Held und normal Mensch

Randbemerkungen

Am vergangenen Samstag ist der nach Lenin wahrscheinlich weitsichtigste Staatschef des wohl reichsten Landes der Erde, bewohnt von einem der ärmsten Bevölkerungsgemische der Welt, begraben worden. Michail S. Gorbatschow, ein Jurist und Fachmann für Landwirtschaft, wurde in Abwesenheit seines Nachfolgers Wladimir „Wissarionowitsch“ Putin, dem Ex-Geheimdienstoffizier, beerdigt. Gorbatschow hat in den sechs Jahren seiner Regierungszeit (1985-1991) mehr Weltgeschichtliches initiiert als der Neue Zar, auch wenn er frühzeitig wusste, dass „höchstens ein Drittel“ der Bevölkerung ihn versteht und bereit ist, sich seinen Reformen zu öffnen. Für die Freie Welt aber stand „Gorbi“ als Befreier und Erlöser da – wofür ihm der Friedens-Nobelpreis verliehen wurde. „Der Große“ wird ihn sein Volk nie nennen. Ein künftiges demokratisches Russland wird stolz sein auf ihn.

Hinter Neuzar Wladimir X sollen rund 80 Prozent der Bevölkerung stehen. Er gilt als Bedrohung der Menschheit, Initiator des Rückfalls ins sowjetische Breschnew-Mittelalter, potenzieller Auslöser eines neuen Kalten, wenn nicht Weltkriegs. Viel zum Hintergrund der gegenwärtigen krakenhaften Bestrebungen des „Landes aller Reussen“, des Ideals Peters des Großen, wodurch die Reformen Gorbatschows rückgängig gemacht und Stalins Riesenreich wiederentstehen sollen, kann man in Gorbatschows Nobelpreisrede (aus dem Jahr 1990) nachlesen.

„Das Leben ist viel reicher und komplizierter als die detailreichsten Pläne, es zu verbessern“, heißt es da. „Letztinstanzlich rächt sich das Leben grausamst, wenn ihm ein Schema aufgezwungen wird – sogar wenn das mit allerbester Absicht geschieht.“ Zum Ausgangspunkt seiner „Perestroika“: „Die absolute Dominanz des Staatsbesitzes, im allgemeinen zentral verwaltet, das autoritär-bürokratische System, das sich alles unterordnete, die komplette Ideologisierung der Politik, das Monopol über das gesellschaftliche Denken, sogar über die Wissenschaft, das militarisierte Industriepotenzial, das alles schluckte, sogar die größten intellektuellen Werte – das war die wahre Lage im Land.“ Gemeint ist die Zeit um 1980... Gorbatschow spricht in seiner Nobelpreisrede von etwas, was es heute in Russland wieder in Reinkultur gibt: „Die von der Propaganda desinformierte Gesellschaft“, die „nicht wusste, was rundherum geschieht und wohin sich das Land in unmittelbarer Zukunft bewegt.“ Denn: „Die kleinsten Proteste wurden zerschmettert. Und die Mehrheit der Bevölkerung sah in solchen Protesten antistaatliche Aktionen, Verleumdungen, konterrevolutionäre Gesten.“ Hat sich in Russland 35-40 Jahre später etwas verändert?

Gorbatschow, dieser Anti-Stalin, schreibt in seinen Autobiografien (1994 und 2013) von sich selbst als Teil der Generation „Kinder der Kriegsjahre“ (er ist am 2. März 1931 geboren). Über diesen (auch propagandistisch geprägten) Schatten kann er auch als Politiker und Staatschef nicht springen. Wollte es wohl auch nicht. Aber er vermochte mittels Lebenserfahrung, Welt- und Weitsicht sowie kritischer Selbstbetrachtung und Fortbildungsoffenheit jenen bitter nötigen kritischen Blick zu entwickeln, der einem Staatsmann Größe verleiht. Und damit jene Normalität, die ihn von einem propagandistisch aufgeblasenen „Helden“ wie Putin grundlegend unterscheidet. Gorbatschow kannte bereits 1990 die Reaktion auf seine Reformen: „Viele waren verstört, wollten zurück in die Vergangenheit. Nicht nur die, die an den Hebeln der Macht saßen (…), auch eine Menge gewöhnliche Menschen (…), deren Lebensgewohnheiten im Schraubstock der Versuchungen steckten. Sie hatten verlernt, Initiativen zu haben, unabhängig, unternehmerisch, autonom zu sein.“ Gilt voll und ganz auch für Rumänien, oder?

„Daher nonkonstruktive Opposition, Destruktivität, Irrationalität“, „Extremismus“, „interethnische Konfrontation“.

Las Putin je den Gorbi? Oder der Klaus?