Gewerkschaft schreibt an die Regierung

Beendet die russische Aggression gegen die Ukraine 250 Jahre Industriegeschichte in Reschitza? Gewerkschaften drohen mit Konsequenzen

Blick vom Kreuzberg auf Stahlwerk, Hochöfen und Hauptstraße in Reschitza, zwischen 1920-1930. Fotoreproduktion nach einer Glasplatte, aus dem Besitz des Museums des Banater Montangebiets, Reschitza

An der Schalttafel des Elektrostahlofens von TMK Reschitza
Foto: Zolán Pázmány

Das seit dem 1. Januar 2022 als Filiale zum Rohrwalzwerk TMK-Artrom Slatina gehörende Reschitzaer Stahlwerk gleichen Namens, das einem mehrheitlich russischen Aktionariat (PAO TMK Moskau oder TML Russland) gehört, welches wiederum bis vor Kurzem den russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten Dmytry Pumpiansky als Vorstand hatte (ADZ berichtete), steht auf der Kippe: Es könnte in den kommenden Tagen geschlossen werden, wenn es Rumänien nicht gelingt, die Lage zu nuancieren und auch die soziale Situation der rund 2400 Beschäftigten (780 in Reschitza, der Rest im nordoltenischen Slatina) mit in Rechnung zu ziehen.

In einem Schreiben, das vom Leiter der Filiale Karasch-Severin des Gewerkschaftsbunds „Cartel Alfa“, Marian Apostol, und von den beiden Leitern der Reschitzaer Stahlwerksgewerkschaft „Vatra“ (die Mitglied von „Cartel Alfa“ ist), Iosif Ciuciuc und Adrian Ilie, gezeichnet ist, fordern die Gewerkschafter die Regierung auf, umgehend Maßnahmen zur Rettung der beiden Werke zu treffen – und implizite zugunsten von deren Arbeitnehmern –, weil einerseits eine Schließung niemandem dienlich sei, andrer-seits diese Werke eigentlich keine Profite nach Moskau überwiesen hätten, mit denen die russische Kriegsmaschinerie in Gang gehalten worden wäre.

Seit 21 Jahren, seit es TMK Artrom in Rumänien gibt (seit siebzehneinhalb Jahren in Reschitza), sei aller Profit, den die Werke erwirtschaftet haben, in deren Ausbau und Entwicklung reinvestiert worden, behaupten die Gewerkschafter in ihrem Schreiben, indem sie sich auf Aussagen des TMK-Artrom-Generaldirektors für Rumänien, Adrian Popescu, stützen (ohne ihn zu zitieren).

Löhne nicht ausbezahlt

Aufgescheucht wurden die Gewerkschafter von der Sperrung der TMK-Artrom-Konten kurz vor dem Lohntag der beiden Werke (14. März), als den rund 2400 Arbeitnehmern die Löhne nicht ausgezahlt werden konnten, obwohl die Lohnsummen – wie immer – auf der Bank vorhanden waren. Der (offene) Brief an die Regierung, direkt an den Regierungschef Nicolae Ionel Ciuc², ist auf den 15. März datiert.

Die Gewerkschafter fordern darin „eine Lösung für diese Situation“, denn die Gefahr der Schließung der beiden Werke sei real „und die einzigen, die darunter zu leiden haben, sind nicht die Russen, die abgestraft werden sollten, sondern die Rumänen, die in diesen Werken ihren Arbeitsplatz haben“.

Ende der Industrie im Oberen Bersautal?

Die Gewerkschafter „machen darauf aufmerksam, dass die Wirtschaftssanktionen, die Russland treffen sollen, das Risiko in sich bergen, unumkehrbar auch die schwer geprüfte Industrie von Reschitza zu treffen. Wir sind nicht gegen die Pakete von Restriktionsmaßnahmen und Wirtschaftssanktionen, die von der EU beschlossen worden sind, als Antwort auf den Ukrainekrieg Russlands. Wir müssen aber feststellen, dass die Art der Umsetzung dieser Restriktivmaßnahmen die Reschitzaer Industrie vor ein neues Problem stellt.“

Ein Problem, das nichts zu tun hat mit der freien Marktwirtschaft, das aber das Ende einer 250-jährigen Industriegeschichte im Oberen Bersautal bedeuten könnte. In den vergangenen 30 Jahren ist das ehemalige Eisenverhüttungskombinat CS Reschitza mehrmals durch die furculae caudinae der Wendezeit getrieben worden. 1994 sei Reschitza „vergessen“ worden, als die Restrukturierungsmaßnahmen der Industrie Rumäniens beschlossen wurden. 2000 sei die katastrophale „Privatisierung“ durch die amerikanische Beraterfirma „Noble Ventures“ gestartet worden, die kläglich und verlustreich scheiterte.

2004 habe der rumänische Staat das Stahlwerk mit einem funkelnagelneuen Elektrostahlofen – ein Import aus Spanien – an die Russen von TMK um einen Euro verkauft – allerdings auch mit allen Schulden, die zu jenem Zeitpunkt bei Weitem den Wert der Aktiva überschritten. Die Schulden dem Staat gegenüber wurden abgezahlt, der Stadt gegenüber mittels Grundstückabtretungen beglichen. Heute sei das Werk schuldenfrei.

Gewerkschafter fordern Maßnahmen

Jetzt, da man glaubte, die einzige zu meisternde Herausforderung seien die ausufernden Energiepreise (weswegen das Werk vorwiegend nachts arbeitet, wenn die Energie billiger ist), kam dieser Ukrainekrieg Russlands und bedroht die gesamte Existenz der Werke. „Die Arbeitnehmer von TMK Artrom Reschitza, die ihre Existenz aus den Löhnen von TMK bestreiten, sind weder schuld an der Wahl des Staates im Jahr 2014, als er die 1-Euro-Privatisierung beschloss – was sich aber als einzige lebensfähige Lösung erwiesen hat –, und auch am Ukrainekrieg Russlands haben sie keine Schuld. Schwerlich wird ihnen jemand erklären können, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren müssen, dass sie eventuell ihre Familien verlassen müssen, um sich anderswo eine Lebensgrundlage zu suchen, die lohnmäßig zumindest dem gegenwärtigen Einkommen in etwa gleichwertig sein müsste – und dass sie dadurch das Volk der Ukraine in seinem gerechten Verteidigungskrieg gegen den russischen Aggressor unterstützen... Dass sie den Ukrainern durch dieses Opfer den Weg freimachen zum Leben und Arbeiten in einem freien Land. Wie es jedes Volk dieser Welt zweifelsohne verdient.“

Die Gewerkschafter fordern die Regierung in ihrem Brief auf, kohärente Maßnahmen zur Lösung der Situation zu treffen. „Gegenteiligenfalls sei die Regierung daran erinnert, dass die Arbeitnehmer von TMK Reschitza, zusammen mit der Gewerkschaft ‘Vatra‘ und der Gewerkschaftskonföderation ‘Cartel Alfa‘, von allen legal zulässigen Instrumenten Gebrauch machen werden, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, ihr Lohneinkommen und ihre Familien, die davon leben.“