Habsburger-Denken in Wien

Europa braucht Rumänien und Gedichte

Er ist schon weg, wie der Grußfürst deutscher Politik „KT“, der gerne als von und zu Guttenberg firmiert, doch mit personenrechtlich richtigem Namen Karl-Theodor Buhl heißt. Der Namenszusatz von und zu Guttenberg ist angehängt mit einem Bindestrich, die österreichische Staatsbürgerschaft hat er auch (neben derjenigen der Bundesrepublik Deutschland). Und ein anderer Blender mit – nur – einem österreichischen Pass ist ebenfalls entflogen, auch in die USA: Der Prinzregent alpenländischer Politik Sebastian Kurz. Doch sind beide irgendwie auch geblieben. Der Dr. jur. hat auf dem zweiten (britischen) Bildungsweg den Dissertations-Betrug hinter sich gelassen und redet nunmehr öffentlich mit Chefspaßmacher Thomas Gottschalk. Und beim Sebastian („ich bin der Sebastian“) von der Wiener Hofburg stellt man fest, dass sein Geist weiterwirkt, irgendwie noch da ist. Dafür sorgt der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, seit dem Nikolaustag des Jahres 2021 im Amt.

Wenn man sich fragt, wie politische Entscheidungen zustande kommen, führt oft die Erkenntnis ins Schwarze, dass bestimmte, in einer Person und einem Volk innewohnenden Mentalitäten bestimmend sind. Sie sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen, bleiben aber eine tiefe Wahrnehmungsquelle. Das gilt besonders für Politiker, vor allem für solche, die was sein wollen. Und Habsburg ist ein Mentalitätsbrunnen für Österreich. Die Kaiser-Insignien des 1806 (auf Betreiben von Napoleon) untergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation liegen in der Wiener Hofburg. Die Schrumpfung Österreichs auf Alpenformat ist für ein Land, das als königlich-kaiserliche Monarchie einst zu den Großmächten in Europa gehörte, mentalitätsgeschichtlich eine immer noch schwärende Wunde. Und klar: Hitler war Deutscher und Beethoven Österreicher und die meisten Alpenländler waren im NS-Widerstand – so die Fama.

Das Ausmaß des Habsburger Sonnenreichs war immens und umfasste nicht nur Galizien, wo Putin nun einmarschiert ist, um zu vernichten, sondern auch das Banat und Siebenbürgen, das seit den letzten Weltkriegen zu Rumänien gehört. Wer nach Hermannstadt, nach Sibiu fährt, der „Hauptstadt“ Siebenbürgens/Transsilvaniens, begegnet Habsburg im Stadtbild überall, so im Palais von Samuel von Brukental (einem Höfling und Statthalter von Kaiserin Maria Theresia), in der katholischen Stadtpfarrkirche, die den fast mediterranen Marktplatz umfassen. Das Weichbild der Flecken und Dörfer Siebenbürgerns und des Banats ist habsburgerisch anmutend und von einer heiteren Wärme, die anzieht – das prägt bei manchen in Wien die Wahrnehmung Rumäniens als altes Kronland, dem man schon mal „Bescheid sagen“ kann.

Es gibt Formulierungen in Salzburg, Graz und Wien, die habsburgisch wirken. Wenn ein Österreicher sagt „Schauma mal, ob sichs ausgeht“, meint man, er vertraue dem „Es“, dem Lauf der Dinge, gegen die man nichts machen könne. Das unbestimmte „Es“ ist aber eine Camouflage. Denn das „Es“ ist man selbst. Und das verbindet sich mit dem Anspruch, Bescheid zu wissen und die Dinge in bestimmtem Sinne zu regeln, im eigenen. So machte es Bundeskanzler Kurz, der die „Balkanroute“ im Jahre 2015 ins Feld politischer Kontroverse führte, quasi als Retter des Abendlandes – so wie einst ein edler Ritter und Prinz vor „den Türken vor Wien“ rettete – mit freundlicher Unterstützung des polnischen Heeres.

Und so agiert auch Kanzler Nehammer. Die Sorge, Österreich könne die vermutete illegale Zuwanderung aus dem Balkan nicht verkraften, Hunderttausende würden kommen, wenn, ja wenn Rumänien in den Freiheitsraum offener EU-Binnengrenzen aufgenommen würde, ist wie aus der Rüstkammer der Hofburg. Wie alle wissen: Der Schengen-Raum macht Europa spürbar erlebbar, sogar die Schweiz darf als Nicht-EU-Mitglied dabei sein. Aber Rumänien nicht, das lehnten die Niederlande und die Bundesrepublik Österreich am 8. Dezember 2022 in Brüssel ab. Entsetzen in Bukarest, aber auch in Berlin. Der rumänische Botschafter in Wien, Emil Hurezeanu, wurde zur Beratung nach Bukarest gebeten. Die Botschafterin Österreichs in der rumänischen Hauptstadt gar „einbestellt“. Romania ist in Herz getroffen. Und dann auch noch von Österreich, wo ca. 350.000 Rumänen im Jahr Urlaub machen. Das Veto aus Wien kommt in der Kriegszeit, wo Moskaus größter Feldherr aller Zeiten nicht nur die Ukraine mit Krieg und Vernichtung überzieht, sondern alle EU-Staaten in Angst und Schrecken versetzt. Und da denkt Nehammer an die Landtagswahl im Januar 2023 und brüskiert 25 EU-Staaten und besonders Bulgarien und Rumänien.

Klar, die EU-Außengrenzen sind zu schützen. Und dabei sollten viele Staaten Rumänien helfen. Das ist die Konsequenz. Gut, dass die deutsche Bundesregierung Bukarest nicht im Regen stehen lässt. Boykott-Drohungen Richtung Tourismus sind allerdings fehl am Platze. Österreich ist nicht der Oberbescheidwisser europäischen Verhaltens, Rumänien auch nicht. Die EU-Familie muss sich zusammenraufen, wir haben keine andere. Die nationalen Mentalitäten auszuloten und kontinuierlich zu erforschen, das Eigen- und Fremdbild der Völker und Staaten sollte endlich in Schwung kommen, in der Wissenschaftsdisziplin der Imagologie.

Im historische Tomis am Schwarzen Meer, dem heutigen Constan]a, hatte einst der römische Dichter Ovid Zuflucht gefunden und dort in der Dichtung unsterblicher Verse, die uns deutlich machen, dass Sehnsucht nach Heimat die Seelen bestimmt. Rumänien ist auch ein Ovid-Land. Es spricht mit uns durch Gedichte. Sebastian im Traum? Das gilt für Österreich, aber nicht für den einstigen Charming-Kanzler, sondern für Georg Trakl, dessen Dichtung „Sebastian im Traum“ uns ins Innere leuchten kann, nicht jedoch die Politik von Sebastian Kurz.