Eine organisierte Antwort auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge aus der Ukraine

Gespräch mit Thomas Hackl, Programmdirektor für humanitäre Hilfe bei der Caritas-Konföderation Rumänien

In Sighet konnten rund 60 Flüchtlinge aufgenommen werden, sie müssen die Nächte nicht in Zelten verbringen.

Thomas Hackl (rechts) beim Grenzübergang in Sighet im Gespräch mit Gheorghe Dunca, dem Präsidenten der Caritaskonföderation Rumänien.
Foto: Lorand Gallov

Auf der rumänischen Seite der Grenze ist das Hilfsangebot groß.

Man wartet auf die Flüchtlinge beim Grenzübergang in Sighetu Marmației.
Fotos: Thomas Hackl

Thomas Hackl ist seit 2004 als Programmdirektor für humanitäre Hilfe für die Katastrophenhilfe der Caritas in Rumänien verantwortlich. Der gebürtige Österreicher ist also zuständig für alles, was mit Katastrophenhilfe und Flüchtlingskrisen zu tun hat. Landesweit besteht die Caritas-Konföderation in Rumänien aus zehn Mitgliedsorganisationen. Davon sind sechs römisch-katholische Diözesen und vier griechisch-katholische, die eine eigene Caritas-Organisation haben. Caritas Rumänien ist Teil der weltweiten Organisation der Caritas Internationalis, die ihren Sitz in Rom hat. Die europäischen Caritas-Organisationen sind in Caritas Europa zusammengeschlossen, die ihren Sitz im belgischen Brüssel hat. Über die aktuelle Lage der Flüchtlingskrise wegen der Situation in der Ukraine und die Hilfsaktionen der Caritas Rumänien sprach ADZ-Redakteurin Gabriela Rist mit Thomas Hackl. 

Weiß man, wie viele Flüchtlinge zurzeit in Rumänien sind?


Laut den letzten Daten der Grenzpolizei sind seit Ausbruch des Kriegs etwas über 70.000 Personen in Rumänien eingereist, von denen ungefähr die Hälfte aber Rumänien schon wieder verlassen hat. Also kann man davon ausgehen, dass 30-35.000 Flüchtlinge momentan in Rumänien sind (Anm. d. Red.: Stand 28. Februar).

Wie ist die Situation zur Zeit an den Grenzen?

Es kommen immer mehr Flüchtlinge ins Land. Man muss es von beiden Seiten sehen: Auf der ukrainischen Seite dauert die Ausreise extrem lang, also man hört von Leuten, die nicht stundenlang, sondern ein bis zwei Tage gewartet haben, um überhaupt über die Grenze zu kommen. Viele kommen auch zu Fuß und stehen sogar lange im Regen. Vergangene Nacht hat es in Siret sogar geschneit. Man muss wissen, dass nur Frauen, Kinder und Männer über 60 über die Grenze gelassen werden. Auf der rumänischen Seite der Grenze gibt es inzwischen ein großes Hilfsangebot für alle, also es haben sich sehr viele Menschen mobilisiert: Organisationen, lokal und aus dem ganzen Land; Freiwillige, die dort immer noch ein bisschen chaotisch, aber doch alle mögliche Hilfe anbieten für die, die über die Grenze kommen. 

Wie kommt es zu den langen Wartezeiten?

Einerseits sind sie einfach überfordert, es sind zu viele Menschen für diese doch relativ kleinen Grenzübergänge. Man hört, dass auf der ukrainischen Seite sehr genau kontrolliert wird und es dauert manchmal sehr lange, denn es kommen immer mehr Menschen, die keine richtigen Papiere haben. Also, Rumänien lässt aus der Ukraine jeden rein, auch ohne Pass, selbst Kinder ohne Geburtsurkunde, nur dann muss an der Grenze sofort ein Asylantrag gestellt werden, und das dauert sehr lange. 

Was passiert mit denen, die keine Papiere haben?

Die sind gezwungen, in Rumänien zu bleiben. 

Was kann die Caritas für die Flüchtlinge tun?

Es gibt ein paar Dinge, die bereits funktionieren: Im Grenzort Siret, in der katholischen Pfarrei, gibt es jetzt ein Zentrum, in dem bis zu zwanzig Leute über Nacht bleiben können. In der letzten Nacht wurde es eröffnet. Es haben bereits zwanzig Leute dort übernachtet. Ganz interessant ist, wer gekommen ist: Es waren nicht nur Ukrainer. Wir hatten acht marokkanische Studenten, die in der Ukraine studieren, und wir hatten eine Familie aus Jordanien, sie sind inzwischen  alle weiter nach Hause gefahren.

Das Zentrum ist eine der Möglichkeiten, Familien vor allem mit Kindern eine trockene und warme Unterkunft an der Grenze anzubieten. Die Regierung hat zwar Zelte aufgestellt, aber die Leute haben sich beklagt, dass es dort kalt ist. Zudem versucht die Caritas an verschiedenen Orten Plätze zu finden, wo Leute längerfristig wohnen können. Es gibt inzwischen in Sighet ein Haus von Schwestern, die bereits 60 Leute aufgenommen haben, und die Caritas versorgt sie zwei, drei Mal täglich mit Essen. Ähnliche Unterkünfte wird es auch woanders geben. 

Weiterhin planen wir, ein Informationszentrum für Flüchtlinge in Sighetu Marmației aufzubauen, wo u.a. eine Wäscherei, die Möglichkeit zu telefonieren, Internetnutzung sowie Beratung und Informationen vorhanden sein werden.

Was können die Menschen tun, was für Hilfe braucht die Caritas?

Das ist schwierig. Jetzt möchte natürlich jeder helfen. Die Frage ist, was ist wirklich sinnvoll und wie kann die Hilfe zu den Leuten kommen. Es wird im ganzen Land gesammelt, überall werden Kleider und Lebensmittel gespendet. Es ist gar nicht so sicher, dass alles wirklich gebraucht wird. Wir müssen genau darauf achten, was die Menschen wirklich brauchen und wie das sinnvoll organisiert werden kann. 

Wir haben jetzt dieses Haus, wo 60 Leute wohnen, die brauchen  Essen, aber das lässt sich mit Lebensmittelspenden nicht lösen. Es muss gekocht werden und das muss hingebracht werden. Viel davon, was gespendet wird, wird im Moment an den Grenzen verteilt. Aber man muss sich vorstellen: Die Leute sind am Weg, sie sind noch nicht angekommen wo sie hingehen. Brauchen sie wirklich Kleiderspenden? Wo sollen sie diese überhaupt hintun? Wie sollen sie die transportieren? Ich habe riesige Berge von Winterpackungen gesehen. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs. 

Ich denke, man muss ein bisschen Geduld haben – und, was ganz wichtig ist, eine organisierte Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen. Das heißt: organisierter Transport, organisierte Unterkünfte. Diese kleinen Spenden und Hilfen können schon wichtig sein, aber die lösen nicht all die grundlegenden Probleme der Menschen. 

Welche Möglichkeiten hat die Caritas Rumänien, zu helfen?

Wir sind Mitglied in einem internationalen Netzwerk und haben dort große Solidarität und Hilfe, also wir haben im Moment die Mittel, die wir brauchen, um zu arbeiten. Wir hoffen, aber es ist noch nicht beschlossen, dass auch eine Geldsammlung in Rumänien in den Kirchen stattfinden wird. Das wird auch einen großen Schritt weiter helfen. Wir hoffen auch darauf, Unterstützung aus anderen Ländern zu bekommen, damit wir dieses Problem, das noch viel viel größer werden kann, bewältigen können. 

Bekommt die Caritas Rumänien auch von anderen Ländern Unterstützung?

Wir sind in konkreter Zusammenarbeit mit der Caritas aus den Vereinigten Staaten. Die hat uns auch schon eine schöne Geldsumme zur Verfügung gestellt. Weitere Gespräche führen wir momentan mit Caritas Österreich, Luxemburg und auch mit Norwegen. 

Braucht die Caritas momentan Freiwillige?

Wir werden wahrscheinlich Freiwillige brauchen, aber das dauert noch ein paar Tage. Man muss sehen, wie sich die Lage weiter entwickelt und was zu tun ist. Es ist noch alles völlig unklar. Man weiß noch wenig und es ist noch alles beim Aufbauen und beim Organisieren. Ich denke, dass Freiwillige später in Beratungszentren oder in Unterkünften eine Rolle spielen können. 

Braucht man Dolmetscher oder Psychologen an der Grenze?

Dolmetscher haben eine ganz wichtige Rolle. Wir haben Kontakt zu der Union der Ukrainer in Rumänien geknüpft. Das ist wie das Deutsche Forum für die Deutschen. Sie machen ganz schöne Arbeit an der Grenze. Sie arbeiten dort als Übersetzer und sie haben sich bereit erklärt, mit uns zusammenzuarbeiten. 
Wir haben auch im Osten in Sireth Übersetzer gefunden. Dort gibt es mehrere ukrainische Dörfer, und sie arbeiten schon mit der Caritas zusammen. Momentan haben wir keine Psychologen direkt in Einsatz. Man muss das gut überlegen, wie man das sprachlich machen kann. Ich kann mir vorstellen, dass psychologische Beratung mit Übersetzung schwierig werden könnte. 

Steht die Caritas in Kontakt mit den lokalen Behörden? Gibt es da Zusammenarbeit?

Wir können gerade in so einer Krise nichts machen, ohne wirklich mit den Behörden auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten. Es gab heute ein relativ großes Treffen in Bukarest mit der Regierung, mit dem Premierminister und mehreren großen Organisationen, wo allgemein besprochen wurde, wie die Zusammenarbeit funktionieren kann. Wichtig ist im Moment die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene, wie zum Beispiel in Sighetu Marmației, wo wir mit der Stadtverwaltung gesprochen haben und die natürlich über alles Bescheid weiß, was wir machen. 

Vielen Dank für das Interview!