Ein Band gegen das Vergessen

Gut besuchte Buchvorstellung im Museum des Banater Montangebiets

Voll war der Tagungssaal des Museums des Banater Montangebiets (MBM) in Reschitza/Reșița, als am vergangenen Freitag das Buch „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietic˛. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite“, Ende 2022 im Cosmopolitan Art Verlag Temeswar/Timișoara erschienen, vorgestellt wurde. 

Übersetzer und Herausgeber Werner Kremm bei der Buchvorstellung in Reschitza: „In dem Band schildern die Kinder der Verschleppten, wie sie die Deportation der Eltern erlebt haben und welche die Folgen für sie und die ganze Familie gewesen sind.“ Foto: Daniel Agafiței

Voll war der Tagungssaal des Museums des Banater Montangebiets (MBM) in Reschitza/Reșița, als am vergangenen Freitag das Buch „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietic˛. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite“, Ende 2022 im Cosmopolitan Art Verlag Temeswar/Timișoara erschienen, vorgestellt wurde. 

Der von ADZ-Redakteur Werner Kremm und seiner Schwester, der in Perjamosch/Periam wirkenden Deutschlehrerin Sigrid Kuhn, aus dem Deutschen ins Rumänische übertragene Band wurde nun zum zweiten Mal im Banat – nach einer Kurzvorstellung Ende Januar in Temeswar/Timișoara – präsentiert, diesmal in der Stadt an der Bersau. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Felician Velimirovici und Dr. Livia Magina seitens des MBM. Zu Wort kamen Historiker, Literaturkritiker, Journalisten und der Herausgeber und Übersetzer selbst. Den musikalischen Rahmen der Veranstaltung gestalteten Schüler und Lehrkräfte des „Sabin Păuța“-Kunstlyzeums.

Der rumänischsprachige Sammelband, der vorige Woche in Reschitza vorgestellt worden ist, umfasst 126 Erzählberichte von Kindern und Enkelkindern ehemaliger Russlandverschleppter, die vor mehr als einem Jahr in zwei deutschen Ausgaben in der Reihe „Banater Bibliothek“ erschienen sind. Fünf Herausgeber haben an dem jüngst erschienenen Band mitgearbeitet: Drei ehemalige Gründungsmitglieder der Aktionsgruppe „Banat“ – Albert Bohn, Anton Sterbling und Werner Kremm –, sowie der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber, und der für die „Banater Post“ verantwortliche Redakteur, Walter Tonța. Die rumänische, um aufschlussreiche Dokumentation ergänzte Buchversion wurde mit finanzieller Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens gedruckt. 

Über das Buch sprachen in Reschitza Dr. Rudolf Gräf, Professor an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca, der selbst aus Reschitza stammt und dessen Familie ebenfalls von Deportationen betroffen war, der Literaturkritiker und -historiker Gheorghe Jurma, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen (DFBB), Erwin Josef Țigla, Werner Kremm sowie die Unterzeichnende dieses Beitrags. 

Der Historiker Rudolf Gräf brachte dem Publikum den historischen Rahmen der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen näher: 70.000 Deutsche aus Rumänien wurden 1945 zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert, etwa 10 bis 15 Prozent überlebten nicht. „Die Deportation der Rumäniendeutschen in die ehemalige Sowjetunion war ein gravierendes Phänomen, das in die Reihe der schrecklichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts integriert werden muss. Es war keine Sondersituation, die nur die deutsche Minderheit betroffen hat, sondern diese schrecklichen Ereignisse starteten nach 1918 in zwei Richtungen: Die Verbrechen der Nazis und die der Kommunisten. Beide haben zu Millionen von Toten geführt, und das Leid der deutschen Minderheit in Rumänien ist Teil dieses großen Leides auf europäischer Ebene“, betonte der Historiker, der zum Schluss seines Vortrags auch zwei Fälle aus Reschitza erwähnte – unter anderem jenen einer jungen Frau, die die Chance gehabt hätte, sich krankschreiben zu lassen, um der Deportation zu entkommen. Aus Ehre und Korrektheit verzichtete sie jedoch auf das Angebot eines befreundeten Arztes und wurde nach Russland deportiert, wo sie ein Jahr später verstarb. „Es wäre interessant, auch mal die Fluchtversuche vor der Deportation zu dokumentieren“, meint dazu Rudolf Gräf. An dem Vorhaben, die Flucht der Banater Schwaben vor der anrückenden Roten Armee zu dokumentieren, arbeitet Werner Kremm derzeit, denn 2024 sind es 80 Jahre seit Beginn dieser Massenflucht.

Der Schriftsteller und Journalist Gheorghe Jurma, 1945 geboren, lobte den Band in erster Linie für seine Gestaltung: Das 741 Seiten starke, solide gebundene und 1,2 Kilogramm schwere Buch verfügt über einen Hardcover-Einband, auf dem ein Aquarell des Banater Malers Stefan Jäger zur Russlanddeportation der Banater Schwaben abgedruckt ist – die rumänische Variante sieht deutlich attraktiver aus als die deutsche Ausgabe. 

Gheorghe Jurma ermahnte das Publikum, das vorgestellte Buch in die Hände zu nehmen, aber auch die Bücher der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, deren „Atemschaukel“ just das Thema der Russlandverschleppung der Deutschen im Mittelpunkt hat. Der aus Bobda im Kreis Temesch gebürtige Literaturwissenschaftler erinnerte sich an die Jahre nach der Deportation in seinem Heimatort und erwähnte, dass das Thema lediglich im sehr engen Familienkreis und keineswegs öffentlich diskutiert wurde. 

Darauf kam auch der DFBB-Vorsitzende Erwin Josef Țigla zu sprechen. Als Enkel eines Russlandverschleppten berichtete auch er, dass das Thema lange Zeit öffentlich ein Tabu war und erst nach der Wende verstärkt diskutiert wurde. Erwin Țigla, der seit Jahren Treffen ehemaliger Russlandverschleppter veranstaltet, erwähnte u.a. den Fall einer Frau aus Ploie{ti, die kurz nach ihrer Rückkehr aus der Deportation zur Zwangsarbeit an den Donau-Schwarzmeer-Kanal (den sogenannten „Todeskanal“) geschickt wurde – allein, weil man gehört hatte, wie sie über ihre Deportation erzählt hatte.

Im Tagungssaal des Museums saßen auch zwei der Menschen, deren Familiengeschichten in dem Buch abgedruckt sind: Helene Rieser aus Bokschan/Bocșa berichtet in dem Band über die Deportation ihres Vaters. Auch Elfriede Chwoika aus Reschitza, die Mutter der Deutschlehrerin Sonia Chwoika, die ebenfalls im Buch zu Wort kommt, erzählt in dem Band über die Deportation ihrer Eltern. Beide mussten im Ural-Gebirge schwerste Arbeiten verrichten – sie selbst wurde 1949 in Swerdlowsk geboren, ihre Eltern kehrten also mit ihr im Arm wieder nach Hause zurück. Es ist mitt-lerweile bekannt, dass die meisten der über 10.000 Banater Berglanddeutsche, die 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden, in Arbeitslagern im Ural-Gebirge beschäftigt waren, wie Erwin Josef }igla informierte.

Zum Schluss ergriff der Herausgeber und Übersetzer Werner Kremm das Wort. Er sei erst später zu den anderen Herausgebern hinzugestoßen – die Idee zu dem Buch hatte sein Freund Albert Bohn, selbst ein Sohn von Verschleppten. Auch zwei weitere Mitglieder der Aktionsgruppe „Banat“, die Schriftsteller William Totok und Johann Lippet, schildern in dem Band ihre Familiengeschichten bzw. steuern Analysen bei. 

Werner Kremm hob besonders das Unterfangen des Pfarrers Josef Kleitsch aus Orschowa/Or{ova hervor, der an die rumänischen Behörden schrieb und ihnen über die Lebenslage von 133 Gläubigen aus seinem Amtsbezirk berichtete – Arme, Alte, Behinderte, die nach der Deportation ihrer Familienangehörigen in aussichtslose Situationen geraten waren. Der Pfarrer bat die Behörden – voller Naivität, aber überzeugt von der Macht christlicher Menschenliebe – die Deportierten zurückzuholen. Dieses Dokument aus dem Archiv der römisch-katholischen Diözese Temeswar, sowie viele weitere ergänzende Unterlagen konnte Werner Kremm verschaffen und in dem Buch abdrucken.