Es war der Kauf von Freiheit (V)

Gespräch mit Dr. Heinz Günther Hüsch, dem deutschen Verhandlungsführer beim Freikauf der Rumäniendeutschen

Foto: sxc.hu

Der Anwalt Dr. Heinz Günther Hüsch war von 1968 bis 1989 Deutschlands Verhandlungsführer in der Frage der Familienzusammenführung von Rumäniendeutschen. Die Verhandlungen erfolgten mit Vertretern der Securitate. Rumänien hat sich das Erteilen von Ausreisegenehmigungen mit Millionen DM bezahlen lassen. Im Folgenden der letzte Teil des von Hannelore Baier am 6. Oktober mit Dr. Hüsch geführten Interviews.

Im Quellenband „Recuperarea“ sind mehrere Summen abgedruckt, die die rumänische Seite kassiert hat für den Freikauf. Stimmen diese und sind es alle, die gezahlt und/oder überwiesen wurden? Ergeben die veröffentlichten Zahlen die Gesamtsumme, die auf offiziellem Weg für den Freikauf gezahlt worden ist?

Ich habe die Zahlen nicht verglichen, das wäre zuviel Arbeit. Gefreut hat mich, dass verschiedene Barzahlungen bestätigt worden sind, worüber zum ersten Mal nun rumänische Dokumente vorliegen. Über die Gesamtsumme wurden Vermutungen veröffentlicht, aber alles, was ich darüber gelesen habe, ist falsch. Die Gesamtsumme kenne auch ich so genau nicht, weil nicht der gesamte Betrag über das von mir eingerichtete Konto geflossen ist. Auch die Quartalsbeträge von 8 Millionen DM liefen zunächst nicht über mich, die waren mit der Familienzusammenführung noch nicht mal richtig verknüpft worden. Und zu den Geldsummen muss die Berechnung der „Nebenleistungen“ dazukommen.

Was waren das für 8 Millionen DM Quartalszahlungen?

Gezahlt hat die deutsche Seite lange Zeit nach Qualifikation des Aussiedlers, doch wurde von Anfang an eine Pauschalisierung gewünscht, die die rumänische Seite ablehnte. Bei den Verhandlungen, die die Mitarbeiter von Kanzler Helmut Schmidt geführt haben, wurde das dann akzeptiert, doch wollte die rumänische Seite 5000 DM pro Person haben.

Man einigte sich auf 4000 DM – und das waren etwa 700 DM pro Person über dem Schnitt, der vorher bezahlt wurde. In dem von den Schmidt-Mitarbeitern vereinbarten Vermerk werden als Punkt zwei die rumänischen und die deutschen Listen gleichwertig betrachtet. Das hätte Tür und Tor für Manipulation geöffnet. Drittens sind in diesem Vermerk – der nicht unterschrieben wurde – weder ein Zeitraum noch eine Personenzahl festgehalten. Daneben gibt es ein Aide memoire, das zwischen Vasile Pungan (dem Berater von Ceau{escu – Anm. HB) und Günther van Well verhandelt worden war. Auch in diesem sind keine Zahlen enthalten.

Man erklärt Zufriedenheit über die im Jahr so und soviel Ausgereisten – das waren 11.000 – und hofft auf Fortsetzung. Unabhängig davon wurde – wohl im Wesentlichen von Ceau{escu und Schmidt und über deren Verhandlungsführer – vereinbart, dass Rumänien die Ausweitung der Hermes-Bürgschaften von 700 oder 800 Millionen DM erhält.

Merkwürdigerweise sollte eine Zinssubvention bezahlt werden, obwohl die verbürgten Leistungen überhaupt nicht klar waren. Die Zinssubventionen wurden auf 32 Millionen DM im Jahr festgelegt. Das sind mal 5 Jahre 160 Millionen und die waren in Vierteljahresraten zahlbar. Und diese Vereinbarung war nicht expressis verbis mit der Familienzusammenführung verknüpft.

Die rumänische Seite hat den Bürgschaftsrahmen nicht ausgeschöpft, aber munter die 8 Millionen kassiert. Nun machten die deutschen Verhandlungsführer auch noch zusätzlich den Fehler zu versprechen, dass diese 8 Millionen unmittelbar aus der Bundeskasse, aus dem Titel Familienzusammenführung, an ein Konto xy überwiesen werden. Also nicht etwa über mich, sodass man eine Verknüpfung aufbauen kann. Wir waren entsetzt, denn es war klar, dass es sich um eine Verletzung des deutschen Haushaltsrechtes gehandelt hätte.

Aber das Bundeskanzleramt wollte unbedingt Erfolge haben und nach außen propagieren, Schmidt hat die Zusammenführung herbeigeführt. Das ist unwahr: Die Zahl der Ausreisenden hat sich nach dem Schmidt-Besuch in den ersten Jahren nicht erhöht, sie blieb um 11.000. Nach dem Schmidt-Besuch war es so, dass etliche führende Beamte im BMI sagten, dann schmeißen wir den Krempel hin. Ich sagte, das tun wir nicht, das können wir nicht verantworten.

In mehreren Besprechungen hat sich dann – ich sage es eitel – meine Linie durchgesetzt. Ich war auch verärgert, dass man einen Ministerialbeamten mitgeschickt hatte, der den Securitate-Leuten in keinster Weise gewachsen war, doch mussten wir einen Ausweg suchen. Wir haben die Verhandlungen fortgesetzt, um neue Formulierungen zustande zu bringen.

Dazu ist es später in einem einseitigen Bestätigungsschreiben nach den Verhandlungen in Köln mit „Drăgan“ (Nicolae Doicaru, Leiter der Direktion Außenspionage – Anm. HB) gekommen. Von Anfang an wurde erklärt, die 8 Millionen DM gibt es nur wegen der Familienzusammenführung. Ich habe darauf bestanden, dass diese 8 Millionen über mein Konto laufen und dass ich sie immer im Zusammenhang mit den Abrechnungsverhandlungen auszahle, um auch auf diese Weise zu verdeutlichen, es besteht ein Zusammenhang.

Wir haben den Zusammenhang auch hergestellt, indem wir die 8 Millionen zwei Quartale nicht ausgezahlt haben. Erst in der zweiten Hälfte des betreffenden Jahres und nach der Feststellung, dass sich die Zahlen auf den Jahresschnitt der Ausreisen zubewegen, wurde nachgezahlt. Diese auf 5 Jahre getroffene Vereinbarung ist dann noch zweimal wiederholt worden. Man lag ja fest, was sollte man machen.

Was waren die Hermes-Bürgschaften? Laut Berichten der rumänischen Seite sind diese nicht voll genutzt worden. Wissen Sie, warum dies nicht geschehen ist?

Die Institution Hermes ist eine halbstaatliche Institution, die die Forderungen für Lieferungen in andere Länder gegen Bezahlung verbürgten. Also eine Bürgschaftsbank. Rumänen hätte Waren im Wert von bis zu 700 Millionen DM in Deutschland beziehen können, für die Hermes eine Einlösungsbürgschaft gegeben hätte.

Mir wurde gesagt, die Grundabsicht sei gewesen, damit ein Stahlwerk zu bauen. Dann hieß es, man wolle die Aluminiumproduktion ausweiten. Nun waren das immer Spinnereien. Für solche Werke hätte es Unmengen Energie benötigt, die hatte Rumänien nicht. Dann wollte Ceauşescu – damit bin ich indirekt auch befasst worden – Volkswagen nach Rumänien holen und den nach Renault-Modell gebauten Dacia mit einem VW-Modell ergänzen. Aber VW wollte nicht. Dann hatte Ceauşescu die Idee, als Flugzeugbauer aufzutreten und dabei an die erfolgreiche Vorkriegsindustrie anzuknüpfen. Der Hintergrund für diese Verträge war die Großunternehmenssucht Ceau{escus, dafür opferte er  alles.

Wieso kam es unter Kanzler Helmut Schmidt zu den Verhandlungen zwischen van Well und Pungan und schließlich dem Unterzeichnen des Aide memoire im Januar 1978? Warum wurden die Vereinbarungen nicht weiterhin vertraulich geschlossen?

Im Vorfeld des Schmidt-Besuches wurde ich von Staatssekretär Günther van Well unterrichtet, man beabsichtige, die Familienzusammenführung auf eine verbindliche, völkerrechtliche Ebene zu stellen. Ich äußerte meine Zweifel, ob das durchsetzbar sei, habe aber gesagt, ja, wenn Sie es durchsetzen können, ist es sicherlich gut und die Bundesrepublik bekommt eine ganz andere Handhabe für das Problem als nur auf dem geheimen Kanal.

Das wurde Herrn Schmidt alles eingetrichtert – und ging gründlich schief. Ceauşescu hat das Bestehen eines Abkommens über Familienzusammenführung striktissimi abgelehnt. Aber Schmidt musste mit Erfolgen aus Bukarest zurückkommen, also hat das Bundespresseamt eine Pressemeldung verfasst und mitgeteilt, nunmehr sei der Weg frei für die Aussiedlung. Schlicht gelogen! Die Einzigen die das wussten, waren meine Verhandlungspartner im BMI, das waren Beamte, die mussten schweigen, und ich durfte auch nichts sagen, aus anwaltlichen Verschwiegenheitsgründen.

Abgedruckt sind in „Recuperarea“ Berichte, in denen mitgeteilt wird, dass die deutsche Seite unzufrieden ist, weil die Absprachen betreffend die zu erteilenden Ausreisegenehmigungen nicht eingehalten werden. Weshalb kam es, aus Ihrer Erfahrung, zu dergleichen Ausreisestopps? Hans Dietrich Genscher sagte in einem Interview, das waren Zeichen, dass neu verhandelt werden muss, sprich, die rumänische Seite wollte mehr Geld haben.

Es hat immer Schwankungen gegeben. Im Ganzen gesehen, hat die rumänische Seite die Jahreszahlen eingehalten, doch gab es auch mal halbe Jahre, in denen keine Genehmigungen erteilt wurden. Einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Verhandlungen kann ich nicht erkennen.

Ich glaube eher, dass es administrative und politische Probleme in Rumänien gab, weil die Sache ja umstritten war. Wie ich später erfahren habe, ist der Ausverkauf der qualifizierten Arbeitskräfte in verschiedenen Gremien immer wieder erörtert worden. Es wird wohl ein Hin und Her gegeben haben, bis sich wieder die Securitate durchsetzte und sagte, wir brauchen Geld für unsere Umtriebe.

Laut Berichten der rumänischen Partner haben Sie diese informiert, welche weiteren Töpfe (Entwicklungshilfe, Kulturaustausch-Fonds) sie anpeilen könnten. Welches war der tatsächliche Sachverhalt: Wurden Sie gefragt und gaben Antwort, wussten Sie, dass Ihre Partner ein Soll an Devisen einbringen mussten und später günstige Kredite und wollten dabei Tipps geben, oder war der Hintergrund ein ganz anderer?

Der Hintergrund war anders. Die rumänische Seite hat in den Verhandlungen mit mir, wahrscheinlich auch auf diplomatischem Weg, mehrere allgemeine Entschädigungsfragen angesprochen und erzwingen wollen. Das eine war die Entschädigung für Opfer medizinischer Versuche. Dazu haben wir erklärt, diese Versuche sind wohl in Rumänien durch Rumänen durchgeführt worden, das ist ihr Problem.

Die rumänische Seite hatte geglaubt, wenn in Deutschland solche Entschädigungen gezahlt werden, könnten auch Rumänen davon profitieren. Dann kamen sie mit der Idee, sie wollen Reparationen haben. Ich wies darauf hin, dass es das Londoner Schuldenabkommen gibt, dem die Ostblockstaaten nicht beigetreten sind, also kann es keine Reparationen auf diesem Weg geben.

Dann wollten sie Entschädigungen haben für die Verfolgten des nationalsozialistischen Systems. Wir stellten klar, die Eiserne Garde und Antonescu waren ihre Leute, nicht Deutsche.

Verärgert war die rumänische Seite, weil ich abgestritten hatte, dass es zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien Verhandlungen auf Einräumung eines Kredits über eine Milliarde DM gibt. Über die war ich nicht informiert. Da fühlte sich die rumänische Seite „ungleich“ behandelt, weil ihren Darlehensforderungen nicht so großzügig entsprochen wurde.

Eine „glorreiche“ Idee war, Rumänien als Entwicklungsland zu erklären, und also sollten wir entwicklungspolitische Leistungen erbringen. Dass Deutschland keine Entwicklungshilfe an die Ostblockstaaten zahlt, hatten sie übersehen. Ich teilte ihnen mit, Rumänien ist Mitglied der UNO und der Weltbank, sie sollten sich um deren Fonds bemühen. Von mir war es stets eine ausweichende Verteidigungshaltung, um die Forderung nach deutschen Leistungen in andere Richtungen zu lenken.

Warum haben Sie 1983 angeboten, in Ihrem Büro in Neuss eine rumänische Gemäldeausstellung zu organisieren? Kam es dazu?

Das Angebot habe ich gemacht, es kam aber zu keiner Ausstellung, leider. In der Kanzlei hatten wir damals immer Kunstausstellungen und die hat Stelian Andronic (einer der rumänischen Verhandlungspartner – Anm. HB) gesehen und gefragt, ob rumänische Künstler nicht auch ausstellen könnten. Ich hab zugesagt, er war angetan, seine Künstler hätten Devisen verdienen können, die Ausstellung kam aber nicht zustande.

Ich hatte auch Gheorghe Marcu (ebenfalls rumänischer Verhandlungspartner) angeboten, er soll vor der Industrie- und Handelskammer einen Vortrag über die rumänische Außenhandelspolitik halten. Er war ja angeblich Vizedirektor des Außenwirtschaftsinstituts. Dazu kam es natürlich ebenfalls nicht. Das war alles so ein bisschen Landschaftspflege.

Wer waren, Ihren Informationen nach, die Personen, die Bestechungs- oder zusätzliche Gelder verlangten, um die Ausreise angeblich zu beschleunigen?

Die Zahlungen von Garlepp, die sich auch in meine Recherchezeit hineinzogen, waren Bestechungen. Die Frage müsste lauten, ob es nach dem Zustandekommen des von mir gepflegten „Kanals“ weiterhin Bestechungen gegeben hat. Jawohl, gab es. Haben wir Kenntnis davon bekommen? Jawohl. Keine lückenlose, aber diesen Tatbestand ergaben Befragungen.

Ich habe in jeder Besprechungsperiode dagegen interveniert und das ist in den Protokollen nachzulesen. Antwort der rumänischen Seite: Dann sagen Sie uns, welche Personen beteiligt sind. Ich habe unserem Auftraggeber gesagt, wir müssen überlegen, ob wir das tun wollen, und zwar wegen der Sippenhaft. Die kennen wir auch aus anderen Ländern. Wenn wir mächtig genug sind, die Bestechungen zu unterbinden, dann können wir es machen.

Wenn nicht – und ich sage mal, wir waren es nicht – dann müssen wir die Gefahr abwägen, ob durch die Nennung von Namen nicht eine neue Gefahr heraufbeschwört wird. Lange Zeit galt, wir benennen keinen. In einem Fall habe ich mal eine Liste mit Ross und Reiter vorgelegt, nachdem wir uns vorher vergewissert hatten, ob was passieren kann. Es hat in Rumänien zweimal auch Verhaftungen gegeben, die uns mitgeteilt und in der rumänischen Presse publik gemacht wurden. Wir haben sie innerlich als Scheinbestrafung abgetan.


TEIL I

 

TEIL II

 

TEIL III

 

TEIL IV