Der erste Eindruck ist eine Mischung aus Überraschung und Vertrautheit – so viele Angestellte hatte ich nicht erwartet, ich wusste ja auch nicht, wie vielseitig ihre Aufgaben sind. Die Büroatmosphäre erinnert dagegen an eigene berufliche Erfahrungen: Ausstattung und Einrichtung an mancher Stelle etwas improvisiert, funktionaler Stil, an den Wänden Flyer und Poster in verschiedenen Sprachen. Mir war vorher klar: NGOs leben allgemein von Projektgeldern – einhergehend mit fehlender finanzieller Stabilität. Die Arbeit des CNRR wird zum Großteil mit Geldern des UNHCR und des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) finanziert . Essenziell ist die Identifikation ihrer Mitarbeiter: diese war aus den Gesprächen immer wieder herauszuhören, dazu spürbare Dankbarkeit für das Interesse an ihrer Arbeit.
Für diesen Artikel öffnete der Rumänische Nationale Flüchtlingsrat (Consiliul Național Român pentru Refugiați – CNRR) mit Sitz in Bukarest der ADZ seine Türen und gewährte einen Einblick in die vielfältige, aufwendige, komplizierte, einen Unterschied machende Arbeit mit Geflüchteten. Der Autor konnte an zwei Bürostandorten mit zahlreichen Mitarbeiterinnen aus den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der NGO sprechen, nur die Tür zum Beratungsraum blieb zu - im Bezug auf die Gespräche mit den Ratsuchenden steht Vertraulichkeit an erster Stelle. Neben den hier beschriebenen Projekten gibt es auch Aktivitäten außerhalb der Bukarester Büros, z.B. an der rumänisch-ukrainischen Grenze oder in den sechs regionalen Asylzentren.
Beratung im Asylverfahren
Die Asylverfahrensberatung ist statistisch gesehen ein undankbares Feld. Im Jahr 2023 lag die Anerkennungsrate - also die Anzahl der Verfahren, in denen den Antragstellern entweder ein Status als anerkannter Flüchtling oder subsidiärer Schutz zugesprochen wurde - bei 16,7 Prozent. Wobei die Quote je nach Herkunftsland stark variiert. Im gerichtlichen Verfahren, welches diejenigen anstreben können, die gegen den negativen Bescheid vorgehen möchten, lag die Erfolgsquote im Jahr 2023 bei 8 Prozent in der ersten und 15 Prozent in der zweiten Instanz. Keine guten Aussichten also. Und doch: Jeder Fall ist individuell und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
M²d²lina und Bianca erläutern den Ratsuchenden zunächst das Prozedere, vermitteln wichtige Tipps, worauf sie bei den Anhörungen im Generalinspektorat für Einwanderung (rumänisch kurz IGI) achten sollen. Zum Beispiel: Das Anhörungsprotokoll nur unterschreiben, wenn sie es wirklich verstanden haben und der Inhalt stimmt! Natürlich müssen die Asylsuchenden ihre Geschichte wahrheitsgemäß schildern und diese sollte so komplett wie möglich sein, betonen die Beraterinnen, denn die vollständige und glaubhafte Schilderung muss in vielen Fällen fehlende „Beweise“, wie etwa Dokumente, Video- oder Tonaufnahmen, ersetzen, welche die Menschen meist nicht (dabei) haben.
Spätestens im gerichtlichen Verfahren versucht der Flüchtlingsrat für seine Klienten dann über detailliertes Hintergrundwissen zu den Herkunftsländern die Schutzbedürftigkeit zu belegen. Hierfür gibt es ein eigenes Rechercheteam in der Organisation, mit dem Bianca und M²d²lina eng zusammenarbeiten. Dieses Wissen muss ständig aktualisiert werden, denn die politische und gesellschaftliche Lage verändert sich rasend schnell. Aktuell häufen sich zum Beispiel Fälle ugandischer Flüchtlinge, die vor der 2023 per Gesetz eingeführten Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Sex und der Verfolgung von LGBTQ-Aktivisten im Land fliehen. Die rechtliche Unterstützung der NGO geht bis zum finalen gerichtlichen Beschluss, Daumen hoch oder Daumen runter.
In dieser schwierigen Gemengelage müssen die Beraterinnen immer wieder klarstellen, dass nicht sie über das Ergebnis entscheiden, sondern die Behörden bzw. ein Gericht – am Ende ein einzelner Richter, von dem alles abhängt. Erwartungsmanagement ist Teil des Jobs, aber alles andere als leicht, wenn so viel auf dem Spiel steht. Enttäuschte Hoffnungen können zu Vorwürfen führen, das lässt sich nicht vermeiden. Andererseits: Jeder positive Verlauf, den der CNRR begleitet hat, ist ein lebensverändernder, oder gar -rettender Erfolg.
Integrationsberatung – Unterstützung im neuen Leben
Wer in der Integrationsberatung des Flüchtlingsrates sitzt, hat es zwar einerseits geschafft, denn sein Aufenthalt in Rumänien ist erst einmal gesichert. Andererseits hören die Probleme natürlich nicht einfach so auf. Davon können die Beraterinnen des Teams anschaulich berichten.
Jeder, der einen Schutzstatus in Rumänien hat, verfügt grundsätzlich über dieselben Rechte wie rumänische Staatsbürger. Doch zunächst einmal muss man seine Rechte, Pflichten und Fristen kennen und verstehen. Die Sprachbarriere erweist sich immer wieder als unüberwindbare Hürde, um diese einfordern oder einhalten zu können. Und dann hakt es manchmal auch in der Umsetzung: Nicht alle rumänischen Behörden kennen sich mit der Rechtslage und Praxis in Bezug auf Flüchtlinge aus. Die Beraterinnen erklären die geltenden Bestimmungen mit der Hilfe von Dolmetschern, manchmal schreiben sie auch einen klärenden Brief an die blockierende Behörde – viele Probleme ließen sich so lösen, erzählen sie. Immer wieder gehen sie auch mit ihren Ratsuchenden zu Terminen, um vor Ort zu vermitteln.
Die Themen sind vielfältig. Häufig geht es um den Zugang zum Arbeitsmarkt – die Mitarbeiterinnen helfen zum Beispiel dabei, einen aussagekräftigen Lebenslauf anzufertigen und begleiten zu Jobmessen – oder um Fragen der (Weiter-)Bildung in Rumänien – Welche Qualifikationen und Vorerfahrungen können wie anerkannt werden? Aktuell versucht das Team zum ersten Mal für eine Geflüchtete einen Grad der Behinderung in Rumänien feststellen zu lassen. Ein zentrales Thema für viele anerkannte Flüchtlinge ist die Familienzusammenführung. Auch hier erklären die Beraterinnen Schritt für Schritt das Verfahren und assistieren in der Durchführung. Kein einfaches Thema, wie Teamleiterin Laura erwähnt: Die Visa für Familienmitglieder sind teuer und deren Beantragung zeitaufwendig. Man kann sich vorstellen, wie hier die Nerven der Betroffenen strapaziert werden, die ihre Lieben nicht in Sicherheit wissen.
Zum Schluss ist es den Berate-rinnen noch wichtig, auf ihre kulturellen Veranstaltungen hinzuweisen. Das letzte Treffen wurde mit der somalischen Community in Bukarest zusammen gestaltet. Den Mitarbeiterinnen ist daran gelegen, etwas über die Kultur der Menschen zu erfahren, die ihnen im Beratungsraum gegenübersitzen. Dies helfe nicht zuletzt dabei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und Missverständnissen vorzubeugen. Sie berichten von einem im Beratungskontext verbreiteten Phänomen - „Informationen“ aus der Community werden häufig schnell geglaubt, stellen sich aber nicht selten als falsch oder nicht auf alle Fälle übertragbar heraus. Die Kompetenz von Vertretern einer „fremden“ Institution wird dagegen gelegentlich angezweifelt, insbesondere in der Konstellation „älterer männlicher Ratsuchender - jüngere weibliche Beraterin“.
Der Sonderfall Ukraine
Für die Beratung der ukrainischen Flüchtlinge gibt es ein eigenes Team im Flüchtlingsrat, das landesweit über ca. 20 Angestellte verfügt, sechs davon in Bukarest. Die Mitarbeiterinnen führen die Beratung in der Regel zu zweit durch, schildert der Teamleiter Eugen. Eine Person ist für die rechtlichen Inhalte zuständig, eine andere für die sprachliche Vermittlung. Darüber hinaus gibt es die ukrainischsprachige Hotline für diejenigen, die nicht so einfach in ein CNRR-Büro kommen können oder nur eine kurze Information benötigen.
Es sei gerade eine etwas turbulente Zeit, erklärt Eugen Ende August. Gerade hat die rumänische Regierung ein neues Unterstützungsprogramm für Ukrainer aufgelegt. Seit Juli soll es für Neuankömmlinge nur noch drei Monate lang Geldleistungen für die Unterkunft geben. Aktuell fehle es jedoch noch an einer gesetzlichen Regelung zur Umsetzung, sowieso warten viele Betroffene noch auf Geldleistungen aus dem bisherigen Programm, die regelmäßig nur mit großer Verzögerung ausgezahlt werden. Die rumänische Regierung gewährt diese nur, so lange es das Staatsbudget hergibt – Flüchtlinge sind nicht gerade ganz oben auf der politischen Prioritätenliste. Wann und wie die neue Leistung (ca. 2000 Lei pro Monat) ausgezahlt wird und wohin zukünftig diejenigen sollen, die zunächst keine private Unterkunft finden, ist unklar. Der Teamleiter macht deutlich, dass dieses Thema gerade eine große Herausforderung darstellt.
Doch es gibt auch Erfreuliches zu berichten: Der Anteil der ukrainischen Kinder und Jugendlichen, die in Rumänien Bildungsinstitutionen besuchen, steige. Die Erkenntnis, dass der ukrainische Online-Unterricht keine längerfristige Alternative ist, setze sich langsam durch. Auch die Arbeitsmarktintegration schreite voran, wobei die Kinderbetreuung im Bereich der Kleinen nach wie vor problematisch sei – zu wenig Plätze in den staatlichen Kindergärten. Der Leiter des Integrationsteams sagt es nicht so direkt, doch Organisationen wie der CNRR dürften ihren Anteil an diesen insgesamt positiven Entwicklungen haben. Gehört es doch zu ihren Aufgaben, über die Optionen im Bildungswesen zu informieren, beim Anmelden und Einschreiben zu helfen, bei der Arbeitssuche zu unterstützen usw. Eine mitunter mühsame Einzelarbeit, die sich schlussendlich für Geflüchtete und die aufnehmende Gesellschaft auszahlt.
Advocacy – über den Einzelfall hinaus
Der Bereich Advocacy ist der Ort, wo die strukturellen Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit zusammenfließen. Wenn sich bestimmte Probleme häufen, wenn sich bestimmte Regelungen als nachteilig für die Geflüchteten erweisen, versuchen die Mitarbeite-rinnen dort anzusetzen und den politischen Prozess zu beeinflussen. Sie sind im Grunde genommen Anwälte der Interessen geflüchteter Menschen in Rumänien.
Bei der Arbeit komme es zum einen häufig auf die juristischen Details an, erklärt Livia. Darüber hinaus brauche man einen langen Atem und müsse damit leben können, dass manchmal trotz aller Bemühungen am Ende nichts erreicht wird. Umso schöner, wenn die eigenen Bemühungen fruchten und die Politik Fehler behebt – ukrainische Flüchtlinge konnten beispielsweise lange Zeit kein Kindergeld in Rumänien beantragen, obwohl sie Anspruch darauf hatten, weil in ihren temporären Schutz-Bescheinigungen kein Wohnsitz eingetragen wurde. Eine Praxis, die im März dieses Jahres seitens der Regierung korrigiert wurde.
Das Advocacy-Team beobachtet aber auch die Berichterstattung bzw. die öffentliche Debatte über Flüchtlinge im Land. Erst seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine und der dadurch ausgelösten Fluchtbewegung, unter anderem in Richtung Rumänien, sei die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gestiegen. Flüchtlinge aus anderen Weltregionen seien nach wie vor kein großes Thema, da die Zahlen insgesamt noch gering seien. Sorgen bereitet den Mitarbeiterinnen jedoch der Anstieg von Fake News und die steigende Sympathie für rechtspopulistische Parteien in Rumänien. Es sei zu befürchten, dass auch Rumänien vor einer deutlich verschärften Debatte zum Thema Flucht und Migration steht, was sich auf die Arbeit des CNRR auswirken wird.
Wie erfolgreich der Flüchtlingsrat in Zukunft die Interessen der Flüchtlinge in Rumänien vertreten kann, hängt natürlich auch von der politischen Entwicklung auf EU-Ebene ab. Der Präsident und Gründungsvater der Organisation (im Jahr 1998) Niculae Cârcu, äußert dazu eine eher pessimistische Einschätzung: „Die Türen für Migranten schließen sich, aber soll die EU wirklich eine Festung sein?“
Im Jahr 2023 wurden in Rumänien 10.346 Anträge auf Asyl gestellt, die meisten davon von Bürgern aus Bangladesch (2824), Syrien (1995) und Pakistan (1241). Als Flüchtlinge anerkannt wurden 491 Personen. Subsidiären Schutz erhielten 438 Personen.
Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Rumänien fliehen, erhalten auf Antrag sogenannten temporären Schutz. Es findet – im Gegensatz zum Asylverfahren – also keine inhaltliche Prüfung des Einzelfalls statt. Bis Juni 2024 wurde in 167.048 Fällen temporärer Schutz gewährt.
Quelle: UNHCR
Statistiken zu den Asylanträgen, Gerichtsverfahren sind dem Länderbericht Rumänien der Asylum Information Database (AIDA) entnommen: https://asylumineurope.org/reports/country/romania/statistics/