Gelebte Spiritualität und Gemeinschaft in Maria Radna

Deutsche Wallfahrt lockte zahlreiche Banater Schwaben in die päpstliche Basilika

Kreuzwegandacht am Kalvarienberg hinter der Wallfahrtsbasilika: Der Kreuzweg wird derzeit restauriert, dafür werden weiterhin Spenden gesammelt. | Foto: Claudiu Călin

Die Geistlichen mit den Vertretern der Banater Deutschen und Konsulin Regina Lochner (links)

Pfarrer Robert Dürbach feierte in Maria Radna sein silbernes Priesterjubiläum. Anwesend waren auch drei Marienmädchen aus Sanktanna.

Die päpstliche Basilika am nördlichen Marosch-Ufer war anlässlich der deutschen Wallfahrt am Portiuncula-Tag voll. | Fotos: Raluca Nelepcu

In Maria Radna, dem „Herz der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar“, wie es so gern bezeichnet wird, wird am heutigen 2. August nur Deutsch gesprochen. Es ist ein Sommertag mit über 30 Grad Celsius, die Sonne brennt heiß und nur wenige weiße Wölkchen durchstreifen den Himmel, doch drinnen, in der päpstlichen Basilika, ist es, wie immer in der warmen Jahreszeit, angenehm kühl. Alle Sitzplätze sind heute besetzt. Banater Schwaben von nah und fern sind angereist, um an der deutschen Wallfahrt teilzunehmen – eine Wallfahrt, die am franziskanischen Portiuncula-Fest angesetzt ist. Hauptzelebrant ist Pfarrer Robert Dürbach aus Uhingen in Deutschland. Der aus Hatzfeld/Jimbolia im Kreis Temesch stammende Geistliche feiert heute sein silbernes Priesterjubiläum. 1998 wurde er von Bischof Sebastian Kräuter im Hohen Dom zu Temeswar zum Priester geweiht – er war, eigenen Angaben zufolge der letzte Banater Schwabe, der Priester im Banat wurde.

Mit dem traditionellen Marienliedersingen beginnt die deutsche Wallfahrt in Radna. In der Zwischenzeit kommen noch Menschen an, denn die Heilige Messe zelebriert Pfarrer Dürbach gemeinsam mit mehreren Seelsorgern aus Rumänien und Deutschland ab 11 Uhr. Drei Marienmädchen aus Sanktanna im Kreis Arad sind ebenfalls dabei. Sie stehen ganz vorne, links, und wohnen dem gesamten Gottesdienst stehend bei. Ihre Tracht ist ein Blickfang: Sie tragen weiße, plissierte Röcke, ein Tuch mit hellblauem Rand um die Schultern und eine blaue Masche unter dem Hals, sowie weiße, glänzende Kronen auf dem Kopf. Die Tradition der Marienmädchen hat sich nur noch in wenigen Ortschaften des Banats erhalten – eine davon ist die Kleinstadt Sanktanna, in der einst mehrheitlich Banater Schwaben lebten. „Eine so schöne Tracht der Marienmädchen, wie sie die Mädchen aus Sanktanna tragen, habe ich noch nirgends gesehen“, sagt Andreas Reinholz, Pfarrer in Maria Radna, selbst ein „Schwob“ aus Sanktanna, wie er über sich  sagt.  

Die Orgel erklingt, die Gläubigen singen laut und klar. Auf den Bänken liegen einige Faltblätter mit den Liedern, die in der heutigen deutschen Messe gesungen werden sollen. „Ich weiß nicht, ob es genügend waren, denn die Kirche ist voll“, sagt Pfarrer Reinholz nach der Messe. Die Freude in seiner Stimme ist nicht zu überhören. An der Orgel sitzt, wie schon seit Jahren gewohnt, der Banater Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz. Ihn begleiten mehrere Musiker aus dem Banat, darunter die Sopranistin Ildiko Babenco, der Bariton Wilfried Michl und Sara Busuioc auf der Violine. Der musikalische Rahmen der deutschen Wallfahrt ist, wie stets, ein ganz besonderer.

Für die Banater Deutschen, die in die „alte Heimat“ zurückkehren, ist ein Besuch in Maria Radna ein Muss. Hier kommen Kindheits- und Jugenderinnerungen hoch, hier macht Gemeinschaft plötzlich wieder Sinn. Zur deutschen Wallfahrt nach Radna sind – privat oder in organisierten Gruppen – auch in diesem Jahr einige Dutzend Banater Schwaben aus dem Ausland angereist. Peter-Dietmar Leber, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, war seit der Einführung der deutschen Wallfahrt 2011 jedes Jahr am 2. August in Maria Radna dabei. Für ihn, wie für viele andere Banater Schwaben, die es immer noch in die „alte Heimat“ zieht, bedeutet Maria Radna Spiritualität und Gemeinschaft. Bereits in seiner Kindheit ist er von Großsanktnikolaus nach Radna gefahren, damals noch mit dem Zug. „Wenn ich an den Wallfahrtstag denke, dann habe ich immer den Duft von gebackenem ‚Hendl‘ in der Nase, das war der Reiseproviant, den die Pilger mitgenommen hatten. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Zugreise, auf der der Lokführer Hunger nach einer Melone hatte, den Zug anhielt und diese dann auch vom Feld bekam. Wir beneideten ihn um die Erfrischung“, erzählt Peter-Dietmar Leber. Am zweiten Tag nach der Wallfahrt wieder in Großsanktnikolaus angekommen, erwartete Pfarrer Deschu die Pilger vor der Kirche, wo sie dann eine Andacht feierten, erinnert sich Leber.

Mehr als 300 Menschen haben sich heute in der Wallfahrtsbasilika am nördlichen Marosch-Ufer eingefunden, um gemeinsam zur Mutter Gottes zu beten. Darunter auch der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen, Erwin Josef }igla, der jedes Jahr – auch in der Pandemie – anlässlich der deutschen Wallfahrt nach Maria Radna gefahren ist. Maria Radna ist auch für ihn ein Ort, den er aus seiner Kindheit kennt. Heute ist er mit einer Gruppe von etwa zwölf Berglanddeutschen da, zwei von ihnen tragen sogar die Fahne des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“. „Wir haben zwei bedeutende Wallfahrtsorte im Banat – Maria Radna und Maria Tschiklowa“, betont er. Beide seien ihm sehr wichtig. „Solange mir Gott hilft, werde ich bei den Wallfahrten dabei sein“, fügt er an.

Im Mittelpunkt aller Wallfahrten in Maria Radna steht die Ikone der Heiligen Maria, die über dem Altar hängt. Es ist jenes Bild, das ein Mann aus Radna, Georg Vrinonosa, 1668 mit nach Hause brachte – das auf Papier gedruckte Marienbild stammt aus der Werkstatt des  Buchdruckers Remondini aus Bassano del Grappa in Italien. 1695, nachdem die osmanischen Truppen die Kirche niedergebrannt hatten, war die Ikone unversehrt geblieben – und wirkt seitdem Wunder, wie auch Pfarrer Reinholz bestätigt. Auch heute würden ihm Menschen, die die Heilige Maria von Radna angebetet haben, erzählen, dass sie ihnen geholfen habe. 

Aktuell leben im Banat knapp über 80.000 Katholiken unterschiedlicher Ethnien, informiert der Historiker Dr. Claudiu Călin, Archivar am Römisch-Katholischen Bistum in Temeswar. Die meisten ethnischen Gruppen haben ihre eigenen Wallfahrtstage nach Radna, sodass es sich schließlich als selbstverständlich erwies, dass auch die Banater Deutschen ihren Pilgertag bekamen. „Die Geschichte von Maria Radna hängt eng  mit der Geschichte der Banater Schwaben zusammen. Die offizielle Anerkennung als Wallfahrtsort geschah in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als auch die ersten deutschen Siedler ins Banat kamen. Diese Siedler waren katholisch, tief gläubig und ihr Leben war oft von Sorgen und Krankheiten geprägt, sodass sich Maria Radna zu einem spirituellen Zufluchtsort der Banater Schwaben entwickelte“, erklärt der Historiker. Es war Altbischof Martin Roos, der 2011 die deutsche Wallfahrt ins Leben rief. Dass es eine gute Idee war, das beweisen die zahlreichen Banater Deutschen, die jedes Jahr am 2. August nach Maria Radna reisen.

Für die deutsche Konsulin in Temeswar, Regina Lochner, ist Maria Radna „ein zauberhafter Ort“. Die Konsulin ist eine gewohnte Präsenz an Sonntagen und nicht nur in den Temeswarer katholischen Kirchen, wo sie meist die deutsche Lesung vorträgt. Auch in Maria Radna liest die Konsulin heute. „Maria Radna ist ein zauberhafter Ort in einer zauberhaften Umgebung, das in einer Weise renoviert worden ist, dass einem das Herz aufgeht, doch natürlich sind die Gebäude nur der erste Eindruck. Maria Radna ist altehrwürdiger Marienwallfahrtsort mit einem bedeutungsvollen Bild der Gottesmutter, das so vielen Menschen über Jahrhunderte gute Zuversicht gegeben hat. Maria Radna ist ein Ort, an dem sich Menschen auch Kraft holen können“, betont sie.

Pfarrer Robert Dürbach ist heute der Hauptzelebrant in Maria Radna. Ihm zur Seite stehen mehrere Priester und Domherren, darunter der Generalvikar Johann Dirschl aus Temeswar und der Neupriester Ulrich Letzgus aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart. „Ich habe hier meine zweite Heimat gefunden. Als Kind fuhr ich öfters im Jahr hierher und da habe ich schon sehr früh gelernt, diese Liebe zur Gottesmutter zu verinnerlichen, und was sie bedeutet. Das war mir eine große Stütze auf meinem Lebensweg“, sagt Pfarrer Robert Dürbach, sichtbar gerührt, nach der Heiligen Messe. „Hier war der Anfang meines geistlichen Lebens, hier hat es seinen Fortgang gefunden und ich hoffe, dass ich Marienkind im Leben, Marienkind im Tod, an ihrer Hand aus diesem Leben gehen darf.“

Zum Schluss der Messe bekommt Pfarrer Dürbach anlässlich seines silbernen Priesterjubiläums die Sankt-Gerhards-Medaille in Silber von Generalvikar Dirschl überreicht. Die Prozession verlässt die Kirche. Nachmittags gehen die Gläubigen den Kreuzweg am Kalvarienberg hinter der Basilika – auch das gehört zur deutschen Wallfahrt jedes Jahr dazu.