„Die Portugiesin“: Verfilmung wirft einen weiblichen Blick auf Musils Novelle

Die 4. Ausgabe des Filmclubs F-Sides ist eröffnet

Filmstill aus „Die Portugiesin“ von Rita Azevedo Gomes

Der feministische Filmclub F-Sides setzt in diesem Jahr den Dialog zwischen Film und anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln fort, der bei der vergangenen Ausgabe mit der bildenden Kunst begonnen wurde. In der aktuellen Saison erhält jeder im Programm gezeigte Film eine literarische Antwort einer rumänischen Autorin – auf Einladung der Schriftstellerin Elena Vl²d²reanu vom Festival für weibliche Literatur und Kunst „Zilele Sofia Nădejde“. Die Texte der Autorinnen treten in einen Dialog mit der Perspektive des Films, die sie hinterfragen, widersprechen oder von einem unterschiedlichen Gesichtspunkt behandeln.

Die Veranstalter gehen von der Beobachtung aus, dass Frauen sowohl im Film als auch in der Literatur oft auf passive Figuren, Neben- oder sogar Randfiguren und Statistinnen reduziert dargestellt werden, und wollen durch die Film- und Textauswahl auf diese Tendenz aufmerksam machen. Das Thema für den ersten Monat der neuen F-Sides-Ausgabe war daher „Flip the Script on Waiting“, und der Spieß wurde in Bezug auf das Motiv des Wartens umgedreht. 

Veranschaulicht wurde die Uminterpretation der Idee des Wartens durch die Vorführung des Films „Die Portugiesin“ (2018) und der Lektüre eines Auszugs aus „Unde a disp²rut Andreea“ (Wo Andreea verschwunden ist), als literarische Antwort der Schriftstellerin Cristina Ispas am 26. April in Bukarest und Klausenburg. 

Eine neue Penelope

Als Literaturverfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Robert Musil (aus dem Band „Drei Frauen“, 1923) interpretiert der Film in der Regie von Rita Azevedo Gomes in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Agustina Bessa-Luís den antiken griechischen Mythos der Penelope neu und versetzt ihn in eine mittelalterliche Zeit, in einer verkümmerten Burg, die „auf einer fast freistehenden lotrechten Wand“ gebaut war, und ihrer unfreundlichen felsigen Umgebung. 

Die Regisseurin kehrt die männliche Perspektive aus Musils Kurzgeschichte in einen weiblichen Blick um. Der Begriff „female gaze“ oder weiblicher Blick stammt aus der feministischen Filmtheorie und betrifft  eine nicht auf den Körper konzentrierte Darstellung von Frauenfiguren, sondern auf solche, die ihr Leben selbst bestimmen und aus eigenem Willen handeln. Die Regisseurin folgt dem Verlauf der Kurzgeschichte einigermaßen getreu, platziert die Geschichte aber zwischen den Mauern der Festung und versucht gleichzeitig, ihren symbolischen Fluss in eine möglichst greifbare und sinnliche Form zu übersetzen.

Vom Schicksal gefesselt

„Wie aus Hühnerställen zusammengefügt war die Burg Stein auf Fels getürmt. Schwindelnde Wände, an denen der Moder wuchs“, beschreibt Musil die Burg. Die Portugiesin hat bei ihrem Anblick den Impuls zu fliehen, aber bald macht sie das figürliche Gefängnis zu ihrem Heim. 

Filmkritikerin Georgiana Vr²jitoru bemerkt in ihrer Filmanalyse, dass sich die Portugiesin in den Filmsequenzen wie in einem Käfig bewegt, während die Höflinge und Hofdamen den Raum relativ frei durchqueren können. „Diese oder der Raum außerhalb des Rahmens fungieren für die Titelgestalt wie unsichtbare Grenzen und Magneten, die sie abstoßen und immer wieder in den Fokus der Kamera bringen. Diese, in Breite und Tiefe streng strukturierte Perspektive verleiht den menschlichen Gestalten gleichermaßen eine gewisse Unbeweglichkeit“, deutet Georgiana Vrüjitoru die Beziehungen zwischen den Gestalten und dem Raum. 

Durch persönliche Entwicklung befreit

Die elf Jahre in häuslicher Isolation, in denen die Heldin genauso wie Penelope, die sagenhafte Gemahlin von Odysseus, gezwungen ist, auf ihren Mann zu warten, nutzt sie im Film als konstruktive Erfahrung. Den Raum, dem Musil die Absichten und Gedanken des Herrn von Ketten zuweist, widmet die Regisseurin der Beobachtung der Portugiesin – beim Lesen, Schreiben, Zeichnen, Singen und Tonmodellieren, wodurch sie ihre Zeit sinnvoll zu füllen versucht, um die Mauern einer Welt, die Robert Musil zufolge „eigentlich keine Welt war“ ertragen zu können, während sie auf die Rückkehr ihres Ehemanns wartet. 

Ihre persönliche Entwicklung ist als eine Art Emanzipation und ein stiller, eleganter Protest der Frau gegen die männliche Besessenheit von Kampf und Eroberung zu verstehen. „Eingefangen in langen, sprachlosen Sequenzen kontrastieren die Opulenz der Kleidung und die Ungastlichkeit der Burg“, hebt die Filmkritikerin hervor. Sie betont noch: „Dabei offenbart sich die Standhaftigkeit der Portugiesin immer mehr als eine Taktik, als ein unsichtbares Gewebe, das den Herrn von Ketten umhüllt und bändigt“, statt dass sie sich von einem vorbestimmten Schicksal eines einsamen Lebens als Ehefrau eines Kriegers fesseln lässt.

Eine entschiedene Frau

Die Portugiesin stellt sich als eine Figur voller Gegensätze heraus, indem sie als Symbol für das Warten und zugleich dessen Gegenteil steht. Zudem schwelgt sie in ihrer List, die Burgruine in einen Palast, Lumpen in königliche Gewänder und starre Darstellung der Gefangenschaft in geheime Dynamik zu verwandeln. 

Eine andere Gestalt, gespielt von Ingrid Caven, sieht Filmkritikerin Georgiana Vr²jitoru als „ein Überbleibsel aus einer anderen Geschichte, eine Prophetin aus der Zukunft oder eine entfesselte Doppelgängerin der Portugiesin, die streift mittelalterliche Lieder summend durch den Rahmen wie eine Fassbindersche Muse“.

Rita Azevedo Gomes spielt Vr²jitoru zufolge auch mit „in der Kurzgeschichte obsessiv verwendeten immateriellen Mitteln etwa wie das Knistern von Feuerholz im Kamin, das laute Pfeifen von Wind, Wasserrauschen sowie mit den Effekten der Häufung von Reliefs und des Hell-Dunkels“, welche die einzelnen Szenen und inneren Räume der Burg wie lebendige Gemälde flämischer Renaissance-Maler erscheinen lassen und den Film nicht nur von der Inszenierung, sondern auch von der Ästhetik her als Meisterwerk bestätigen. 

Wo die Kurzgeschichte von Musil sich nur auf eine weibliche Chimäre, ein undefiniertes Porträt der Portugiesin, auf eine schwer fassbare Beschreibung ihrer Kleidung beschränkt, schenken die Regisseurin und die Schauspielerin Clara Riedenstein der Protagonistin eine Persönlichkeit und Tiefe. Diese wirkt eher stark und entschlossenen als zerbrechlich ( wie ihr Ehemann naiv von ihr träumt) dargestellt, und besteht die Konfrontation mit der verinnerlichten Wildheit des Ortes und der Kriegslust des Herrn von Ketten mit unendlicher Geduld, die sie im Laufe des Films in allen Situationen ausstrahlt.  


Handlung:  
Nach der einjährigen Hochzeitsreise mit dem Herrn von Ketten (Marcello Urgeghe) ist seine aus Portugal stammende Frau und namenlose Titelheldin (Clara Riedenstein) gezwungen, entweder mit ihrem neugeborenen Kind in ihre Heimat zurückzukehren oder auf der in Norditalien gelegenen Burg der Familie von Ketten auf ihren in den Krieg gezogenen Mann zu warten. Gegen jeden Druck entscheidet sie sich, während des neuen Feldzugs ihres Mannes alleine auf der Burg zu bleiben und auf ihn zu warten.