Glokaler Kontext und Transformation

„Mittel- und südosteuropäische Medientage“ wurden erstmals in Berlin veranstaltet

Zwei der Teilnehmer lernte ich im Flugzeug kennen. Nicht persönlich, sondern ihren Werdegang: In der Werbebroschüre der österreichischen Fluggesellschaft werden Jan Mainka, der Herausgeber und Chefredakteur der „Budapester Zeitung“, sowie Marcus Hundt, der Chefredakteur der „Prager Zeitung“, vorgestellt. Die Genannten stammen aus Deutschland und führen erfolgreich deutsche Wochenzeitungen, die sich vorrangig an deutschsprachige Unternehmer und Touristen richten. Ohne staatliche Unterstützung. 

Der 1968 in Berlin geborene Mainka hat in Budapest studiert und war zunächst an der Wiedergründung von „Der neue Pester Lloyd“ beteiligt, machte sich 1999 selbstständig und gibt mittlerweile auch die „Budapester Times“ heraus. Markus Hundt (30 Jahre alt) war Praktikant bei der 1991 gegründeten Zeitung, die sich die Vermittlung zwischen Deutschen und Tschechen zum Schwerpunkt gesetzt hat. Die einst 48-seitige Wochenzeitung ist infolge der Wirtschaftskrise auf 12 Seiten geschrumpft. 

Mainka und Hundt gehörten zu den Teilnehmern der „Mittel- und südosteuropäischen Medientage“, die am 5. und 6. Mai von der Deutschen Gesellschaft e.V. in Berlin erstmals veranstaltet wurden. Förderer waren das Auswärtige Amt und die Axel-Springer-Stiftung. Dazu eingeladen waren neben Vertretern deutscher Medien in mittel- und osteuropäischen Staaten auch Chefredakteure und Vertreter von Printmedien der deutschen Minderheiten aus Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Rumänien. 

Ebenfalls dabei waren die Osteuropa-Korrespondenten der FAZ – Karl-Peter Schwarz, seit 20 Jahren in MOE – und der „Süddeutschen Zeitung“–Thomas Urban, seit 23 Jahren Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew – aber auch Deutschland-Korrespondenten der „Baltischen Rundschau“ und von Polskie Radio Szczecin. Zu den Teilnehmern gehörten sodann Sonja Volkmann-Schluck vom Netzwerk für Osteuropaberichterstattung „n-ost“, Claudia von Salzen vom „Tagesspiegel“ und Björn Akstinat, der Gründer der „Internationalen Medienhilfe“, des Netzwerks der deutschsprachigen Auslandsmedien. Moderatoren der Veranstaltung waren Georg Aescht, der Chefredakteur der „Kulturpolitischen Korrespondenz“ (Bonn), und Alfred Theisen, Herausgeber und Chefredakteur von „Schlesien heute“.

Ziele der Tagung

Was auf den ersten Blick nach Sammelsurium aussah, erwies sich als willkommene Zusammenwürfelung von Beteiligten, um über Gegenwart und mögliche Zukunft der deutschsprachigen Medien im mittel- und osteuropäischen Raum zu sprechen. Die Ziele der Tagung klingen hochgegriffen und benötigen Nacharbeit: Erstens, das Schaffen eines nachhaltigen Mediennetzwerkes zwischen Vertretern der Presse aus dem Ausland untereinander und mit den Kollegen aus Deutschland, das sich in zahlreichen Projekten wie regelmäßige Gastautorschaften und Kommentare, gemeinsame Diskussionsforen, wechselseitig verlinkte Webseiten und andere Initiativen manifestiert. 

Zweitens, die Steigerung des Bekanntheitsgrades: Den Journalisten in Deutschland sollte ein Bild von der medialen Situation der deutschsprachigen Minderheiten im südosteuropäischen Raum vermittelt werden, allein ein Teil der angemeldeten deutschen Journalisten sprangen im letzten Augenblick wegen Terminschwierigkeiten ab. Ein drittes Thema war die internationale Nachwuchsförderung. 

Getagt wurde in mehreren Arbeitseinheiten zu allgemeineren Themen, wie der redaktionellen Themenselektion im glokalen Kontext oder den gegenwärtigen Herausforderungen an Print- und Onlineausgaben, aber auch spezifischen Fragen, wie jener nach Koexistenz und/oder Kooperation zwischen der deutschen Presse im Ausland und der Presse in Deutschland, der Problematik der Deutschen im Ausland und der bundesdeutschen Öffentlichkeit, oder dem demografischen Transformationsprozess, in dem sich die deutschen Minderheiten befinden. Dadurch, dass sowohl Minderheitenblätter als auch deutschsprachige Publikationen aus mittel- und osteuropäischen Staaten sowie deutsche Medien repräsentiert waren, konnten die unterschiedlichen Facetten der Problematiken beleuchtet und angesprochen werden. 

Deutsche Minderheitenpresse

Durch ihre Chefredakteure vertreten waren Zeitungen deutscher Minderheiten: die 1957 gegründete „Neue Zeitung“ der Ungarndeutschen – Johann Schuth – , die „Landeszeitung“ der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien – Martin Dzingel (auch Herausgeber und Vorsitzender des Verbands) –, das vormals „Schlesische“, nun nur noch „Wochenblatt“ der Deutschen in Polen – Till Scholtz-Knobloch –, sowie das „Karpatenblatt“ der Deutschen in der Slowakei – der Pole Andrzej Mikolajczyk. Aus Rumänien nahmen Ruxandra Stãnescu von der „Hermannstädter Zeitung“ und die Verfasserin dieser Zeilen von der ADZ teil. 

Für die Letztgenannten war interessant zu erfahren, wie es um die Printmedien der deutschen Minderheiten in den anderen Staaten bestellt ist, wobei vorausgeschickt werden muss, dass es in diesen kein Unterrichtsnetz in Deutsch-Muttersprache gab und gibt und die Landesprache zur vorrangigen Umgangssprache wurde und wird. Das 1992 gegründete „Karpatenblatt“ ist eine Monatszeitung und erscheint in einer Auflage von 2000 Stück, die „Landeszeitung“ erscheint alle 14 Tage im Umfang von 12 Seiten, im „Wochenblatt“ erscheinen die Beiträge in Deutsch oder Polnisch, die Zeitung ist ein Produkt der Umbruchszeit und erscheint 24-seitig und allein in der Wojwodschaft Oppeln/Opole in 6500 Exemplaren. Sie alle erhalten staatliche Förderung, müssen aber in unterschiedlichen Anteilen auch selbst für die Finanzierung einstehen. Sorgen bereiten die geringe Mitarbeiterzahl und die neuen Kommunikationsplattformen. 

Was die deutschen Minderheiten als solche angeht, stellte Alfred Theisen fest, dass diese von deutschen Politikern anders behandelt werden als es die Politiker derjenigen Staaten tun, in denen die Gruppen als Minderheiten leben. Drei Motive umriss Thomas Urban, weshalb die mittel-südostdeutschen Minderheiten in den deutschen Medien selten vorkommen: Erstens sind diese Staaten nach dem EU-Beitritt in der Berichterstattung kaum noch präsent, da eine „Normalität“ eingetreten ist und Journalisten nach Außergewöhnlichem suchen.

Zweitens besteht bei den Minderheiten selbst die Furcht, in die innenpolitische Debatte zu geraten und den Politikern bzw. Verbandsfunktionären ausgesetzt zu sein, die es immer wieder schaffen, Keile in die ansonsten guten Beziehungen zu hauen. Empfindsamkeiten können tatsächlich in der Frage des Umgangs mit der Vertreibung verletzt werden, weshalb manche Journalisten die Finger vom Thema lieber lassen. Zu Missverständnissen im Fall der deutsch-polnischen Problematik kommt es sodann auf Grund der unterschiedlichen Sozialisation in Ost und West und dem Nachhinken der Geschichtspädagogik: In Polen wurde die Vertreibungsdebatte Anfang der 1990er-Jahre geführt, in Deutschland erst in den letzten zehn Jahren, und die Vertriebenen dürfen nun als „Hitlers letzte Opfer“ dargestellt werden. 

Mehr auf die Brückenfunktion der deutschen Minderheit bauen und diese ausbauen, riet Alfred Theisen. Er warb für das neue Schlesien, in dem die deutsche Minderheit ein wichtiger Faktor im Fremdenverkehr und der wiederum der schönste Teil der Heimatarbeit sei.

Tradition versus Innovation

Wer nicht im Netz ist, den gibt es nicht, gilt in der Medienbranche. Das Internet und seine Angebote haben die Arbeit der Journalisten revolutioniert und zur „Feuilletonisierung der politischen Berichterstattung“ geführt, sagte Karl-Peter Schwarz. Man gelangt über das Internet rascher an gute Informationen, wenn eine Qualitätsmarke aber gut gepflegt wird, kann mit der Printausgabe sogar ein Auflagenzuwachs erzielt werden, da die Leute gern Berichte lesen, mit denen sie sich identifizieren. 

Dass mittels Abo für die Online-Ausgabe (zum fast gleichen Preis wie die Printausgabe) eine neue Lesergruppe erschlossen werden kann, wurde bei der „Prager Zeitung“ festgestellt. Um Postgebühren insbesondere ins Ausland zu sparen, wird die „Neue Zeitung“ als pdf-Datei verschickt. Facebook und Twitter sind Kommunikationsplattformen, auf die man nicht verzichten sollte, wurde allgemein festgestellt.

Mögliche Entwicklungen

Provokante Thesen zur Zukunft der deutschsprachigen Presse im mittel- und südosteuropäischen Raum stellte Marcus Hundt in der Abschlussrunde auf. Voraussetzungen hierfür sind, dass die Printmedien der Minderheiten und jene, die kommerzielle Absichten verfolgen, vor den gleichen Herausforderungen und Problemen stehen, das sind die demografische Entwicklung und der Generationswechsel, das starke Konkurrenzmedium Internet sowie die Finanzierungssicherung. Seiner Ansicht nach wird es in 30 Jahren keine Printmedien für deutsche Minderheiten mehr geben, da die junge Generation global und nicht glokal denkt, der an der alten Heimat interessierte große Leserstamm abnimmt und die Minderheitengruppen die Landessprache kennen. 

Für die Nicht-Minderheiten Printmedien stellt der Online-Boom eine Gefahr dar, sie können jedoch Informationen bieten, die die deutsche Presse nicht hat. Angedacht hat Hundt drei Lösungen: Erstens, für die Minderheiten ein zweisprachiges Produkt in den Sprachen der Lebensrealität sowie der Vorfahren und der Identität zu produzieren. Zweitens, eine länderübergreifende Zeitung zu schaffen, die alle anspricht und die Kräfte bündelt. Drittens schlug er das bessere gegenseitige Nutzen des Know-hows durch bundesdeutsche und Minderheiten-Medien vor, d. h. bundesdeutsche Medien könnten Aufträge in MOE an die Minderheiten-Medien vergeben, wodurch dann die deutschen Minderheiten ihrerseits wahrgenommen werden. 

Die „Mittel- und südosteuropäischen Medientage“ wollten einen Anstoß für regelmäßige wechselseitige Impulse bieten, um langfristig produktive Synergieeffekte zu erzielen und eine gemeinsame mediale Weiterentwicklung zu begünstigen. Bleibt abzuwarten, was weiter geschieht.