Ein allenfalls halb aufgeklärter Kunstraub am Brukenthalmuseum

Mehr Details und Hintergründe betreffend den Kunstraub von 1968 am Brukenthalmuseum bietet der Ausstellungs-Katalog im Museumsshop. Foto: der Verfasser

Feindlich Gesinnte, die im wirklichen Leben weder existierten noch identifiziert werden konnten, hatte sie im Ernstfall eben zu erfinden, die Securitate. Auch und sogar dann, wenn es um spurlos verschwundene Kunst oder Kulturerbe ging, das Diebstahl zum Opfer gefallen war und sich trotz intensivster Fahndungen im Terrain nirgendwo mehr wiederfinden ließ. Dass Rumäniens kommunistischer Geheimdienst 1972 die Ermittlungs-Akte betreffend den Raub von acht europäischen Meisterwerken aus der ersten Etage des Brukenthalmuseums in der Nacht vom 26. auf den 27. Mai 1968 mit der Anmerkung schloss, die Täterschaft des Vergehens sei nicht geklärt worden, will etwas heißen. Einzig und allein die Information, vier Personen hätten sich tagsüber zu den öffentlichen Besuchszeiten Zugang in das zweite Stockwerk des Palais verschafft, den Kunstraub in der Nacht ausgeführt und sich durch den zweiten Innenhof aus dem Staube gemacht, wurde von der Securitate vermerkt. Zu mehr als der Vermutung, Profis aus dem Ausland wären am Werk gewesen, wollten sich die Beamte der Ermittlung schriftlich nicht hinauslehnen. Vier der acht damals unter ungeklärten Umständen entwendeten Ölbilder gelten noch heute als verschollen.

Die Bemerkung von Dr. Alexandru Chituță, diese Geschichte habe es 50 Jahre danach immer noch in sich, getätigt auf der Vernissage der Ausstellung „Marele furt de la Brukenthal 1968“ am Montag, dem 12. Dezember, im Blauen Haus am Großen Ring/Piața Mare, war nicht zu hoch angesetzt. Einige Wochen vor dem meisterhaft getarnten Klau habe Museumsdirektor Nicolae Lupu „die Partei“ vom Fehlen  eines Sicherheits-Systems im Brukenthal-Palais in Kenntnis gesetzt. „Es ist eine Geschichte, die auch uns etwas angeht“, bekräftigte Dr. Chituță als interimistischer Direktor des Brukenthalmuseums. Der Erlass des ersten Gesetzes für Kulturerbe-Schutz in der Geschichte Rumäniens folgte 1974.

Nicolae Lupu beanstandete seinerzeit, es dürfe nicht angehen, dass ein Museum von der Größe des Brukenthal-Palais nur einen Wärter beschäftigt, der alleine für die Sicherheit des Inventars während aller drei Schichtzeiten binnen 24 Stunden zu verantworten habe. Das Bild „Ecce Homo“ von Tiziano Vecellio, der „Mann mit Pfeife am Fenster“ aus der Hand Frans von Mieris des Älteren, das „Porträt einer Frau“ von Rosalba Carriera und das Albrecht Bouts zugeschriebene „Porträt eines Mannes mit Totenschädel“ wurden 1998 wieder in den Besitz des Brukenthalmuseums rückgeführt. Klar ist, dass ein Flüchtling aus Rumänien namens Mike Opriși im Jahr des Kunstraubs einen Antrag auf politisches Asyl in Österreich stellte, in Wien illegal für 1200 amerikanische Dollar vier Ölbilder erstand und sich mit ihnen im Gepäck für die USA als Wahlheimat entschied, deren Staatsbürgerschaft ihm 1976 erteilt wurde. 20 Jahre später dann seine Entdeckung eines unvermuteten Siegels auf der Rückseite vom „Porträt eines Mannes mit Totenschädel“, das durch Analyse einer fotografischen Kopie am Niederländischen Institut für Kunstgeschichte in Den Haag als eines jener vier Werke identifiziert wurde, die gruppiert auf der Suchliste von Interpol standen. Mit Interpol hatte das kommunistische Rumänien nicht zusammengearbeitet.

Mike Opriși trat die vier Gemälde ab und Ex-Staatspräsident Emil Constantinescu holte sie in Rumäniens staatlichem Protokollflieger über den großen Teich zurück, nachdem sie ein letztes Mal im US-Hauptstandort der Weltbank ausgestellt worden waren. Dr. Roxana Hrib, stellvertretende Direktorin des Brukenthalmuseums, führt ins Feld, dass keines der vier Kunstwerke häufiger von Forschern unter die Lupe genommen worden wäre als das kleine „Ecce Homo“ von Tiziano Vecellio. Spannend auch, von ihr zu erfahren, dass im hölzernen Gerüst vom „Tod der Cleopatra“ von Anthony van Dyck dem Brukenthalmuseum der einzige Zeuge jenes geraubten Ölbildes zur Verfügung stehe, da keine Aktenlage weiteren Aufschluss über die Causa geben kann.
Und Kurator Dr. Alexandru Sonoc bestand fest darauf, 50 Jahre nach Schließung der Ermittlungs-Akte das Holzgerüst nur in Anwesenheit einer Kulturerbe-Polizei-Kommission wieder aus seiner Verpackung entnehmen zu wollen, um durch seine eigenen Fingerabdrücke nicht fälschlich als Raubtäter infrage kommen zu können.

Den „Tod der Cleopatra“ schließlich kann das Brukenthalmuseum, genauso wie die weiteren drei verschollenen Porträts von Jörg Breu, Christoph Amberger und aus der Hand eines anonymen Meisters, nur anhand von Indizien rekonstruiert wiedergeben. Aber auch das lohnt einen Besuch der Ausstellung im Blauen Haus, die am 26. Februar 2023 schließt. 1968 wurde der Gesamtwert sämtlicher acht gestohlener Gemälde auf 25 Millionen US-Dollar geschätzt. Ioan Opriș, heute 80 Jahre alt und früher langjähriger Staatssekretär im Kulturministerium, bedauert, Brukenthal habe „damals verloren und teilweise wiedergewonnen.“ Der Schaden derartigen Raubes wäre „extrem, extrem schmerzhaft.“ Fotograf Martin Rill und Ex-Securitate-Offizier Iosif Derzsi – dessen sachverständiger Neffe wie aus dem Nichts von der Securitate als ein mutmaßlicher Täter des Diebstahls angezeigt und ohne jeden Grund wiederholte Male bis zur Bewusstlosigkeit körperlich gezüchtigt wurde – die der Vernissage als Zeitzeugen unglaublich pikante Informationen aus erster Hand beisteuerten, mochten Ioan Opriș stillschweigend nur bestätigen. Dr. Alexandru Chituță lud ein, die „Gedächtnis-Übung“ zu wagen und den eigens mit Sonderetikett versehenen „Wein des großen Raubs“ zu verkosten, der abschließend gereicht wurde. Ein trockener Rotwein, versteht sich. So eine Geschichte bedeutet kein hell-süßes Vergnügen.


„Das Kulturerbe eines fortgeschrittenen Staates verdient Förderung durch sein Bruttoinlandsprodukt!“
Ex-Staatssekretär im Kulturministerium Ioan Opriș