Ein „siebenbürgisch-sächsisches Familienalbum“ im Dorfmuseum

Intime Einblicke in Alltag und Heimat

Einst war es der Stolz jeder Familie. Das wohl gehütete, bei jedem größeren Anlass im trauten Kreis hervorgezauberte Familienfotoalbum: Bilder von Taufen, Hochzeiten, Festen, Schulabschlüssen, Konfirmationen, Ausflügen mit Picknick, Sportereignissen und vielem mehr. Man bestaunt die betagte Tante als „Fräulein auf Schiern“. Man schmunzelt beim Anblick der Männergruppe in altmodischen Badehosen beim Volleyballspiel 1930 im Hermannstädter Strandbad. „Was, das war mal der Opa!“ mag es manchem Betrachter entfahren. Ein Familienalbum zeigt man nicht jedem. Es ist zutiefst intim, den Blick des Fremden empfindet man als voyeuristisch. Es für andere zu öffnen ist eine Gratwanderung zwischen Stolz und Mut – und ein Akt des Vertrauens. Nun haben die Siebenbürger Sachsen ihr privates Familienalbum für uns alle geöffnet...

Donnerstag, 7. April, Bukarester Dorfmuseum, Allee der Minderheiten: 60 Schautafeln reihen sich im Regen aneinander, im Hintergrund das Haus von Schönberg/Dealul Frumos. Tropfen perlen von den Gesichtern, die uns durch den Schleier der Vergangenheit zulächeln.

Das sächsische Familienalbum im Regen

Hier im Freien hätte die Eröffnung der Ausstellung „Die Alltagsgeschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert in Fotos aus Familiensammlungen“ stattfinden sollen – das Aufschlagen des sächsischen „Familienalbums“ für die Öffentlichkeit in Premiere. Ein Wolkenbruch verbannte den Festakt nach drinnen.

Danach spazierten bunte Schirme und Regenmäntel zwischen den vorwiegend schwarzweißen Fotos: Der Mann auf dem Einrad um 1900, Sammlung Paul Niedermaier. Die Kinder mit den für das Sommerfest blumengeschmückten Fahrrädern Ende der 1930er Jahre in Mühlbach/Sebe{. Kindergeburtstag 1937 in Leschkirch/Nocrich, Sammlung Anneliese Thudt. Erster Schultag mit Schultüte in Kerz/Câr]a. Beim Wandern, beim Zelten, bei der Arbeit. Blaskapellen. Altmodische Autos. Kronenfest. Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Eine Gruppe deportierter Frauen. Was ist so besonders an alten Familienbildern?

Geschichte von unten
Familienalben sind der umgekehrte Ansatz, Geschichte zu erleben, erklärt der Kurator der Ausstellung, Corneliu Pintilescu.


Denn normalerweise betrachten wir Geschichte von oben nach unten: über Königsdynastien, Kaiser, Regierungen. Die ausgestellten Bilder stammen aus 17 privaten Sammlungen und sind auch Ausdruck der Praxis des Sammelns an sich, oft über mehrere Generationen hinweg.

Zeugen der Normalität

In fast jedem Haus gab es einen Fotoapparat, erklärt Dr. Klaus Fabritius, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Altreich. Und fügt bedauernd an, dass die Tradition der Fotoalben seit dem kameragerüsteten Smartphone im Aussterben begriffen ist. Wenn das Handy kaputt geht, sind meist auch die Fotos weg...

Dabei gehören Familienalben zum Liebsten, was man mitnimmt, wenn man auf der Flucht ist, als „Zeugen der Normalität vom Leben vor der Flucht“, spielt Thomas [indilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens (DRI), auf die aktuelle Lage in der Ukraine an.

Kooperation und Spenden ermöglichten die Ausstellung

 Das DRI hat die Ausstellung, Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS) und dem Institut für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS), gefördert.

Die ausgestellten Fotografien wurden zwischen Juni 2016 und Dezember 2017 im Rahmen eines Projektes der Saxonia-Stiftung gesammelt, archiviert und digitalisiert, mit Unterstützung der Lucian Blaga Universität und des Institutes für Geisteswissenschaften Hermannstadt der Rumänischen Akademie.

Das Organisationsteam widmet die Eröffnung dem Gedenken an zwei besonders großzügige Spenderinnen von Fotografien, Anneliese Thudt (eine zentrale Persönlichkeit beim Erstellen des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs) und Anna Zack, heißt es auf der einleitenden Tafel.

Glück, Tragik und Heimat

Was die „Zeugen der Normalität“ widerspiegeln, sind nicht nur glückliche Momente. Auch die Tragik des Ersten und Zweiten Weltkriegs, der Deportationen, des Kommunismus, der Auswanderungswellen und vieler anderer Traumata, die sich in Generationen sächsischer Familien eingegraben haben, schimmern zwischen den Bildern durch.

Die Augen lächeln in die Kamera. Doch der Himmel hat geweint. Vielleicht aber auch nur aus Rührung. Denn mit dem Öffnen ihres Familienalbums zeigen die Siebenbürger Sachsen nicht nur ihr Herz und ihre Seele, sondern auch: Dieses Land ist unsere Heimat.


Die 60 Schautafeln der Ausstellung „Die Alltagsgeschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert in Fotos aus Familiensammlungen“ können noch bis zum 7. Mai im Bukarester Dorfmuseum „Dimitrie Gusti“ besichtigt werden.