Ein Homo Universalis in einer globalisierten Welt

Das Nomadenleben einer mehrfach begabten Frau

Dorothée Hasnaş bei der Vernissage der Ausstellung „Dialog für Patrimonium - Last oder Chance“ am 12. September in Bukarest.

Für die leidenschaftliche Fotografin war Bukarest schon immer eine Inspirationsquelle.

Die Ausstellung „Haiti, Cherie“ wurde in Bukarest in der Batiştei-Straße im Jahre 2011 gezeigt.
Fotos: Dorothée Hasnaş (2), Aida Ivan

Freigeist, äußerst gebildet, Fotografin und Architektin,  Dorothée Hasnaş reist gerne und spricht sechs Sprachen. Begeistert ist sie vom Tanzen, Skifahren und Reiten, in jedem einzelnen Bereich hat sie sich zehn Jahre geübt. Architekturprojekte hatte sie bis jetzt in Afrika, Amerika und Asien. Spezialisiert hat sie sich in Deutschland auf die „Entwicklung  der arabischen Stadt“ und sechs Jahre in der Schweiz Erfahrung in der Architekturbranche gesammelt. Dazu kommen noch drei Fotografieausstellungen in Zürich und Bukarest. Dorothée Hasnaş ist ohne Zweifel eine außerordentliche Frau mit breitem Interessensfeld, eine dynamische Person, die das Leben auf ihre ganz individuelle Art zu genießen weiß. Ihre geistiger Horizont  reicht weit über Architektur oder Europa hinaus, jenseits der konventionellen Trennung zwischen Kunst und Wissenschaft. Sie steuert ihr Leben durch alle erdenklichen Abenteuer, schmückt es mit Musik, Lesen oder  Zeichnen aus.

Einen Menschen kennenlernen

Hasnaş wohnt in einem 1936 erbauten Haus, versteckt hinter Bäumen zwischen der Kiseleff- Chausee und dem 1. Mai-Markt, das an die schöne Zeit Bukarests erinnert. Die grünäugige Frau mit den kurzen Haaren erscheint barfuß vor der Tür in einem luftigen Kleid und wartet, bis ich ihren freundlichen Hund loswerde. Ich gehe die Treppen hinauf, um die Welt zu entdecken, in der Dorothée  Hasnaş lebt. Sie verkörpert eine Mischung von faszinierenden Eigenschaften – eine mädchenhafte Figur, aber  ihr quecksilbriger Auftritt verrät etwas Knabenhaftes. Oder vielleicht liegt es doch an den Sommersprossen.

Die Haustour führt erstens zur Küche, da, wo ihre alte Katze, ein Stubentiger der robusten und adeligen Sorte, auf dem Küchentisch träge unter halbgeschlossenen Lidern hervorblinzelt. Während sie das dritte, eher schüchterne Haustier – eine Schildkröte – sucht, sprudeln ihre Lebensgeschichten wie in einem Wasserfall hervor. Ihre Bibliothek umfasst Bücher aller Sorten, von Biologie und Belletristik zu Traktaten über Religionen und fremde Kulturen. Man erkennt blitzschnell, dass die junge Frau eine aufgeschlossene Person ist, ständig am Lernen und auf der Suche nach Herausforderungen: Die Objekte rundherum beweisen es, die meisten sind auf keinen Fall nur funktional, sie haben ihre eigene Geschichte, die höchstwahrscheinlich etwas mit den im Laufe der Zeit entstandenen Interessen und Leidenschaften von Dorothée Hasnaş zu tun haben. So beginnt der Kreis von Erzählungen, ineinander verschlungene Geschichten, so dass ich immer wieder nachhaken muss, um den ganzen Kontext zu erfahren. Also möchte ich ihre Geschichte von Anfang an erfahren.
Sie beginnt bei der Familie.

Der Urgroßvater kam als Apotheker aus München, der Vater aus Bessarabien. Das energiegeladene Mädchen genoss ein abwechslungreiches Leben: vom Informatiklyzeum zum Goethe-Kolleg, von der Bukarester Architekturuniversität zu der in Stuttgart und danach Karlsruhe und ab zum ersten Projekt in Marokko, dann Haiti und letzendlich Indien. Man konnte meinen, Dorothée Hasnaş führt ein märchenhaftes Leben, doch nach einem längeren Gespräch mit ihr ist offensichtlich, dass sie tief in der Wirklichkeit verankert ist. Ihr Werdegang ist eine Verkettung von exotischen Geschichten, abenteuerlich und innig mit ihren Leidenschaften verbunden. Durch ihre gesunde Lebenseinstellung, durch ihre Mentalität  und Aktivitäten fasziniert sie sofort. Wir sitzen auf dem Balkon und das Bellen der Nachbarnhunde bricht ihr Erzählen immer wieder ab. Mit kleinen Fünf-Bani-Münzen bewirft sie die unruhigen Haustiere gegenüber der Straße, deren Namen sie gut kennt. Nachdem die Hunde sich beruhigen, geht es weiter mit derselben verblüffenden Geschwindigkeit.
Ein ehrgeiziges Mädchen war sie schon immer. Dank einer Wette mit einem Freund, der behauptete, sie könne kein Deutsch, hat sie sich entschieden, an der Deutscholympiade teilzunehmen. Da sie damals eine glatte Zehn bekommen hat, wurde ihr die spätere Aufnahme  in der zehnten Klasse am Goethe-Kolleg zugesichert.

Deutschland, Marokko und die Schweiz

Ihr Studium lief in stark segmentierten Phasen ab: Ein Jahr hat sie an der rumänischen Architekturuniversität Ion Mincu verbracht, ein Jahr an der Uni in Stuttgart und den Rest  bis zum Abschluss an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Sie zeigt ihre Zeugnisse und erklärt die Unterschiede zwischen den verschiedenen Titeln, die man im Bereich Architektur bekommen kann. Ingenieurin der Architektur ist sie geworden. Als Abschlussprojekt sollte sie eine Universitätsbibliothek in Berlin und ein Elephantenhaus im Zoo entwerfen. Aus ihrer Mappe quellen hierzu Skizzen voll ästhetischer, harmonischer Formen.

In der Altstadt von Marrakesch hat sie  während des Studiums an der Restaurierung eines alten, denkmalgeschützten Gebäudes teilgenommen. Begeistert beschreibt sie das typische marokkanische Stadthaus - von außen ohne Fenster, nur im Innenhof hat jeder Raum ein Fensterchen als  einzige Lichtquelle. Im Innenhof gibt es auch eine Wasserquelle, die das kalte Wasser des Brunnens in einen Kreislauf einspeist, der  das ganze Haus durch Verdunstung kühlt – eine effiziente und ökologische„Klimaanlage“ für die heißen Tage. Solche Architekturelemente findet sie großartig und ist deshalb fasziniert von der Kultur Nordwestafrikas. So sehr, dass sie ihr Studium in diese Richtung vertieft und daneben auch Arabisch gelernt hat.  So, wie sie sich während ihrer Arbeit in der Schweiz in zwei Jahren Schwyzerdütsch angeeignet hatte.

Obwohl sie damals in Zürich lebte, hatte sie ein Projekt für Baubetreuung eines Altstadtbaus aus dem 14. Jahrhundert in Solothurn übernommen. Diesem Projekt folgten Umbau-Renovierungen für Hotels in der Schweiz, danach verwandelte sie Wohnungsräume in Büros. Eine Fahrradfabrik hat sie nicht nur entworfen, sondern auch deren Innenbereich und Möbel gestaltet. Als die finanzielle Krise ausbrach, begann sie, an einer eigenen Webseite zu arbeiten, wo sie sich ihren eigenen Interessen ungehemmt widmen konnte. Ihre Heimatstadt Bukarest hat sie nie vergessen. Sie selbst hat eine Ausstellung in Zürich finanziert, die sich auf drei Epochen von Bukarest bezieht und den Namen „Boheme-Diktatur-Umbruch“ trug. Gründlich dokumentiert  und mit steigender Begeisterung spricht sie über die organische, das heißt, planlos funktionelle, aber ungesunde Enwicklung Bukarests als Stadt.

Zwischenstation Haiti

2010 war dann höchste Zeit für ein neues Abenteuer. Sie flog nach Haiti, wo sie am Bau von mehrenen Schulen und einem Entbindungsheim teilnahm. Darüberhinaus beteiligte sie sich an einer einheimischen Kampagne für bessere Baupolitik, was nur so rasch möglich war, weil sie auch die kreolische Sprache erlernt hatte. „Wenn Menschen Häuser bauen, dann sollen diese möglichst erdbebensicher sein“, erklärt sie über das Projekt, für das sie sich mit Hingabe eingesetzt hat. Beim Erdbeben 2010 und in der Periode danach waren ungefähr 250.000 Menschen ums Leben gekommen, da die Bauwerke nicht erdbebensicher waren.

Später ließ sie eine Ausstellung über Haiti organsieren, dieses Mal aber in Bukarest: „Haiti Cherie“ lautete der Titel und hatte eine besondere Thematik. Da in den Medien nur die negativen Aspekte von Haiti erscheinen - Haiti als ärmstes Land in der westlichen Hemisphäre, das Erdbeben, die Cholera, die Toten - wollte Dorothée Hasnaş den gesegneten Teil des Landes offen zeigen. Sie ist bezaubert von den Haitianern und deren positiver Lebenshaltung, die sie bewundert. „Sie haben so viel verloren und sie lächeln immer noch, sind offen und nett zueinander, egal wie schlecht das Leben ist“, staunt sie. Aus diesem Grund ist auch ihre Ausstellung entstanden. Sie möchte die Menschen daran erinnern, sich diese positive Perspektive zu bewahren, oder wieder anzueignen.

Wahrscheinlich ist für die Erzählerin das Lernen durch die Sinne fast instinktiv geworden: Souverän zeigt sie immer wieder  Fotos aus fernen Ländern, spricht von Büchern, die zum Thema geschrieben wurden oder von Liedern, die sie flink im Internet sucht. Die mitgebrachten Kunstobjekte, deren Figuren die Helden von haitianischen Mythen darstellen, bringt sie mühelos in Verbindung mit Gottheiten aus anderen Kulturen, indem sie sich Gedanken darüber macht, welche die Unterschiede und die Ähnlichkeiten zwischen ihnen sind.

Indien und eine alte Liebe, Bukarest

Über Indien, wo sie ein anderes Projekt durchführte, spricht Dorothée Hasnaş im ähnlich schnellem Rhythmus, aber nicht ganz so begeistert. Dieses Jahr war sie in Bangalore mit einem Beratungsprojekt beschäftigt: Sie sollte das Design von Bauten konzipieren, um Energie zu sparen. Schockiert war sie in erster Linie von der begrenzten Perspektive der Menschen. Sie beobachtete, dass viele Inder dazu neigen, nur Dinge zu berücksichtigen, die in direkter Verbindung zu Indien stehen. Als Mensch, der viel um die Welt gereist ist, war sie damit auf keinen Fall einverstanden.

Nun ist Dorothée Hasnaş wieder nach Rumänien zurückgekommen. Ihre letzte Fotografieausstellung kann man in der Teestube des Buchhauses Cărtureşti besichtigen, sie gehört zum Projekt der Organisation ATU (Asociaţia pentru Tranziţia Urbană). Mit der Ausstellung unterstützt sie den Verein, der sich für die Rettung alter, denkmalgeschützter Gebäude in der Hauptstadt einsetzt. Die Menschen sollen verstehen, dass diese Gebäude ein Potenzial und nicht eine Last sind. „Die Mentalität sollte sich ändern“ wünscht sich Dorothée Hasnaş und meint, die Menschen sollten ermuntert werden, hierfür individuelle Lösungen vor Ort zu finden.

Zurzeit beschäftigt sich die Architektin mit einem Gebäude in der Uranus-Straße. Der ehemalige Sitz der Warenbörse aus der Zwischenkriegszeit („Bursa de mărfuri“) wurde vor Jahren saniert, im Gebäude funktionierte bis vor kurzem der Club „The ARK“. Nun wurde es von Geschäftsleuten gekauft, die das Potenzial des Gebäudes schätzen.  Sie muss sich nun eine Strategie ausdenken, damit dort verschiedene Veranstaltungen organisiert werden können. Eine bestimmte Zielgruppe hat sie schon ins Auge gefasst: Menschen, die sich nicht nur als Konsumenten auszeichen, sondern als agierende Bürger, die fähig sind, sich für etwas aktiv einzusetzen.

Ihre vielfältige Erfahrung erklärt Hasnaş damit, dass sie einfach verschiedene Lebensweisen und Mentalitäten kennenlernen wollte. Sie ist fest davon überzeugt, dass alle Menschen aus Eigeninteresse handeln. Hilft man jemandem, so tut man das, weil man dadurch ein inneres Bedürfnis befriedigt. Und das sei ein ganz egoistischer Grund, lächelt sie. Zum Abschluss zeigt mir Dorothée auf unserem Rundgang die Dinge, die ihr am Herzen liegen: mehrere Regale von Büchern, eine kopflose Designer-Schaufensterpuppe, ehemaliger Star der Zürcher Ausstellung, dann die zusammenklappbaren Tische und Stühle als  Zeichen eines feurigen Geistes, der immer bereit ist, das Nomandenleben jederzeit wieder aufzunehmen.