„Homeschooling ist bestimmt nicht jedermanns Sache“

Aber eine Alternative in Zeiten, in denen der Präsenzunterricht nicht stattfinden kann

Der sechsjährige Bastian beim Unterricht zuhause Fotos: Raluca Nelepcu

Inzwischen erhält Bastian wie auch die anderen Kinder seiner Klasse Online-Unterricht – bei einer Gruppe Sechsjähriger einer Herausforderung für Lehrkäfte, Eltern und Kinder.

Hausunterricht, auch als häuslicher Unterricht, Heimunterricht oder eben international als Homeschooling bekannt, ist eine Form der Bildung und Erziehung, bei der die Kinder oder Jugendlichen zu Hause oder an anderen Orten außerhalb einer Schule von den Eltern oder von Privatlehrkräften unterrichtet werden – so lautet die Definition auf der offenen online-Enzyklopeädie Wikipedia.

In Rumänien und in Deutschland herrscht Schulpflicht, das heißt, dass der Hausunterricht eigentlich illegal, beziehungsweise nur in Ausnahmesituationen stattfinden kann. Während in einigen deutschen Bundesländern ein Verstoß gegen die Schulpflicht nur als Ordnungswidrigkeit betrachtet wird, wird es beispielsweise in Hessen schärfer geahndet, wenn Kinder nicht zur Schule geschickt werden. Sind Kinder jedoch dauerhaft krank oder deren Eltern aus beruflichen Gründen so oft unterwegs (im Fall von zum Beispiel Schaustellern oder Zirkusleuten), dass sie ihren Nachwuchs nicht an einem Ort in die Schule schicken können, können diese auch im Heimunterricht gebildet werden. Andererseits ist in den USA, Österreich, Tschechien, Ungarn und vielen anderen europäischen Ländern Homeschooling legal. Die Corona-Pandemie hat die Diskussion um dieses Thema indirekt wieder in den Fokus gerückt.

Die Mama wird zur Lehrerin

Sowohl in Deutschland wie auch in Rumänien kann ein guter Teil der schulpflichtigen Kinder aus finanziellen oder technischen Gründen nicht live am Onlineunterricht teilhaben. Das macht erfinderisch, besonders in Ausnahmesituationen wie der der Journalistin Raluca Nelepcu: Sie hat eine Möglichkeit gefunden, ihren sechsjährigen Sohn, der in diesem Jahr die Vorschulklasse an der Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar besuchen sollte, selbst zu unterrichten.

Dafür sprachen mehrere Gründe: Einerseits hatte der Kleine altersbedingt wenig Sitzfleisch, um den Unterricht an einem Tablet zu verfolgen, andererseits hätte der äußerst restriktive Präsenzunterricht zu Schuljahresbeginn doch ein Infektionsrisiko mit sich gebracht, dem sich die schwangere Mutter nicht aussetzen wollte. Zudem wäre der soziale Vorteil des Präsenzunterrichts, der Kontakt mit anderen Kindern, durch die Distanzierungsmaßnahmen gar nicht gegeben, so Raluca Nelepcu. Mit der Hilfe und dem Einverständnis der Lehrerin wurde die Mama nun zur Bildungsbeauftragten ihres Sohnes. Einfach war das weder für sie noch für den Kleinen, denn beide mussten sich in ihre neuen Rollen erst mal einlernen, und das sollte auch einiges an Geduld und Zeit fordern:

„Am Anfang hat er vielleicht ein bisschen gemeckert, wenn ich ihn korrigiert habe und zweimal hat er sogar geweint. Aber das war mein Fehler, denn ich bin erst mit der Zeit darauf gekommen, dass ich viel mehr Geduld haben muss mit ihm. Ich hatte von ihm gefordert, dass er sofort ernsthaft bei der Sache ist. Und das geht bei Sechsjährigen nicht immer. Aber mittlerweile sind wir ein gutes Team. Ich bin derzeit im Urlaub, aber bis dahin fiel es mir nicht leicht, mich sowohl um meinen Job als Journalistin zu kümmern als auch um meinen Sohn, meinen Schüler. Gott sei Dank habe ich persönlich eine sehr flexible Arbeit und konnte dieses Homeschooling in dieser Hinsicht problemlos hinkriegen, bzw. wenn ich an einem Tag oder zwei Tagen während der Woche das nicht geschafft habe, dann haben wir am Wochenende Unterricht gehabt. Hat man keinen flexiblen Job, dann ist es vor allem bei den kleinen Kindern problematisch, denn die müssen beim Lernen schon betreut und unterstützt werden.“ Eine Alternative wäre, die Karriere an den Nagel zu hängen und Vollzeithauslehrerin für die Zöglinge zu werden. Das können sich jedoch die wenigsten leisten – und viele wollen das auch nicht..

Zeit, Geld und Köpfchen...

... brauchen Eltern, die die Bildung der Kinder selbst in die Hand nehmen wollen: Raluca Nelepcus Hausunterricht findet in dieser Form eigentlich nur wegen der Corona-Pandemie so statt. Damit er klappt, sind einige Grundvoraussetzungen nötig:

Die Eltern müssen sowohl die Zeit, wie auch die intellektuellen und didaktischen Fähigkeiten besitzen, um sich auch in dieser Hinsicht um ihren Nachwuchs kümmern zu können. Es bedarf einer engen Zusammenarbeit mit der Schule, beziehungsweise der Lehrkraft, wenn das nur eine Übergangslösung sein soll und die Kinder anschließend an diese Gesundheitskrise wieder den „normalen“ Schulalltag erleben sollen, erklärt Raluca Nelepcu: „Seine Lehrerin schickte mir jeden Tag den Stoff, der in der Schule unterrichtet wurde, und ich musste ihm das dann zu Hause beibringen.

Das ging aber nur solange so, bis die Schule das „rote Szenario“ anwenden musste. Mittlerweile gibt es Online-Unterricht für alle, also wird jetzt auch mein Sohn Bastian jeden Tag von seiner Lehrerin über eine Plattform mit seiner ganzen Klasse unterrichtet“. Und gerade dabei werden dann die Vorteile des Hausunterrichts noch klarer, denn als Elternteil kümmert man sich in der Regel um ein oder zwei Kinder, kann alles so oft wiederholen, bis es verstanden wurde und Fehler werden rechtzeitig erkannt, was einer Lehrkraft beim Online-Unterricht von 23-25 Schülern schier unmöglich ist. Da müssen die Eltern oft beim Online-Unterricht dabei sitzen oder danach das eine oder andere erklären, Materialien herunterladen, drucken und dann wieder in die Lernplattform einspeisen.

Der Unterricht zuhause bietet Vor- und Nachteile

Das familiäre Umfeld, in dem sich besonders zurückhaltende, sensiblere Gemüter besser entfalten als vor einer Klasse von Mitschülern, oder dass man nicht an feste Unterrichtszeiten gebunden ist und als eventueller Morgenmuffel das Addieren auch am Nachmittag üben kann, sind weitere Vorteile des Heimunterrichts. Auch sei man nicht an den Stundenplan gebunden und könne die Fächer oder Themen je nach Belieben durcharbeiten, wobei man oft auch viel schneller vorankommt als mit einer gesamten Klasse, wo man von den Mitschülern eventuell ausgebremst werden würde.

Sitzen Kinder aus der Vorbereitungsklasse vor dem PC oder Tablet beim Online-Unterricht, kann das unter Umständen sehr laut werden, weil plötzlich alle etwas zu erzählen haben oder weil ihnen das ruhige Ausharren vor dem Monitor schwer fällt und sie Bewegung brauchen. Das Konzentrieren über mehrere aufeinanderfolgende Unterrichtseinheiten hinweg kann gerade Schulanfängern wie Nelepcus Sohn dabei schwer fallen.

Einen weiteren Vorteil des Hausunterrichts sieht sie darin, dass Kinder und Jugendliche dabei „zu lernen lernen“, also lernen, sich selbst Sachen beizubringen. Hilfreich sind dabei verschiedene Apps und Online-Plattformen, die die Schülerinnen und Schüler dann selbst anklicken und somit selbstständig lernen können.

Aber: Ob Online- oder Heimunterricht – in beiden Fällen kommt das soziale Miteinader zu kurz. Alternativ suchen Eltern Kinderspielplätze und Parks auf oder bringen Kinder und Jugendliche zu einem Mannschaftssport, wo sie unter Gleichaltrigen sind. Denn dass der Lockdown Kinder nur mit Mutter oder Vater in einer Wohnung „festgehalten“ hat, machte so mancher Familie klar, wie wichtig soziale Kontakte sind, die man sonst als selbstverständlich hinnahm.

In etwa 200 Familien in Rumänien wird unterrichtet

In Rumänien gibt es Familien mit Kindern, die den Heimunterricht schon seit Jahren für sich entdeckt haben und als ideal empfinden. Es sind rund 200 Familien, die die Erziehung und Bildung ihres Nachwuchses in die eigene Hand genommen haben, weil sie das rumänische Schulsystem für unzulänglich halten oder als nicht mit ihrem eigenen Wertesystem und ihrer Weltanschauung vereinbar sehen.

Von Außen betrachtet, ergibt sich jedoch gerade hier die Gefahr, dass die Kinder von anderen Werten oder Anschauungen abgeschirmt werden, wie man es von geschlossenen Gemeinschaften her kennt. Der Schulbesuch widerspricht den pädagogischen Vorstellungen oder Erziehungszielen der Eltern, oder sie finden, dass der Hausunterricht sich den Bedürfnissen der Kinder besser anpasst, ihre Stärken und Schwächen eher berücksichtigt, als es in der Massenbildung möglich ist.

Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass die Gesellschaft nicht rechtzeitig gewahr wird, wenn es bei solchen Kindern zu Hause zu Misshandlungen oder Vernachlässigung kommt. Stärker in den Medien präsent ist jedoch das Mobbing und Bullying in den Schulen, wovor sich manche Eltern auch fürchten, die es bevorzugen, selbst die schulische Bildung zu übernehmen.

Damit Hausunterricht in Rumänien halbwegs legal funktioniert, schreibt man sich in eine sogenannte Schirmschule, eine internationale Schule ein, die dieses Homeschooling anbietet. So bekommt man Zugang zu ihren Online-Plattformen und Apps sowie Unterrichtsmaterial. Je nach Alter unterrichten die Eltern ihre Kinder, oder sie bringen sich den Stoff selbst bei. Keine staatliche oder private Schule aus Rumänien bietet dieses Konzept an.

Nichts Neues, aber mit modernen Mitteln gestaltet

Homeschooling ist aber bei weitem kein Konzept der Neuzeit – das ist eher die Schulbildung, wie man sie heutzutage kennt. Früher, war es besonders bei betuchteren Familien gang und gäbe, dass man für den Nachwuchs einen Hauslehrer anstellte. Die britische Königsfamilie hat erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Prinzen und Prinzessinnen in die Schule geschickt. Die Queen selbst, Elisabeth II., bekam Hausunterricht und hat keinen Schulabschluss, was jedoch für das aktuelle Homeschooling keineswegs die Regel sein muss, weil man sich infolgedessen sehr wohl zu Abschlussprüfungen anmelden kann.

Ist man jedoch wie Raluca Nelepcus Sohn in der Vorbereitungsklasse 0, sind Noten noch kein Begriff, da man noch keine richtige Evaluation durchmachen muss. Die Sehnsucht nach einem Klassenraum voller Kinder, mit denen man sich anfreunden und in den Pausen herumtoben kann, ist aber bei Schülern im Online-Unterricht, die das bereits kennen, aber gegeben. Raluca Nelepcu wünscht sich für ihren Kleinen, dass er spätestens im nächsten Schuljahr auch die Schulbank drücken darf, aber ohne Maske, und Spielverbot in den Pausen, oder sonstigen Einschränkungen.