platz zwischen den Bäumen eine regelrechte Wohlfühloase. Dass Bäume auch eine heilende Wirkung haben, ist längst bekannt. Wie der Wald für uns zur Medizin werden kann, zeigt ein Trend aus Japan: das sogenannte „Waldbaden“ findet seit Kurzem auch verstärkt den Weg nach Europa.

Lange Tradition in Japan

Der Begriff des „Waldbadens“ entstand in den 1980er Jahren als „shinrin-yoku“ in Japan. Der Wald wurde als Heilmittel gegen die durch den Technologieboom zunehmend auftretenden psychischen und physischen Erkrankungen (wieder) entdeckt. In Form einer Naturtherapie wurden die Menschen dabei inspiriert, sich wieder mit den Wäldern des Landes zu verbinden und diese gleichzeitig auch zu schützen. Seither ist diese Waldmedizin eine anerkannte Wissenschaft. Sie attestiert dem Waldbaden einen spürbaren Effekt zur Verbesserung psychischer und körperlicher Beschwerden. Ärzte schwören auf die Therapie und verordnen sie nicht selten ihren Patienten, um beispielsweise psychische Krankheiten oder Herz-Kreislauf-Beschwerden ohne konventionelle Arzneimittel, die oft unangenehme Nebenwirkungen haben, zu kurieren. Die Japaner gehen davon aus, dass alle natürlichen Dinge über eine Seele verfügen. Jahrhundertealte Bäume gelten als heilig. Das Konzept der Waldmedizin bzw. der Waldtherapie hat in Japan daher auch eine starke spirituelle Komponente und ist fest in der Gesellschaft etabliert.

Wie funktioniert das Bad zwischen den Bäumen?

Das Waldbaden ist so einfach, wie man es sich vorstellt. Strikte Regeln gibt es nicht. Wie lange ein Waldbad dauern sollte, ist auch nicht festgelegt, es können aber durchaus mehrere Stunden sein. Auch ein kürzeres Eintauchen von 20 bis 30 Minuten täglich kann laut einer US-amerikanischen Studie schon dabei helfen, das Stresshormon Cortison im Blut zu reduzieren. Jeder kann sich sein Erlebnis in der Natur selbst nach seinen Wünschen kreieren. Im Mittelpunkt sollte die Fokussierung auf die Waldumgebung stehen. Dabei ist es wichtig, sich ganz auf ihn einzulassen und ihn für eine gewisse Zeit bewusst wahrzunehmen. Am besten lässt man dabei das Mobiltelefon zuhause oder schaltet es zumindest in den Flugmodus, so dass man nicht abgelenkt wird. Auch auf die Regelmäßigkeit dieser Waldbäder kommt es an.

Naturerlebnis mit Gesundheitsfaktoren

Wälder verfügen über ein eigenständiges Lokalklima. Zahlreiche Studien japanischer Forscher haben längst nachgewiesen, dass der Aufenthalt im Wald mehrfach positive Auswirkungen auf unser körperliches und psychisches Wohlergehen hat.

Ein regelmäßiger Aufenthalt im Wald entspannt auch die Psyche. Die Eindrücke innerhalb der Natur sorgen zudem für hilfreiche Ablenkung vom oftmals stressigen und reizüberfluteten Alltag. Weitere Studien belegen zudem, dass sich die Verringerung des Stresses infolge von Waldspaziergängen auch positiv auf psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout auswirken oder diesen sogar vorbeugen kann. Des Weiteren weisen wissenschaftliche Befunde darauf hin, dass aufgrund des gesenkten Blutdrucks und des reduzierten Stresslevels auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich reduziert werden können. Die Stärkung der Abwehrkräfte durch die regelmäßige Bewegung im Wald kann auch die Anfälligkeit für weitere Erkrankungen minimieren.

Gut für Stoffwechsel,  Atemwege, Parasympathikus

Das dichte Blattwerk mindert Umwelteinflüsse wie Sonneneinstrahlung, Hitze und Kälte. Die dadurch entstehende höhere Luftfeuchtigkeit ist besonders nützlich für die Befeuchtung der Atemwege, die somit weniger anfällig für Bakterien und Viren werden. Die Bäume bewirken auch eine hohe Konzentration an Sauerstoff in der Luft.

Bäume fungieren auch als Lärmschutz und sorgen durch das Blätterdach für ein angenehmeres Dämmerlicht, das die Augen schont. Die Geräuschkulisse sowie der Duft des Waldes schaffen ein Umfeld, indem wir uns wohlfühlen und das die Aktivität des Parasympathikus steigert. Hierbei handelt es sich um einen Teil des vegetativen Nervensystems. Er ist vor allem in Ruhephasen aktiv und dient der Regeneration des Organismus. Ist der Parasympathikus aktiv, sinken Puls und Blutdruck.

Immunstärkende Botenstoffe

Ein weiterer positiver Effekt eines Waldbades sind besondere Botenstoffe, die von den Bäumen produziert werden. Diese sogenannten Terpene helfen den Bäumen, miteinander zu kommunizieren, um beispielsweise effektiver Pilze oder Schädlinge abzuwehren. Die Absonderung erfolgt durch Blätter und Nadeln und sie befinden sich ebenso in der Waldluft. Beim Waldspaziergang werden die Terpene über die Haut oder die Atmung aufgenommen und gelangen dadurch in den Blutkreislauf. Kurze Kleidung ist deshalb bei geeignetem Wetter empfehlenswert, da so nicht nur mehr Sonnenlicht, sondern auch mehr Terpene aufgenommen werden können. Studien japanischer Forscher auf dem Gebiet der Waldmedizin verweisen darauf, dass die Botenstoffe der Bäume das Immunsystem stärken, indem sie die Aktivität und Anzahl von Killerzellen im Blut erhöhen. Diese natürlichen Killerzellen sind eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen und damit Teil des Immunsystems. Natürliche Killerzellen können beispielsweise Zellen, die mit einem Virus infiziert sind, erkennen und abtöten. Zwei ganze Tage Waldluft im Monat sollen sich bereits positiv auf das Immunsystem auswirken. Wer möglichst viele Terpene aufnehmen möchte, sollte möglichst im Sommer in den Wald, da dann die Konzentration der Terpene am stärksten ist.

Verbesserte Konzentration auf das Wesentliche

Wälder sind faszinierende Organismen, in denen es vielfältige Pflanzen- und Tierarten gibt. Wer sich treiben lässt und sich mit seinen Sinnen ganz auf das Abenteuer in der Umgebung des Waldes einlässt, kann viel Schönes entdecken. Nicht alles ist groß und auf den ersten Blick auffällig. Schaut man jedoch etwas genauer hin, so entdeckt man viele interessante Dinge.  Ein Vogel, dem man aufmerksam lauscht oder auch Beeren, Kräuter sowie Blumen, die  am Rand des Waldweges wachsen. Die sogenannte „Attention Restauration Theory“ weist darauf hin, dass sich das menschliche Gehirn dabei erholen kann.

Muss es immer der Wald sein?

Kann auch ein Spaziergang in einem Park mit Bäumen einen ähnlichen gesundheitsfördernden Effekt bewirken? Studienergebnisse australischer Wissenschaftler akzentuieren die besondere Rolle der Bäume. Sie sind ausschlaggebend bei der positiven Wirkung des Waldes auf die Gesundheit. Dabei sei es zunächst nicht entscheidend, ob diese in einem Wald oder in einem Park stehen. Jedoch ist zu beachten, dass die Menge an Botenstoffen in der Luft mit dem Baumbestand zunimmt. Ein Spaziergang auf einer Grünfläche ohne oder mit wenigen Bäumen erzielt daher laut der Studie nicht den gleichen Effekt wie ein Aufenthalt im Wald.

Was macht man im Winter?

Das Waldbaden ist allgemein auch im Winter eine Option. In den kalten Wintermonaten fehlt es zwar an der Farbenvielfalt, die man in den milderen Jahreszeiten sehen kann. Es mangelt auch am Gesang der Vögel als angenehmes Hintergrundgeräusch. Doch auch der Winter bietet einiges, das man im Wald entdecken kann. Auch während der kalten Jahreszeit befinden sich Terpene weiterhin in der Luft. Grundsätzlich ist Bewegung im Freien zu jeder Jahreszeit gut für Körper und Geist. Der Winter sollte also niemanden vor einem Waldspaziergang abschrecken.

Gesundheitscocktail für jeden

Ein großer Vorteil des Waldbadens ist neben den gesundheitlichen Effekten vor allem auch, dass es von jedem ausgeübt werden kann, unabhängig vom jeweiligen Fitnesszustand. Die einzige Bedingung ist ein zugänglicher Wald in der Nähe. Ebenso ist es eine kostengünstige Methode, seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. In Japan und einigen anderen Ländern gibt es bereits Experten und Institutionen, die das Erlernen des Waldbadens nach professioneller Anleitung anbieten. Die Preise für Kurse im Waldbaden variieren je nach Inhalten des Kurses und je nachdem, wie lange das Waldbaden dauert. Immer mehr Länder machen mittlerweile auch eigens Waldflächen für derartige Therapiezwecke zugänglich. Ein Besuch im Wald ist ein Gesundheitscocktail, den man sich regelmäßig genehmigen sollte.