„Das letzte Jahr war einfach nur unfassbar verrückt, aufregend und super schön! Ich bin durch den Himalaya in Nepal gewandert, habe Diwali in Indien, Weihnachten in Vietnam und Silvester in China gefeiert. Laos habe ich mit dem Moped erkundet, eine Lebensmittelvergiftung in Kambodscha überstanden, mein erstes eigenes Auto besessen und damit die gesamte Ostküste Australiens bereist. Auch war ich zum ersten Mal solo backpacken, habe Road-trips durch Argentinien und Chile gemacht, meinen 24. Geburtstag auf einem aktiven Vulkan und gleichzeitig auf dem höchsten Punkt, auf dem ich je war, gefeiert. Ich durfte die größte Salzwüste der Welt in Bolivien bestaunen, habe Spanisch in Peru gelernt, bin mit einem Amazonas-Frachtschiff nach Kolumbien und auf einem Segelboot nach Panama gereist. Ich habe meinen Tauchschein gemacht, aktive und inaktive Vulkane aus nächster Nähe gesehen und noch soo viel mehr erlebt!“ schreibt Sonja Boltres am Ende ihres Reiseblogs im Herbst 2024.
Die junge Frau mit siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln ist im Oktober 2023 von München nach Osten aufgebrochen und im September 2024 aus dem Westen wieder zurückgekehrt. Eine Backpackerin mit fünf T-Shirts, meist nicht allein, aber hie und da auch solo, voller Neugier auf die Welt, ohne Angst vor dem nächsten Tag, mit etwas Geld und lebenswichtigen Medikamenten ausgestattet. Sonja lebt mit einer chronischen Darmerkrankung. Waren es 342 Tage oder einer weniger? Schon Phileas Fogg, der exzentrische Held in Jules Vernes Roman „Die Reise um die Welt in 80 Tagen“ hatte sich getäuscht. Wer ostwärts reist und die Datumsgrenze überschreitet, „gewinnt“ einen Tag. Wie auch immer, fast jeder Tag auf Sonjas Reise hielt Überraschungen bereit. Ihren Blog verfolgten annähernd 170 Menschen. Auf die ersten Wochen in Nepal mit dem anspruchsvollen Annapurna-Circuit folgte ein Aufenthalt in Indien, zunächst in einem Ashram. Die junge Frau berichtet: „Unser Tag dort startete um halb 6 morgens mit einem Morgengebet. Anschließend ging es weiter mit Morgengymnastik und einer geführten Meditationsstunde, die wir als einzige Neulinge allein bei einem Yogi hatten. Danach hatten wir Frühstück und Karma Yoga, bei dem man für sein gutes Karma seine Wohnung putzt (oder Pomelos vor dem Haus klaut, weil sie niemand sonst erntet und es schade wäre, sie verkommen zu lassen). Ansonsten standen vor und nach dem Mittagessen praktische und theoretische Meditations-, Atem- und Yogastunden auf dem Plan. Geendet hat der Tag mit einem Vortrag von einem der Gurus, einer stillen Meditation und einem Abendgebet um 9 Uhr.“
Es zieht sie und ihre Freundin weiter. Dabei bekommen sie die regionale Tagespolitik hautnah mit: „An der Grenze zwischen Indien und Pakistan wird jeden Abend um halb 5 eine einstündige Show vom Militär in einer großen Arena veranstaltet. Die eine Hälfte der Arena ist in Indien, die andere in Pakistan, getrennt durch einen Zaun. Da viele Leute indischen bzw. pakistanischen Merch wie Käppis, Gesichtsbemalungen und Flaggen hatten, erinnerte mich die Stimmung etwas an ein Fußballspiel. Interessant war auch, dass wir als Ausländer an einem anderen Ort saßen als die Einheimischen und durch den VIP-Eingang rein durften. Kurzgefasst war die Show dann letztendlich ein sich gegenseitiges Aufspielen, wer vom Militär der Stärkere und Bessere ist. Das Tor zwischen den zwei Ländern wurde geöffnet und es gab einen Handschlag.“
Das Schöne und das Staunenswerte überwog auf der Reise. Wer wie Sonja ohne zu buchen mit offenen Sinnen durch die Welt reist, ist auch bereit, spontan einen Umweg zu nehmen, den Trip zu verlängern oder abzukürzen, um touristische Highlights mitzunehmen. Aller-dings, es gab auch Stress, zum Beispiel mit der ungewohnten unheimlichen Überwachung in China:
„Das ist etwas, was uns direkt am Anfang schon aufgefallen ist. Überall ist eine Kamera, in jeder Straße und Gasse, in Restaurants, Hotels und Hostels. Wenn wir manchmal irgendwo saßen und uns bewusst umgeschaut haben, hat man mindestens eine, wenn nicht gleich 3 oder 4 Kameras gesehen, von denen man aufgezeichnet wird. Meistens offensichtlich, es gab aber auch Fake-Bäume, an denen Kameras befestigt waren. Bei jedem Einchecken in Unterkünfte wird außerdem ein Foto gemacht und beim Bus- oder Zugticket-Kaufen muss man die Passnummer angeben. Wenn man dann zum Zug geht, braucht man kein Ticket, sondern sie scannen den Pass. Man kann also immer wissen, wo jemand unterwegs ist.“
Stress gab es auch mit dem Einreisevisum für Laos: „Vor Ort erfuhren wir, dass unser Visum on Arrival nur an der Grenze beantragt werden kann, wo auch Autos durchfahren, nicht aber da, wo man mit dem Zug hält. Nachdem uns das mal jemand auf Englisch mitteilen konnte, war schon etwas Zeit vergangen und auf unsere Frage, ob wir denn in Laos zumindest in den gleichen Zug wieder zusteigen könnten, war die Antwort ‚theoretisch ja, aber ihr müsst euch beeilen, ihr habt ca. 1 Stunde‘. Netterweise rief eine Polizistin für uns einen Fahrer an und nannte ihm den Ort, wo wir hinmüssten. Spätestens, als der Taxifahrer uns aufforderte, zu seinem Auto zu joggen, wurde uns bewusst: wir haben echt wenig Zeit! Etwa 15 Minuten später kamen wir dann an der anderen Grenze an und mit einer Handbewegung in eine Richtung ließ uns der Taxifahrer zwischen Geldwechslern stehen. Wir hatten keine Ahnung, wie viel Zeit wir noch hätten, wo die Zugstation in Laos war oder wie sie hieß. Wir hatten auch vergessen, unseren Offline-Übersetzer für Laos runterzuladen. Nun ja, die Ausreise aus China ging unkompliziert. Nachdem wir das überstanden hatten, mussten wir etwa 500 m bis rüber nach Laos laufen. Dort war von englischsprechenden Beamten keine Spur und nach längerem Warten wurden durch ein kleineres Fenster unsere Pässe genommen und dann wurden wir ohne weitere Erklärungen weggeschickt. An einem anderen Fenster, wo die Pässe nach Bearbeitung wieder herausgegeben werden, drängten sich ganz viele Menschen. Als nach einer gefühlt halben Ewigkeit unsere Namen fielen, war die Freude nur kurz, denn niemand hatte uns mitgeteilt, dass wir noch ein Formular ausfüllen müssten. Also: Formular ausgefüllt abgeben, nochmal warten und dann endlich mit dem Visum zur Passkontrolle. Dann waren wir endlich durch. Mit Zeichensprache erklärten wir dem wartenden Taxifahrer, dass wir zum Zug nach Luang Prabang müssen und landeten dann mit ein paar Chinesinnen eingequetscht auf der Rückbank eines kleinen Taxis beim 10 Minuten entfernten Bahnhof. Dort musste noch Mercedes‘ Taschenmesser dran glauben, das bis jetzt alle Kontrollen überstanden hatte. Hier wurde es nicht geduldet. Nachdem uns dann außerdem wieder zig Leute anstarrten und einfach nicht wegschauten, wenn man zurückschaute, hatten wir beide einen kleinen Nervenzusammenbruch vor lauter Stress. Das einzig Gute war, dass wir den Zug am Ende noch erreicht haben und am Nachmittag in Luang Prabang ankamen.“
In Australien arbeiteten die Freundinnen zeitweilig auf Farmen oder in Hostels und taten, wofür sich daheim nie eine Gelegenheit ergeben hätte: wurmkranke Schafe mit Medizin versorgen, schwere Feldarbeit verrichten, anderen Gästen das Mopedfahren beibringen, Hostels reinigen. Als Workawayer kamen sie vermehrt mit Einheimischen in Kontakt und aus der „internationalen Blase“ heraus. Backpacker unter sich gibt es auf der ganzen Welt. Man reist ein Stück Wegs gemeinsam, trennt sich, findet sie sich vielleicht in einem anderen Land wieder. In ihrer Sprache klingt das: „Wir chillten in einem Café, wobei wir über die letzten Monate updaten konnten.“
Sonja hakte einen wichtigen Punkt auf ihrer „Bucket list“ ab, als sie in Südamerika den erloschenen Vulkan Acatenango bestieg und aus nächster Nähe den aktiven Fuego erlebte. Es war ihr 24. Geburtstag, 5700 Meter über dem Meeresspiegel! Südamerika, sei es Chile, Peru, Kolumbien oder Argentinien, bot auch eine andere Herausforderung. Vegetarier haben es dort schwer. Essen ist fleischlastig und Sonja isst nichts Tierisches. Es schmeckt ihr gar nicht mehr. Obwohl eine Erkenntnis aus ihrem Grundstudium Umweltgeo-grafie an der LMU in München war, dass die ideale nachhaltige Ernährung darin besteht, weniger, bewusster und nicht einseitig zu essen. Also Fisch oder Fleisch in geringeren Mengen und aus artgerechter Haltung.
Aber lassen wir sie zum Abschluss selbst über eine ganz besondere Reise in Südamerika berichten: „Insgesamt 3 Tage und 2 Nächte verbrachten wir auf dem Boot in unseren Hängematten, mit Kartenspielen und Beobachten vom Ein - und Ausladen der Waren und Tiere, sowie dem vorbeiziehenden Dschungel. Alle paar Dörfchen entlang des Amazonas hielten wir an – Kühe, Schweine, Hühner, kiloweise Bananen, Melonen, Avocados wurden verladen und Passagiere stiegen ein und aus. Auch wenn es super eng war und jeder sehr wenig Platz für seine Hängematte hatte, war die Bootsfahrt ein Highlight meiner Reise. Unter den etwa 200 Passagieren waren wir 9 Ausländer, die 4 Jungs, die noch 3 andere kannten, ich und noch ein Schweizer, den wir auf dem Boot kennenlernten. In der Gruppe konnten wir gegenseitig auf unsere Sachen aufpassen, denn es war ein ständiges Kommen und Gehen und wir hörten von anderen, dass man da etwas aufpassen muss. Aber es ist wieder alles gut gegangen!“
So wie es auch gut ging, als Sonja in Santiago de Chile oder in Bogotá und Medellíin allein zurechtkommen musste, auch, als sie in einem Segelboot nach Panama fuhr und ein heftiger Gewittersturm das Boot erfasste. Dafür sind auch ihre Angehörigen bis heute dankbar. Elf Monate lang haben sie mitgefiebert. Der Vater meint: „Nachdem es uns im kommunistischen Rumänien verwehrt war, frei zu reisen, sind wir später gerne mit unseren Kindern ‘ausgeflogen’. Nun können sie es besser als wir!“ Schwester Anne erinnert sich: „Etwas mulmig war mir schon, wenn sie schrieb, dass sie auf irgendeinem Boot irgendwo in Lateinamerika unterwegs sei und sich mehrere Tage nicht melden könne…“
Was im Herzen einer Mutter vor sich geht, kann man nur ahnen. Sie schreibt: „Mit Staunen und ein wenig Sorge betrachte ich den fertig gepackten Rucksack, der alles Materielle beinhaltet, das Dich in den kommenden Monaten begleiten wird. Das Notwendigste aber hast Du in Dir drin. Die Unbekümmertheit und Vorfreude in Deinen Augen verdrängt meine mütterliche Angst. Ist es nicht großartig, so neugierig in die Welt hinauszuziehen? Du hast dieses Jahr voll ausgenutzt. Hast Erinnerungen geschaffen, die Dich ein Leben lang begleiten werden. Die große Freiheit! Dass Du gesund und so voller Eindrücke zurückgekommen bist, ist ein großes Glück. Auch für mich!“
Ende und Neubeginn daheim in München. Zunächst fühlte es sich komisch an, wieder ein Zimmer für sich zu haben. Und einen Schrank voller Kleider. Dieses Leben hatte sie abgestreift im letzten Jahr. Nun hinterfragt Sonja Manches aus ihrem Alltag. Zum Glück, meint sie, hieß es bald wieder übersiedeln, nach Freiburg ins Masterstudium „Geografie des Globalen Wandels“. Ein Praktikum dazu hat sie mit ihrer Reise um die Welt bereits souverän absolviert.