„Eine seltsame Krankheitsform von epidemischem Charakter“

An der tödlichsten Seuche des 20. Jahrhunderts starben mehr Menschen als im Ersten Weltkrieg

Viren besitzen keinen Stoffwechsel, sie atmen nicht, sie verbrennen keine Kalorien. Sie bestehen nur aus einem Erbmolekül, verpackt in Eiweiße, zuweilen umhüllt von einer fettigen Membran. Zu einer Art Leben erwachen Viren erst, nachdem sie in eine Wirtszelle eingedrungen sind. Die Illustration zeigt den Hepatitis-Virus. Foto: Centers for Disease Control and Prevention

Militär-Notfallkrankenhaus während der „Spanischen Grippe“ im US-Bundesstaat Kansas. Foto: National Museum of Health and Medicine (CC BY 2.0)

Zu den bekannten rumänischen Opfern der Pandemie von 1918 bis 1920 gehörte auch General Eremia Grigorescu, der die rumänischen Armeen in der Schlacht von Mărășești führte. Andere prominente Opfer waren Max Weber und Jakow Swerdlow. Foto: Muzeul de Istorie al României

Noch während im Frühjahr 1918, dem letzten Jahr des Ersten Weltkriegs in Europa, in den Schützengräben wöchentlich tausende Soldaten starben, verbreitete sich in den Ausbildungslagern der amerikanischen Armee ein Virus, das in den kommenden zwei Jahren noch weit mehr Menschenleben fordern sollte als die 17 Millionen Soldaten und Zivilisten, die im Krieg starben. Aufgrund der strengen Zensur in den kriegsführenden Staaten erhielt die Pandemie zunächst nur wenig Aufmerksamkeit. Allein im neutralen Spanien konnte die Presse über die Krankheit weitgehend frei berichteten. Die Nachrichtenagentur „Reuters“ meldete Ende Mai 1918: „Eine seltsame Krankheitsform von epidemischem Charakter ist in Madrid aufgetreten. Die Epidemie ist von einer milden Form, Todesfälle wurden bisher nicht gemeldet.“ Was genau in den kommenden zwei Jahren 50 bis 100 Millionen Menschen töten würde, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar.

Viren erfüllen nicht alle Kriterien des Lebens

Viren sind winzige und unglaublich einfache biologische Piraten. Sie dringen in tierische, pflanzliche oder menschliche Zellen ein und benutzen dann die komplizierte Stoffwechselmaschinerie der Zellen dazu, unzählig viele neue Viren herzustellen. Auch in der Umgebung können sie sich zum Teil sehr lange halten und ansteckend bleiben. Erst wenn sie keine neue Wirtszelle finden, sterben sie über kurz oder lang ab. Mit ihrer winzigen Größe von nur rund 20 bis 300 Nanometern sind sie unter einem gewöhnlichen Lichtmikroskop nicht zu erkennen. Sie können harmlose Krankheiten wie eine banale Erkältung oder den Lippenherpes auslösen. Doch auch ernsthafte Infektionen wie HIV/AIDS oder eine Leberentzündung (Hepatitis) werden durch Viren übertragen. Viren verursachen darüber hinaus viele der sogenannten klassischen Kinderkrankheiten wie Windpocken, Masern oder Röteln. Schon die Alten Ägypter hatten Probleme mit dem Pocken-Virus und im 15. und 16. Jahrhundert starb in Europa sogar jedes zehnte Kind an der Infektionskrankheit. Das Pocken-Virus konnte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgerottet werden. Einer der größten Erfolge der Medizingeschichte. Doch andere Erreger sind genauso alt und leben noch heute: das Masern-Virus zum Beispiel. Auch heute noch sterben weltweit jedes Jahr Zehntausende Menschen an den Masern, obwohl es längst einen Impfstoff gibt. Dass auch die Masern ausgerottet werden, bleibt eine Vision.

Im Gesamten gesehen machen Viren wenig mehr, als Zellen zu befallen, sich darin fortzupflanzen und diese dann zu verlassen, um in neue Zellen einzudringen und mit der Fortpflanzung von vorne zu beginnen. Fast alle für diesen endlosen Kreislauf nötigen chemischen Reaktionen werden eher von den befallenen Zellen als von den Viren selbst ausgeführt. Trotz der relativen Schlichtheit der Viren und ihres Lebenskreislaufs, kann der Vorgang einer Virusinfektion durch erstaunlich viele verschiedene Wege erfolgen. Ein besonders unberechenbares Virus ist das Grippe auslösende Influenza-Virus. Influenzaviren verändern sich ständig und bilden häufig neue Varianten. Durch diese Änderungen kann ein Mensch sich im Laufe seines Lebens öfter mit Grippe anstecken und erkranken. Der Impfstoff muss ständig angepasst werden.

Viren verhalten sich eher wie chemische Verbindungen

Den Grundstein für die Entdeckung der Viren legte Ende des 19. Jahrhunderts die Suche nach der Ursache für die Tabak-Mosaik-Krankheit, eine bei Tabakpflanzen auftretende Infektionserkrankung mit dunkel- und hellgrüner Fleckenzeichnung der befallenen Blätter. Sowohl der deutsche Agrikulturchemiker Adolf Mayer als auch der russische Biologe Dimitri Iwanowski wiesen nach, dass sich die Mosaikkrankheit von Tabakpflanzen durch einen bakterienfreien Extrakt aus kranken Tabakblättern auf gesunde Pflanzen übertragen lässt. Allerdings war der Erreger unter den zur Verfügung stehenden Lichtmikroskopen nicht sichtbar. Beide vermuteten schließlich besonders kleine Bakterien als Ursache für die Tabak-Mosaik-Krankheit und gehören damit zu den Tausenden von Wissenschaftlern, deren Anspruch auf Ruhm durch die Fehleinschätzung ihrer Versuchsergebnisse gemindert wurde.

Einige Jahre später führte der Holländer Martinus Beijerinck das gleiche Experiment wie Iwanowski und Mayer durch, kam aber zu ganz anderen Schlüssen. Der Mikrobiologe hatte bemerkt, dass durch den aus einer Pflanze gefilterten Saft sich die Krankheit nacheinander auf eine beliebige Anzahl von Pflanzen übertragen ließ. Dies deutete darauf hin, dass der Erreger sich innerhalb der Pflanzen vermehren konnte. Anders als seine Vorgänger schlug er vor, dass die Tabak-Mosaik-Krankheit durch einen neuen Typ Krankheitserreger hervorgerufen würde, der eher in flüssiger oder löslicher Form existiere, als aus Zellen zu bestehen. Mit dieser kühnen und ungewöhnlichen Hypothese missachtete Beijerinck das weithin akzeptierte Dogma, dass alles Lebende aus einzelnen oder mehrfachen Zellen zu bestehen habe. Diese Bereitschaft zur Annahme nicht-zellgebundener Lebensformen halten viele Forscher für den spekulativen Schritt, der die Virologie als Wissenschaft begründete. Denn der lösliche, lebende Keim, der die Tabak-Mosaik-Krankheit verursachte, war in Wirklichkeit ein Virus.

Beijerincks revolutionäre Ideen über die Natur der Viren stimmen zwar nicht genau mit dem überein, was später durch die moderne Wissenschaft aufgedeckt wurde, aber seine Arbeit enthüllte einen der allgemeinen Grundzüge der viralen Lebensform: Trotz der Tatsache, dass sich das Tabak-Mosaik-Virus nicht künstlich in Nährlösungen kultivieren ließ, konnte es sich problemlos innerhalb infizierter Pflanzen vermehren. Das veranlasste ihn zu der Feststellung, dass sein „löslicher, lebender Keim“, um sich reproduzieren zu können , erst „in das lebende Protoplasma der Zelle aufgenommen“ sein musste. Mit dieser genialen Aussage fasste er alles  zusammen, was heute als das auffälligste Kennzeichen von Viren angesehen wird. Nur wenn sie in den Stoffwechsel einer Wirtszelle integriert sind, zeigen sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung, die normalerweise mit dem Begriff „Leben“ verknüpft wird, außerhalb lebender Zellen verhalten sie sich hingegen inaktiv und „leblos“.
Durch die Kristallisation von Tabakmosaikviren, die unter dem Lichtmikroskop gerade noch sichtbar waren, gelang dem Amerikaner Wendell Meredith Stanley im Jahr 1935 schließlich der eindeutige Nachweis von Viren. Und mit der Entwicklung der Elektronenmikroskope wenige Jahre später wurde das Tabakmosaikvirus dann tatsächlich sichtbar.

WHO fordert neutrale Bezeichnung für Krankheiten

Kurz zuvor wurde auch der wahre Auslöser der Pandemie von 1918 bis 1920 entdeckt: das Influenzavirus. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelang es dann britischen und amerikanischen Wissenschaftlern, den Auslöser der Pandemie zu rekonstruieren. Der Grund für das verheerende Ausmaß der Pandemie ist allerdings umstritten. In der Grippe-Historiographie wird meist behauptet, dass die Virulenz des Erregers nicht auf den Weltkrieg zurückzuführen, seine weltweite Verbreitung aber durch das enge Zusammenleben der Soldaten in Ausbildungslagern und Schützengräben sowie  die Truppenverschiebungen begünstigt worden sei. Von anderer Seite wird diese Sicht allerdings als verkürzte Erklärung abgelehnt. Denn einerseits war die Spanische Grippe auch in neutralen Staaten wie Spanien oder der Schweiz weit verbreitet und andererseits war der weltweite Seeverkehr von teilweisen Unterbrechungen gekennzeichnet, was einer raschen Verbreitung des Virus in manchen Teilen der Welt entgegengewirkte. Vielmehr sei das Immunsystem der Menschen auf den aggressiven Virus nicht vorbereitet gewesen. Die chaotische Kriegssituation führte dann dazu, dass die Gefahr zunächst geleugnet und schließlich unzureichend bekämpft wurde.

Umgangssprachlich wird diese Pandemie, die in absoluten Zahlen an die Totenzahlen der Pest heranreicht, in vielen Sprachen „Spanische Grippe“ genannt. Eine Bezeichnung, die lediglich durch die freiere Berichterstattung im damaligen Spanien möglich war. Heute empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Vereinten Nationen Krankheiten nach Symptomen, dem Auslöser oder der Verbreitungsart zu benennen und keine stigmatisierenden oder diskriminierenden Begriffe zu prägen – wie die „German measles“ (Röteln), Ebola (Fluss in der DR Kongo) oder Schweinegrippe (Überträger ist in erster Linie der Mensch).
Die größte aktuelle Pandemie ist HIV/AIDS mit rund 38 Millionen Infizierten und über 35 Millionen Toten seit 1981. Ursprünglich wurde die Krankheit auch als „gay-related immunodeficiency“ oder „gay plague“ bezeichnet.
 


Wie gefährlich ist ein Virus?

Letalität bezeichnet bei einer Erkrankung oder Vergiftung das Verhältnis der Anzahl der an einer bestimmten Krankheit Verstorbenen zur Anzahl der Erkrankten. Während die „Spanische Grippe“ eine Letalität von mehr als 2,5 Prozent erreichte, liegt sie bei anderen Influenza-Pandemien bei unter 0,1 Prozent.
Zu den tödlichsten Erregern gehören laut dem deutschen Robert-Koch-Institut das H5N1-Virus, besser bekannt als Vogelgrippe, die weitestgehend wie eine saisonale Grippe verläuft, aber eine Letalität von 30 bis 83 Prozent erreicht. Ein anderer weltweit bekannter Erreger ist das Ebola-Virus, welches erstmals im Jahr 1976 im zentralafrikanischen Zaire am Fluss Ebola auftrat. Die WHO geht von einer Sterberate bis zu 90 Prozent aus.

Für die Gefährlichkeit eines Virus ist neben der Letalität allerdings auch die Infektionsgefahr von besonderer Bedeutung. Die Inkubationszeit beim Ebolafieber beträgt am häufigsten 8 bis 10 Tage. Infizierte sterben schließlich in der Regel zwischen dem 6. und 16. Tag nach Ausbruch der Krankheit. In den ländlichen Regionen Afrikas beschränken sich die Ausbrüche dementsprechend meist auf kleinere Gebiete. Das HI-Virus hat hingegen eine Inkubationszeit etwa drei bis sechs Wochen und eine meist mehrjährige Latenzphase ohne gravierende körperlichen Symptome. Während am Ebolafieber bisher „nur“ mehr als 13.000 Menschen starben, forderte AIDS im gleichen Zeitraum etwa 35 Millionen Tote.