Europa, quo vadis?

Ein Plädoyer für die Entwicklung von den Nationalstaaten zu den Regionen

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Griechenland, Euro-Rettungsschirm und Wirtschaftskrise: Europa durchlebt derzeit turbulente Zeiten. Einige Politiker sprechen gar von der schwersten Krise seit Bestehen der Staatengemeinschaft. Ihr Ausgang ist derzeit unklar. Doch eines scheint für Winfried Böttcher sicher: Europa hat in einer globalisierten und sich politisch stark verändernden Welt nur als Gemeinschaft eine Chance. Das legt der Autor in einem gerade erschienenen Buch über die Zukunft Europas dar.

Das 21. Jahrhundert ist erst wenige Jahre alt, und doch hat es die Welt entscheidend verändert. Die Anschläge vom 11. September 2001, kriegerische Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan, die große EU-Erweiterung um mittlerweile 12 Länder, die Wirtschaftskrise vor zwei Jahren, die derzeitige Euro-Krise, das zunehmende Selbstbewusstsein der aufstrebenden Supermächte China und Indien in Asien und Brasilien und Mexiko in Amerika und nicht zuletzt auch der arabische Frühling haben die Welt in nur wenigen Jahren entscheidend geprägt, ja sogar ein Stück weit unübersichtlicher werden lassen. Zumindest aus europäischer Sicht, denn Europa verliert weltweit immer mehr an Einfluss.

Europa habe diesen zunehmenden Bedeutungsverlust in einer sich geopolitisch stark verändernden Welt zwar erkannt, schreibt Winfried Böttcher, emeritierter Professor für Internationale Politik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, in seinem Buch „Ein anderes Europa“. Der alte Kontinent habe bislang aber nicht angemessen darauf reagiert, ist er überzeugt: „Mehr als 60 Jahre europäischen Einigungsbestrebens haben es nicht vermocht, die Nationalinteressen den notwendigen großen Gemeinschaftsinteressen unterzuordnen“.
Grundsätzlich plädiert er deshalb für ein Europa der Regionen. Er geht von der These aus, dass Globalisierung und Regionalisierung zwei Seiten derselben Medaille sind. Die unaufhaltsame Globalisierung erzeuge bei den Menschen eine zunehmende Orientierungslosigkeit. Weder der Nationalstaat, und schon gar nicht die Europäische Union in ihrem derzeitigen Zustand bieten diese Orientierung an.

Doch Menschen könnten ihre Orientierung nur in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, ihrer Gemeinde und in der Region finden. Nur dort könne sich Demokratie als Lebensform bei abnehmender Demokratie als Herrschaftsform entwickeln. Von dieser Überlegung ausgehend, untersucht er in seinem Buch die Zukunft Europas. Die Begriffe Nation, Region, Nationalismus, Regionalismus, Regionalisierung und Föderalismus werden historisch eingeordnet und auf ihre heutige politische Relevanz hin geprüft. Danach untersucht er das Ende der alten Staatsräson mit ihren obsoleten Souveränitätsvorstellungen und stellt diesen eine selbst entwickelte Regionsräson gegenüber.

Denn Europa habe neben seinen heute zutage tretenden staatsorganisatorischen Schwächen ein anderes Problem: Europa war von Beginn an ein Projekt der Eliten, an dem der „normale“ Bürger auf der Straße keinen Anteil hatte und heute immer noch nicht hat. Eine europäische Identität existiere heute kaum. Mehr als die Hälfte aller Europäer hätten sogar überhaupt kein Problem damit, wenn die Europäische Union heute aufgelöst werden würde.

Böttcher geht in seinem Buch von drei verschiedenen Szenarien für die Zukunft Europas aus: einem Weiterso des bisherigen Neo-Funktionalismus, einem Rückschlag durch zunehmende Renationalisierung und ungebremste Erweiterung Europas und einer europäischen Föderation neuer Art, für die der Autor schließlich plädiert.

Eine solche Föderation neuer Art, „ein Europa der Vereinten Regionen, wirkt als lebendiger Regionalismus, nahe beim Alltag der Menschen, der möglichst mit solidarischer und partizipativer Beteiligung aller Betroffenen die anfallenden Probleme zu lösen vermag.“ Das Europa der Zukunft, ist sich Winfried Böttcher in seiner abschließenden Betrachtung sicher,  wird regional und föderal – ein Volk von europäischen Völkern – oder es wird gar nicht sein.

Winfried Böttcher: „Ein anderes Europa. Von den Nationalstaaten zu den Regionen“. 2011, 257 S., ISBN 978-3-8329-6147-3