„Haushaltsaristokratie“

Rumänien gehört zu den wenigen EU-Staaten, deren Arbeitsmarkt fatal verformt ist. Einerseits liegt die Beschäftigungsrate der „aktiven Bevölkerung“ (das ist die arbeitsfähige Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren) im Landesdurchschnitt bei bloß 55 Prozent: Nur 4,8 Millionen Bürger Rumäniens – von insgesamt 8,8 Millionen Arbeitsfähigen – gehen einer beim Arbeitsamt registrierten, regulären Beschäftigung nach. Andrerseits: In den unterentwickelten Landkreisen arbeitet der Großteil der Bevölkerung beim Staat und scheint sich vor einer Anstellung in der Privatwirtschaft zu hüten. Bis dahin, dass es seit gut 15 Jahren unter Generationen von Absolventen zum Ideal geworden ist, einen Posten als Staatsbedienstete(r) zu ergattern.

Zum Beispiel im ostrumänischen Landkreis Vaslui, wo über 70 Prozent der Arbeitswilligen Staatsangestellte sind. Dabei liegt Vaslui am Ende der Liste der „Arbeitswilligen“ und teilt sich mit dem ebenfalls in Ostrumänien liegenden Boto{ani mit 38 Prozent der in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitsfähigen den vorletzten Platz. Vor Schlusslicht Teleorman, mit 35 Prozent, der Herkunftskreis und das „Kaderreservoir hoher Staatsbediensteter“ des Ex-PSD-Landeschefs Liviu Dragnea...

Das Rennen zur Besetzung warmer Nestchen im Staatsdienst startete im Vorfeld des EU-Beitritts. Die Profis der Selbstbedienung und ihre Geistesverwandten witterten, dass mit der EU die Geldhaufen größer werden und rangelten um die besten Startplätze – man denke ans „mühevolle“ Zustandekommen der EU-Zahlstellen APIA, wo heute Höchstlöhne verschenkt werden (wie wahrscheinlich in allen staatlichen Institutionen, wo EU-Finanzen durch klebrige Hände gehen). Was anfangs zögerlich geschah, das politisch forcierte Aufspreizen der Schere zwischen Leistung im Amt und Löhnen, wurde ab 2015 zur offiziellen Parteipolitik.

Der Hochschullehrer Cristian Păun, Geschäftsführer des Vereins der Wirtschaftsfachleute Rumäniens, veranschaulichte diese Schere zwischen Leistungssteigerung und Lohnerhöhung bei Staatsdienern mit konkreten Zahlen: 2017 hatte Rumänien ein Wirtschaftswachstum von 7,3 Prozent, die Lohnausgaben im öffentlichen Bereich stiegen um 22 Prozent; 2018 – BIP: +4,5 Prozent – Beamtenlöhne: +23,7 Prozent; 2019 – BIP: +4,2 Prozent – Beamtenlöhne: +18 Prozent. Das Privilegienzuschanzen durch die Politik, quer durch die Parteien, schuf einerseits die fast anderthalb Millionen Personen zählende Kategorie derer, die der aus Cacica in der Bukowina stammende Wirtschaftsanalyst Constantin Rudnițchi „Haushaltsaristokratie“ nennt, andrerseits wurde die Geldpresse hochgefahren, gleichzeitig mit einer steil ansteigenden Kurve der Staatsverschuldung, mit Bergen den Banken geschuldetem Geld. Generationenverschuldungen.

Mit diesem Bevorteilen der Staatsbediensteten durch Privilegienpolitik – krasser Gegenwind für die Privatwirtschaft – entstand eine neue Mentalität: Staatsbedienstete sind überzeugt, dass ihnen ihre fetten Löhne und die immensen Zulagen einfach per se zustehen – u.a. Entschädigungszulage wegen Gefahren bei der Arbeit am Computer; Stresszulagen; Lohnzulagen für pflichtgemäße Erfüllung der Dienstaufgaben (!!! – im Ministerium für EU-Fonds) – bloß, weil sie regelmäßig zur Arbeit gehen...

Der Teufelskreis der Privilegien (als Erste besetzen Verwandte und Nahestehende Freiplätze = „Erbfolge“) der „Haushaltsaristokratie“ müssen verteidigt werden (die drohende Revolte des neoaristokratischen Staatsapparats, von der hier vor einer Woche die Rede war, wurde abgewendet, indem Regierungschef Cîțu den Schritt zurück tat und die drohende Privilegienbeschneidung zurücknahm...).

Fazit: Die Haushaltsaristokratie ist auf dem Weg, sich den Staat vorzuspannen. Dem zu dienen sie entstand.