Die Geschichte der Medizin war seine Lebensaufgabe

Zum Tod des Temeswarer Medizinhistorikers Prof. Thomas Breier

Prof. Thomas Breier (1945-2023) bei der Wissenschaftlichen Tagung der Akademie der Medizinwissenschaften, Temeswar, am 19. September 1981 | Foto: Bildarchiv des Autors

Lehrer, Bürgermeister, Historiker, Publizist – das Wirken Thomas Breiers im Banat war vielseitig und schaffensreich. Von 1979 bis 1989 war er Lehrstuhlinhaber für Chirurgie am Medizininstitut Temeswar. Vor allem mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet  der Temeswarer Chirurgiegeschichte sichert er sich einen Ehrenplatz in der Reihe bedeutender  Banater Persönlichkeiten. Breiers medizinisch-historische Abhandlungen kämen der Arbeit eines Bergmanns gleich, der die Schätze aus dem Dunkel und der Tiefe der Erde ans Tageslicht fördert, befand der angesehene Chirurgieprofessor und langjährige Rektor des Medizininstituts,  Prof. Dr. Pius Brânzeu.

Thomas Breier wurde am 24. August 1945 im siebenbürgischen Klausenburg/Cluj-Napoca als jüngstes von zwei Kindern der Eheleute Sigismund Breier und Josephine Ekkert geboren. Noch im selben Jahr übersiedelte die Familie nach Temeswar. Nach Abschluss der Grundschule in der Elisabethstadt besuchte Breier das Deutsche Lyzeum in der Inneren Stadt. Durch den plötzlichen Tod des Vaters und eine schwere Erkrankung der Mutter geriet er in eine schwierige familiäre Situation, sodass er ins Internat der Schule umziehen musste. Seine Betreuung übernahmen während dieser Zeit die Ehefrauen der Ärzte Prof. Dr. Ioan Mureșan und Prof. Dr. Iosif Bulbuca. In diesem Umfeld entdeckte der junge Thomas Breier schon sehr früh sein Interesse und seine Leidenschaft für die Medizin, die ihn zeitlebens nicht mehr loslassen wird.

Nach dem Abitur 1963 am Nikolaus-Lenau-Lyzeum folgten die Studienjahre an der Fakultät für Geschichte der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, wo er studienbegleitend regelmäßig medizinische Vorlesungen, Symposien und wissenschaftliche Tagungen besuchte. Nach dem Studium kehrte Breier ins Banat zurück. 1967 heiratete er in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare Gerlinde Kappel.

Seine berufliche Laufbahn begann Breier 1968 als Lehrer an der Allgemeinschule in Gottlob. Nach vier Jahren wechselte er an die Sekundarstufe der Allgemeinschule Hatzfeld/Jimbolia, wo er bis 1976 Geschichte und Erdkunde lehrte. Als Vizebürgermeister (1976-1981) – zuständig für Unterricht, Kultur und Gesundheit – und stellvertretender Sekretär des Stadtparteikomitees übernahm er auch Verantwortung für die Geschicke der Stadt. Daneben veröffentlichte er Arbeiten zur Lokalgeschichte und über Hatzfelder Persönlichkeiten und übernahm die Organisation von wissenschaftlichen Tagungen. Von 1981 bis 1989 unterrichtete Breier das Fach Geschichte am Lenau-Lyzeum in Temeswar. Seinen Schülern vermittelte er nicht nur vertiefte Geschichtskenntnisse, sondern auch profunde humanistische Wertvorstellungen.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Pius Brânzeu begann Thomas Breier intensive medizinhistorische Forschungen am Medizininstitut Temeswar, deren Ergebnisse ihren Niederschlag in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten fanden. Die 1945 gegründete Medizinische Universität im ehemaligen Banatia-Bildungszentrum wurde von 1948 bis 1990 Medizininstitut (Medizinisch-Pharmazeutisches Institut) Temeswar/Institutul de Medicină (Institutul medico-farmaceutic) Timișoara benannt. Seit 2001 trägt sie die offizielle Bezeichnung Medizinische und Pharmazeutische Universität/Universitatea de Medicină și Farmacie „Victor Babeș“ und hat drei Fachrichtungen: die Medizinische, die Zahnmedizinische und die Pharmazeutische Fakultät.

Erste Abhandlungen Breiers erschienen 1971 in der „Neuen Banater Zeitung“ und in der „Karpatenrundschau“. „Die Geschichte des Temeswarer Bürgerspitals 1757-1949“, der ersten medizinischen Anstalt Temeswars, war seine erste große medizinhistorische Studie. Neben dem Familienarchiv des Chirurgieprofessors Dr. Alexander Branco Stefanovits standen Breier auch das Archiv des Pioniers der modernen Chirurgie im Banat Dr. Karl Diel zur Verfügung. Zudem erwies sich die langjährige Freundschaft zu Monsignore Dr. theol. Franz Kräuter für seine Forschungsarbeiten als sehr förderlich.

Nach eigenem Bekunden verdankt er ihm sein Synthesewissen, den richtigen Umgang mit den Quellen sowie die korrekte Interpretation historischer Dokumente. Breier stieß aber auch auf diverse Schwierigkeiten, wie ungünstige Arbeitsbedingungen in den Archiven und Zugangsbeschränkungen zu Dokumenten. Davon ließ er sich aber nicht entmutigen. In den 1970er- und 80er-Jahren veröffentlichte Breier zahlreiche medizinhistorische Studien, Berichte und Porträts bedeutender Vertreter der Temeswarer Universitätsmedizin in den deutschsprachigen Periodika Rumäniens „Neuer Weg“, „Neue Banater Zeitung“, „Karpatenrundschau“ und „Forschungen zur Volks- und Landeskunde“ sowie in der Zeitschrift des Temeswarer Medizininstituts „Timișoara Medicală. 1980 konnte er erste Forschungsergebnisse zur Medizingeschichte Temeswars ab 1718 im „Neuen Weg“ veröffentlichen. Auf der ersten medizinhistorischen Tagung der Akademie der Medizinwissenschaften, die 1981 in Temeswar stattfand, hielt Breier das Hauptreferat, im gleichen Jahr auf dem 15. Weltkongress der Medizinwissenschaften in Bukarest eine freie Vorlesung.

Breiers Forschungen beschränkten sich nicht auf die Medizingeschichte. Er publizierte zahlreiche Arbeiten über Banater Persönlichkeiten, zur Geschichte des Banats sowie einzelner Banater Ortschaften. Dadurch erwarb er sich einen erstklassigen Ruf als fachlich kompetenter Historiker der Region. Beispielhaft seien hier folgende Veröffentlichungen angeführt: „Mathias Schmidt und Genossen“ über den antifaschistischen Widerstand in Hatzfeld (Neuer Weg, 1974), „Als das Banater Heimatlied zuerst erklang. Aus der Tradition des Handwerkerwesens in Jimbolia“ (1975), „Revolutionäre und Industriepioniere. Die Brüder Maderspach“, „Bedeutende Persönlichkeiten des Banats“ (Neue Banater Zeitung, 1981), „Dózsa vor Temeswar“ über den Bauernaufstand von 1514 (Temeschburger Heimatblatt, 2013).

Anlässlich des 80-jährigen Jubiläums des Hatzfelder Kreiskrankenhauses organisierte Breier zusammen mit dessen Direktor Dr. Josef Ludwig 1976 eine groß angelegte wissenschaftliche Tagung für Chirurgie und Innere Medizin. Zu den Referenten gehörte auch Prof. Dr. Petru Drăgan, unter dessen Leitung vier Jahre später, am 31. März 1980, die erste Nierentransplantation in Temeswar (die fünfte auf Landesebene) durchgeführt wurde. In den folgenden Jahren leistete Breier einen nicht unerheblichen Beitrag beim Ausbau und bei der Modernisierung des Hatzfelder Krankenhauses sowie dessen Integration in das Temeswarer Universitätsklinikum.

In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen wurde Thomas Breier 1979 von Prof. Dr. Constantin Caloghera in den Chirurgie-Lehrstuhl des Medizinin-stituts Temeswar berufen. Breier selbst bezeichnete seine damals beginnende Schaffensperiode als die fruchtbarste seines Lebens. Er hielt Vorlesungen zur Geschichte der Medizin und Chirurgie (bis 1989), beteiligte sich mit Hauptreferaten an medizinischen Welt- (Bukarest 1981), Europa- (Berlin 1986, 1987) und Landeskongressen (Bukarest 1988), an nationalen und internationalen wissenschaftlichen Symposien. 1986 wurde Breier mit dem Aufbau eines medizinisch-pharmakologischen Museums im Gebäude des Medizininstituts beauftragt. Er entwarf ein umfassendes Projekt, das vom Senat der Universität genehmigt wurde, die praktische Umsetzung jedoch wurde regelrecht boykottiert. Trotz aller Widrigkeiten kämpfte Breier für die Realisierung dieses bedeutsamen Vorhabens und es gelang ihm, bis zu seinem Rücktritt im Frühjahr 1989 ein imposantes Museumsdepot zusammenzutragen.

Anfang 1990 wurde Breier zum wissenschaftlichen Berater des Projekts „Transplantationsklinik Temeswar“ ernannt. Doch schon wenige Monate später sah er sich aus gesundheitlichen Gründen zur Aufgabe sämtlicher Betätigungen in Temeswar gezwungen, da die dringliche Fortsetzung der 1985 in Jena und an der Berliner Charité begonnenen Behandlung seiner komplexen Augenleiden keinen Aufschub mehr duldete. Den operativen und postoperativen Therapien seit 1990 in Deutschland (in Ulm und Augsburg) verdankte er den Erhalt seines – trotz allem nur geringen – Sehvermögens.

Eine erste Version seines Hauptwerks über die Temeswarer Medizingeschichte publizierte Breier 1980. Unter dem Titel „Die Medizingeschichte Temeswars 1718-1990“ (M. Ballas, Schrobenhausen) erschien vor genau 20 Jahren eine stark erweiterte Fassung. 2004 rundete er den Band mit der exzellenten Abhandlung „Von der Hatzfelder Chirurgenschule zur ersten Nierentransplantation in Temeswar“ (erschienen im Heimatblatt Hatzfeld) ab. Das viel beachtete medizingeschichtliche Standardwerk erfreute sich einer hohen Nachfrage und war bald vergriffen. Um sie dem interessierten Lesepublikum wieder zugänglich zu machen, ist eine Neuveröffentlichung der Studien und Aufsätze Breiers in einem Sammelband zweifellos geboten und in seinem Sinne. Sein Lebenswerk charakterisierte er mit den Worten Goethes: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“

Der angesehene Medizinhistoriker ist am 9. Januar 2023 in Aichach bei Augsburg im 78. Lebensjahr gestorben. Er hinterlässt seine beiden Töchter, Dorothea und Donate.

Yves-Pierre Detemple, München, ist Publizist mit französisch-banater Wurzeln.


„Die wissenschaftlichen Arbeiten Prof. Thomas Breiers sind für unsere Chirurgiegeschichte von unschätzbarem Wert.“
 Akad. Prof. Dr. Ion René Juvara