Ein Schlüsselroman über den „Neuen Weg“

In „Der müde Lord“ schöpft Dieter Roth aus seinen Erinnerungen

Unser ehemaliger Kollege Dieter Roth (77) hat in Heidelberg einen Schlüsselroman über die Vorgängerzeitung der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“, über den „Neuen Weg“, geschrieben: „Der müde Lord“, der das beste Zeitdokument über die Redaktion darstellt, das bisher erschienen ist. Es ist  sympathisch, dass der Autor nicht mehr erzählen will, als er weiß. Auch keine nachträglichen Gescheitheiten werden aufgepfropft, die Geschichte wird so erzählt, wie sie ein junger Mensch – er heißt im Roman Christian Rosenow, weil er aus Rosenau stammt – erleben konnte.
Die Zeitung kommt unter dem Namen „Neues Land“ vor, was eigentlich schöner ist als „Neuer Weg“: Dadurch wird eine gewisse Weite angedeutet, wie sie etwa die Pioniere im amerikanischen Wilden Westen erlebt haben, während ein Weg auch nur ein schmaler Steg sein kann.

Die Freunde erhalten noch schönere Namen als die wirklichen, den Feinden aber gibt es der Autor schon vom Decknamen her. Andere Namen sind einfach ein wenig verstellt, jedenfalls kann man alle Personen leicht erkennen.
Die Redaktion wird als ein geschütztes Revier dargestellt: „Das ‘Neue Land’ war dagegen so etwas wie ein Hort der Ruhe, dazu noch eine Art Schaufenster, und was sich hinter dessen gläserner Wand abspielte, interessierte vorgesetzte Stellen unter dem Gesichtspunkt seiner Außenwirkung. Weit und breit gab es nämlich keine Tageszeitung im Lande, die in einer Weltsprache erschien und dennoch zugleich eine normale und nicht eigens auf Auslandspropaganda angelegte Publikation war.“

Das alles kann, 64 Jahre nach der Gründung der Zeitung, zum Entstehen eines wahrheitsgemäßen Bildes beitragen. Für die Beteiligten selbst ist der Roman wie eine Rückkehr in die eigene Jugend: Mit dem Starreporter Bela Pollitz, für den der große Egonek das Vorbild war, mit dem zähen Franziskus Barză, von einer „selbsterregten Begeisterung“ durchglüht, mit dem blauäugigen Kader-Joschka, der über die Gänge schleicht und dem Rosenow ein Schild an die Tür anbringen wollte: „Wegen Dummheit geschlossen“.

Auch Meister Hugo Zaum kommt vor, dessen handgeschriebene humoristische Gedichte auf der Rückseite der Fernschreibpapierbahnen in die Daktylografie gingen, wo dazu auch die deutsche Rechtschreibung hergestellt wurde.
Damit kommen wir zur Domäne, die den Autor und seinen Helden am meisten interessiert: die Sprache. Diese befand sich in  der sicheren Hand der jüdischen Kollegen, die es aus Deutschland und später aus Czernowitz nach Bukarest verschlagen hatte. Sie arbeiteten als Übersetzer (acht), als Redakteure für Außenpolitik oder als Stilisten. Mit ihnen verband Christian Rosenow seine außergewöhnliche Liebe zu den Büchern. Die an sich sachlichen Stellen, die er über seine regelmäßigen Gänge in die drei Antiquariate schreibt, sind reinste Poesie: Bücher konnte man nur in dem Czernowitz, genannt Bukarest, so gern haben.

Von den Büchern ist nur ein Schritt zur Sprache, in der der Autor selber schreibt: Sie beruht auf dem Siebenbürger Deutsch, das wir in Hermannstadt oder Kronstadt gelernt haben, das Dieter Roth aber so beherrscht, dass es allgemein gültig ist. Dazu stimmen auch die Begriffe aus der vergangenen sozialistischen Epoche, so wie sie damals gebraucht und in der Zeitung eingesetzt wurden. Viele schreiben jetzt über jene Zeit, aber wenn dafür fremde Fantasiegebilde oder ungenaue Ausdrücke eingesetzt werden, lässt die Glaubwürdigkeit der Darstellung nach.
Gleichzeitig mit seiner Arbeit bei der Zeitung hat Dieter Roth auch sein Germanistik-Studium betrieben, im Roman stehen derart auch richtige Einblicke in das Studentenleben. Hinzu kommen die Kapitel über seine Arbeit als Verlagslektor beim Jugendverlag und bei Kriterion, darin kann man  Einzelheiten darüber erfahren, wie die fünfte deutsche Literatur entstanden ist.

Kennzeichnend für den Autor ist sein bissiger und angriffslustiger Humor, auf diese Art sind ganze Kapitel im Roman geschrieben. Mehrere Porträts zeigen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen dieser Methode auf.
Total verrissen wird der ehemalige Hochschulkollege und Schriftsteller, der unter dem Namen Detlev Klestack vorkommt. Das beginnt mit der Schnürelsamthose aus der gerade vergangenen Pimpfzeit, die er auf dem Gang zum Grundstück auf der Steilau anhat, wo er mit dem Luftgewehr auf Zigeunerjungen schießt, es geht mit der Plagiatsaffäre im Zusammenhang mit dem Text einer Klagenfurter Dichterin aus der Zeit bei „Literanuova“ weiter und endet konsequent mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Bukarester Universität. – Nur gibt Joachim Wittstock, der in Camaiore das Werk dieses Autors geduldig und interessiert gelesen hat, etwas Freundlicheres zu verstehen.
Für uns ist es unmöglich, in  den großen Disput um den Schriftsteller einzusteigen, der hier als Egilbert Ferkelius vorkommt, verwandt auch mit dem Adelsgeschlecht derer von Ferkely-Mangalitza. Die beiden hatten sich  bei der Schlussveranstaltung zum Preisausschreiben der Zeitung im Strandbad Floreasca kennengelernt und sich über den Unterschied zwischen journalistischem Schreiben und Literatur gestritten. Die Schicksale gingen weiter, nur hat dieser „Pastor mit dem roten Schal“ zuletzt zwei herausragende barocke Romane geschrieben, die alle nachträgliche Gescheitheit in hohem Maße unnötig machen.


Dieter Roth: „Der müde Lord“, Roman. Verlag der Rhein-Neckar-Zeitung, 483 Seiten