„Haus der Herrlichkeit, Kirche aus lebenden Steinen“

Ein Altbau Hermannstadts zehrt von seiner Wiedereinweihung

Als Bonus auf den Fachvortrag der Archäologin Dr. Daniela Marcu wurden am Südportal der Stadtpfarrkirche am Huetplatz Münzen der Gegenwart in einen Sandsteinpfeiler verbaut. Um zukünftigen Forschergenerationen eine metallene Überraschung zum Anfassen zu hinterlassen. Vitus Amadeus Matz als Steinmetz-Geselle auf der Wanderschaft war im entscheidenden Moment handwerklich zur Stelle.
Foto: der Verfasser

Am einfachsten wäre es gewesen, gleich bei ihm anzufangen und sich sofort darauf zu berufen, doch auf einem strategisch adligen Platz zu stehen, der nicht erst noch verlassen werden muss, damit der Blick nach draußen sich öffnen kann. Aber der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt/Sibiu hätte das kaum große Befriedigung bereitet. Zumal man bei Samuel von Bruken-thal den Eindruck gewinnt, der Herausforderungen noch lange nicht Herr geworden zu sein. Seine Grabstätte ist links vor dem Hauptschiff der evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piața Huet klar gekennzeichnet. Zwölf Stunden lang still blieb es dort zu Beginn der Wiedereinweihung.  Martinsberg/Șomartin lieferte die Musik zum Auftakt. Sie spielte am Freitag, am 8. Oktober, um 12 Uhr mittags in der Ferula, dem westlichen Anbau des Gotteshauses mit seinen sieben markant dreieckigen Giebeln an der Südfassade. Michael Reger, Pfarrer der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) in Kerz/Cârța und auch für Martinsberg zuständig, gab der 1811 von Samuel Joseph Maetz gebauten Orgel gemeinsam mit Pfarrer Gregor Schmoly aus Klagenfurt und Dechant Hans-Georg Junesch den Segen an ihrem neuen Auftrittsort über dem Symon Pictor zugeschriebenen Altar (1519/1545).

Intonateur Ferdinand Stemmer aus der Schweiz und das Team der Orgelbauwerkstatt COT Honigberg/Hărman hatten abends zuvor alle Hände voll damit zu tun gehabt, sie gerade nochmal rechtzeitig auf ihre spannende Premiere in Hermannstadt zu trimmen. Maetz, aus dem kleinen Dorf Holzmengen/Hosman im Harbachtal/Valea Hârtibaciului gebürtig und seines Zeichens um mehrere Ecken mit seinem um 39 Jahre älteren Namensvetter aus Leschkirch/Nocrich verwandt, würde sich bestimmt hoch gefreut haben, sein 210 Jahre altes Instrument just im Jahr des 300. Geburtstages von Brukenthal auf dem Turmsockel der evangelischen Stadtpfarrkirche im Herzen Hermannstadts restauriert und gesichert wiederzuerkennen. 

Es ist von so kräftigem Klang, dass seine vollen Registerzüge dem Choral „Ewig steht fest der Kirche Haus“ für das Nachtkonzert um 21 Uhr anlässlich der Wiedereinweihung der Stadtpfarrkirche am selben Freitag, dem 8. Oktober, mühelos zum Durchbruch ins Hauptschiff verhalfen. Kantorin Brita Falch Leutert ist an einem der schönsten musikalischen Arbeitsplätze in ganz Siebenbürgen und Rumänien tätig.

Moderat in die Zukunft spähen

Erst 2034 wird die vertraglich vereinbarte Frist von fünfzehn Jahren Nutzung verstrichen sein. Bis dahin und wohl auch danach gilt für die Martinsberger Orgel von Joseph Samuel Maetz die Kopfzeile „Wir leben wie ein Wandersmann“ eines Chorals in g-Moll aus dem Kronstädter Kantionale. „Der alle Stund´ muss fort“, wie Mitglieder des Hermannstädter Bachchores zu Ende des Nachtkonzerts einem Notenblatt folgend sangen. Acht Jahre vor der Geburt Samuel von Brukenthals wusste der Mittzwanziger, Musiktheoretiker, Mäzen und Operntenor Johann Mattheson (1681-1764) aus Hamburg, dass die Tonart g-Moll „mäßiges Klagen“ und „temperierte Fröhlichkeit“ anschlägt.

Nuancen, denen das halbdunkel ausgeleuchtete Kirchenschiff auch durch die „Schutzengel-Passacaglia“ für Violine solo von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) Raum schenkte, gespielt von Iuliana Cotîrlea, Orchestermitglied der Staatsphilharmonie Hermannstadt. Jürg Leutert, Musikwart der EKR, entzündete auf der großen Sauer-Orgel (1916) die „Irrlichter“ (original französisch: „Feux Follets“) nach Notentext von Louis Vierne (1870-1937), von der Jahrtausend-Wende an bis zu seinem Lebensende Organist der Kathe-drale Notre Dame de Paris.

Dass das Experiment, diese knapp fünf Minuten Orgelmusik durch rasch sich ändernde Lichtschauspiele im Chorraum der Stadtpfarrkirche ästhetisch zu verstärken, nicht von allen Lauschenden als kunstvoll empfunden wurde, ist mitunter anzunehmen. Vor dem manchmal noch protestantisch behäbigen Hermannstadt leichter gehabt haben dürfte es die Choreografie von Ausdruckstänzerin Teresa Leonhard auf das langsame Stück „Spiegel im Spiegel“ von Arvo Pärt (*1935) für Violine und Cembalo statt original gesetztem Klavier. 

Sehr bunt gestaltet war auch das Konzertprogramm für Samstagabend, den 9. Oktober. Kinder und Jugendliche der Singschule der evangelischen Kirchengemeinde, die von Teresa Leonhard geleitete Behinderten-Tanz-Kompanie „DisPlace“, Schlagzeuger Andrei Marcovici von der Staatsphilharmonie und der Hermannstädter Bachchor gaben ein Konzert der etwas anderen Art.

„Building.Hope.Together“ hieß das Motto dieser Dreiviertelstunde, an deren vorletzter Stelle vom Regenbogen gesungen wurde. Auch wenn etliche Gäste farbige Luftballons, die dazu überraschend von der Orgelempore auf das Kirchenschiff fallen gelassen wurden, vom Boden aufhoben und nach oben zurück warfen, beharrten einige Zuhörende dennoch regungslos darauf, sich so zu verhalten, als ob Bewegung nicht infrage käme.

Darf diese originelle Steifheit als Ausdruck einer protestantischen Ethik gewertet werden, wie sie vor Zeiten ehrbar gepflegt wurde? Peter Billes aus dem bayerischen Ottobrunn hat für Hermannstadts evangelische Stadtpfarrkirche am Huetplatz ein digital steuerbares und stufenlos dimmbares Beleuchtungssystem ausgeheckt, das klar durch Flexibilität besticht. Es sorgt für gut lesbare Inschriften auf den zig Grabsteinen alter Jahrhunderte an den Innenwänden der Ferula. Würdenträger, die hier mit geöffneten Augen anzutreffen sind, halten das Zepter in ihrer rechten Hand aufrecht. Bei großen Herren, deren Augen nunmehr geschlossen sind, hängt es schief in der Faust. „Wir leben wie ein Wandersmann, der alle Stund´ muss fort.“

Die Kunst des Aufpassens

Religionspädagogin Dorothea Binder war am Samstag und Sonntag der Wiedereinweihung dreimal als Kirchenführerin für Kinder am Fest beteiligt. Den kontrastierend neuen Farbanstrich in Weiß findet sie zweitrangig. „Wichtig ist, was drinnen in der Kirche passiert“, hatte Dorothea Binder im Sommer 2020 eingehalten, als verbissene Gegenstimmen sich heftig für andere Farben aussprachen. „Immer, wenn ich gesegnet werde, erhalte ich eine Stimme, die nur Gutes sagt!“, legte die erfahrene Ex-Religionslehrerin vieler Generationen den Kleinen von heute ans Herz. Einfühlsam vorwarnend, dass „es nicht immer so ist.“

Sogar vor den Gedenktafeln für Opfer des Zweiten Weltkriegs und der Russland-Deportation im nördlichen Querschiff hielten Kinder unter der altersgerechten Begleitung durch Dorothea Binder einige Augenblicke inne. Die hier unter dem hohen Buntglasfenster mittig an der Wand befestigte Gedenkskulptur von Peter Jacobi, die an die wattierten Arbeitsjacken in der Sowjetunion erinnert, sorgte leider am Sonntag, dem 10. Oktober, für einen ungewollten, aber peinlich störenden Moment.

Weil die Innenwände der Stadtpfarrkirche am Huetplatz sehr glatt verputzt wurden und ihr Fußboden als Folge von archäologischen Forschungen um bis zu 30 Zentimeter abgesenkt wurde, hallt die Kirche von nun an so hellhörig wie nie zuvor.

Dass Künstler Peter Jacobi (*1935) sich ausgerechnet mittags um 12 Uhr vor seiner geistreichen Gedenkskulptur (1973/1974) von Alex Mih²ilescu und Arno Ungar für die Sendung in deutscher Sprache „Akzente“ des Rumänischen Fernsehens interviewen ließ, spielte ungeschickt gegen den Vortrag von Architekt Mihai Țucă zur Kirchenrenovierung. Weil an Covid-19 erkrankt, referierte der Geschäftsführer der GmbH S.C. ARHIMUS S.R.L online zugeschaltet über Videobild im südlichen Querschiff. Sein Fachvortrag war Tage vorher angekündigt worden. Das Team von „Akzente“ und Peter Jacobi hätten mehr Taktgefühl zeigen und abwarten können.

Architektonisch, archäologisch und gläsern

Mihai Țucă und sein Team halten sich verdient zugute, den größten Kirchenbau Hermannstadts in die Gegenwart gebracht und an ihm auch Beweise von Änderungen vergangener Zeiten offengelegt zu haben. Der vormals enge Mittelgang des Hauptschiffes wurde um mehr als nur eine Ellenbogenlänge verbreitert und mit alten Steinen ausgelegt, die den neu angekauften Bodenplatten nicht nachstehen. Ein paar knöcheltief ausgetretene Steine tückischer Vergangenheit ruhen ab jetzt unter dem Buntglasfenster im nördlichen Querschiff von ihrer Leistung aus. „Wir leben wie ein Wandersmann, der alle Stund´ muss fort.“

Archäologin Dr. Daniela Marcu Istrate bestätigt sämtlichen zehn Säulen links und rechts des Hauptschiffes die immense Stützkraft des Fundaments vom Vorgängerbau aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. „Die ersten Siedler haben mit ihrer Basilika robuste Arbeit geleistet.“ Für Glasrestauratorin Amalia Verzea schließlich war das Projekt der Generalüberholung am gotischen Gotteshaus Hermannstadts ein triftiger Grund, ihre Werkstatt nach 30 Jahren Berufsalltag in Italien wieder nach Rumänien zurückzuverlegen. „Anders wäre es mit den insgesamt 270 Quadratmetern Buntglas nicht möglich gewesen“, erklärt die von Aufträgen überlaufene Expertin, die sich auch mit Fenstern von Kulturerbe-Stätten wie dem Kloster Sucevi]a in der orthodoxen Bukowina beschäftigt. „Es war enorm schwierig, unser Berufszeugnis in Rumänien attestieren zu lassen.“

„Meine Hoffnung ist, dass diese Kirche die Gemeinde formen wird. Als ein Ort, an dem man anders über Glauben reden kann“, erbat Stadtpfarrer Kilian Dörr im Festgottesdienst am Sonntag zu Ende seiner Predigt. In die Kirchengeschichte der Siebenbürger Sachsen geht sie vielleicht gar als unverhoffte Weltpremiere ein. Kilian Dörr tat, was vor ihm kaum jemand in der EKR getan hat – sich das Amt des Predigens mit einer anderen Person teilen. Er überließ Vikarin Angelika Beer den Platz auf der Kanzel: „Wo ist es denn, das Neue? In einem kleinen Satz ist es versteckt – ‚Das Meer ist nicht mehr.‘ 
In der Offenbarung des Johannes ist das Meer das Symbol für alles Unberechenbare, für alles Böse und Lebensfeindliche. Und da steht nicht, ‚das Meer wird nicht mehr sein‘, sondern ‚das Meer ist nicht mehr.‘“ Und der Tod? Nur der „wird nicht mehr sein.“ Ganz wie im Choral „Wir leben wie ein Wandersmann, der alle Stund´ muss fort.“

Gottesfürchtige Politik?

Groß wie selten war das personelle Aufgebot, das im restaurierten Gestühl des Chorraumes Platz nahm. Nebst Reinhart Guib, Bischof der EKR, waren auch Varró Sándor, Pfarrer der reformierten Kirche ungarischer Verkündigungssprache, und Priester Nicolae Popa von der griechisch-katholischen Ursulinenkirche als ökumenische Gäste der Einladung gefolgt. Nicht zu vergessen die evangelische Partner-Gemeinde Klagenfurt, durch Pfarrer Lutz Lehmann und Mag. Udo Puschnig vertreten.

Delikat, sich vor Augen zu halten, dass in der reformierten Kirche, wo Pfarrer Varró Sándor das Predigtamt führt, je zwei Wimpel in den Farben der ungarischen Nationalflagge an der Wand links und rechts der Kanzel zu sehen sind. Mitgliedern des Hermannstädter Bachchores, der seine Weihnachtskonzerte 2018 und 2019 da in der reformierten Kirche veranstaltet hat, dürfte es aufgefallen sein. Wie man auch die bundesdeutsche Fahne im Schaufenster der Schiller-Buchhandlung am Großen Ring/Pia]a Mare bemerkt, wo trotzdem selbstverständlich auch Bücher in rumänischer Sprache verkauft werden.

Beide dicken Säulen rechts und links vorne am Hauptschiff waren zur Wiedereinweihung mit je einem bordeauxroten Band umgürtet. Sollten Einzelne sich mit Farben der Staatsflagge oder Logos von Parteien identifiziert haben wollen, seien sie oppositionell oder an der Regierung beteiligt, gab es dafür keine Spielfläche. Und noch bevor die Ehrengäste zurück auf den Huetplatz hinaus schritten, gingen junge erwachsene Behinderte, die das Diakonische Werk Rumänien betreut, und Jugendliche durch den Mittelgang voraus. Vor der Predigt war der Choral „Ewig steht fest der Kirche Haus“ des dänischen Pfarrers, Dichters und Philosophen Nikolai Frederik Severin Grundtvig gewählt worden. „Doch ist der Kirche sichtbar Haus, / Da er ans Herz nimmt die Kleinen.“