Grenzen, die verbinden

Martin Stellberger sammelt Geschichten am Kolonnenweg entlang

Martin Stellberger und Flamenco Star unterwegs in Morsleben (Sachsen-Anhalt)
Foto: Christine Chiriac

Friede und Freundschaft statt Trennung – so lautet das Motto von Martin Stellberger, der sich entlang der östlichen Seite der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze auf den Weg gemacht hat, um Geschichten zu sammeln. Sein Weggefährte heißt Flamenco Star, weil er einen weißen Stern auf der Stirne trägt. „Es ist das beste Pferd, das man sich wünschen kann“, sagt der Wanderreiter. „Im Gelände und im Verkehr ist es top sicher und zuverlässig, es kann alles mitdenken. Ein treuer, braver Kerl!“

Schon seit siebzehn Jahren wandern Martin Stellberger und Flamenco gemeinsam. An der innerdeutschen Grenze allerdings erst seit 2009. Damals ging es am Dreiländereck Tschechien-Bayern-Sachsen los – nun ist das Ziel, die Ostsee, bald erreicht. Insgesamt macht das mehr als eintausend Kilometer und Dutzende Geschichten.

Der Todesstreifen betraf ihn persönlich und trennte seine Familie. Martin Stellberger selbst war damals noch sehr jung, doch an die Aufregung seiner Eltern, als 1961 die Mauer gebaut wurde, kann er sich noch sehr gut erinnern. „Das Hin- und Herreisen war plötzlich begrenzt. Das hat uns ganz schön aufgewühlt und hat bei mir sehr emotionale Erinnerungen festgegraben.“ Aus diesem Grund wollte er seine Reise schon bald nach der Öffnung der Berliner Mauer antreten. Die Zeit fehlte jedoch dem Realschullehrer, der auch journalistisch tätig war. Erst seit dem Ruhestand kann der 63-Jährige aus Weingarten bei Ravensburg sein Projekt verwirklichen.

Als Wanderreiter kennt er keine Grenzen mehr. Er reitet, soweit er kommt, hält bei Bauern an, bittet um Quartier für die Nacht oder um einen Eimer Wasser für Flamenco. Er reist, wie er sagt, ohne Erwartungen, trifft aber stets auf offene Menschen: „Das ist so etwas von freundschaftlich und herzlich und aufgeschlossen!“, sagt Stellberger. „Dazu muss ich sagen, wenn man mit so einem Pferd wie Flamenco irgendwo aufschlägt, ist das auch ein emotionaler Türöffner.“

Von den Menschen, die er kennenlernt, will er wissen, „wie sie sich an die letzten vierzig Jahre erinnern, wie sie die Wende erlebt und verarbeitet haben, was sie daraus gemacht haben, wie ihr Leben mit und ohne Grenze verläuft.“ So erfährt er von spektakulären Fluchtgeschichten aus der DDR, von Verletzungen durch die Minen entlang des Grenzstreifens, von Erlebnissen ehemaliger Grenzer oder Erinnerungen der Opfer der „Aktion Ungeziefer“, einer der großen Zwangsumsiedlungsaktionen aus dem Sperrgebiet ins Landesinnere.

Sensationslüstern ist er nicht: „Ich will nicht unbedingt die schlimmen Schicksale der Leute heraushören. Viel wichtiger ist, wie mir die Leute begegnen. Was mir unwahrscheinlich viel Respekt abnötigt, ist, dass sich die Bürger der DDR diese Freiheit selbst erkämpft haben. Was da seit der Wende geleistet wird, und welch Lebensleistung dahinter steckt, das muss man wirklich hoch anerkennen. Die Menschen haben nach diesem Regimewechsel ganz tief Luft geholt.“

Seinen Ritt vergleicht er mit einer Pilgerreise, bei der es weniger um das Ziel geht, als um den Weg selbst. Im kommenden Jahr möchte er die Reise gemeinsam mit seiner Frau nachrecherchieren und „Schwachpunkte nochmal nacharbeiten“. 2014, wenn seit der Überwindung des DDR-Systems 25 Jahre vergangen sein werden, will er ein Buch veröffentlichen. „Den Kolonnenweg“, sagt Martin Stellberger, „müsste man erhalten und in seiner Ideologie umwidmen. Nämlich als Pfad des Friedens und der Freundschaft.“