„Ich finde es bedauernswert, dass wir Ärzte einen schlechten Ruf genießen“

Interview mit Alina Corpade, Fachärztin für Geburtshilfe und Frauenheilkunde

Vielleicht werden werdende Mütter in fünf bis zehn Jahren darauf getestet, ob sie gegen SARS-CoV-2 immun sind.
Alina Corpade. Foto: der Verfasser

Erst etwa ein Drittel der Menschen in Rumänien ist geimpft.
Foto: Natalia Vaitkevich

Rund 236 Millionen Menschen sind bisher weltweit an Covid-19 erkrankt, mehr als 4,8 Millionen sind an den Folgen der Infektionskrankheit gestorben. Mehrere Impfstoffe gaben Anfang des Jahres Hoffnung auf ein Ende der Pandemie. Doch viele Menschen wollen sich nicht impfen lassen. Im Gespräch mit der Gynäkologin Alina Corpade wollte ADZ-Redakteur Robert Tari erfahren, wie die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 sich auf sie und ihre Patientinnen ausgewirkt haben.

Hatten Sie viele schwangere Patientinnen, die an Covid-19 erkrankt sind?

Ich hatte während der Pandemie in der Regel drei Arten von Patientinnen, die positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet wurden: Patientinnen, die ich während ihrer Schwangerschaft betreut habe, die zu einem gewissen Zeitpunkt typische Symptome aufwiesen und dann positiv getestet wurden. Zum Glück hatte keine von ihnen einen schwerwiegenden Covid-19-Verlauf, der eine Krankenhaus-Einweisung für Sonderbehandlungen notwendig gemacht hätte. 

Dann gab es Fälle, in denen Patientinnen bei der Einweisung positiv getestet wurden, ihr Verlauf asymptomatisch war, die bestehenden Regelungen es mir allerdings nicht erlaubten, sie bei der Geburt zu unterstützen. 

Und schließlich war ich bei Geburten dabei, bei denen die werdenden Mütter auf Corona positiv getestet wurden. Das geschah während 24-Stunden-Diensten in der Odobescu-Entbindungsklinik, als die Klinik Covid-19-Fälle behandelte. In allen drei Situationen erlebten Patientinnen einen leichten Krankheitsverlauf, der Grund, weshalb ich bei der Behandlung der Krankheit nicht involviert war. Aber die Erkrankung mit Covid-19 hatte negative Auswirkungen auf die Geburt der Mütter und ihre ersten Kontakte mit dem Neugeborenen gleich nach der Geburt.  

Kann das Virus die Schwangerschaft beeinflussen?

Aus den Daten, die wir bisher haben, gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Virus SARS-CoV-2 die Entwicklung des neugeborenen Kindes beeinträchtigt. Aber die Schwangerschaft an sich ist für das Immunsystem herausfordernd. Aber die von Familienärzten sowie Fachärzten für Infektionskrankheiten verschriebene Behandlung, um der Virus-Erkrankung entgegenzuwirken, hat die Anzahl der Fälle mit schwerwiegendem Verlauf deutlich minimiert. 

Meistens haben Patientinnen leichte bis mittlere Symptome gehabt. Aber es ist noch zu früh, um Rückschlüsse ziehen zu können. Dafür ist noch nicht genug Zeit vergangen seit dem Beginn der Pandemie bzw. seitdem Daten gesammelt werden. Zum Vergleich: Wir testen alle Frauen während der Schwangerschaft, ob sie gegen Toxoplasmose immun sind, ob eine Immunität gegen Röteln besteht oder gegen das Cytomegalie-Virus. Es ist bewiesen, dass alle drei schwerwiegende Folgen auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes haben können. Sie führen nach der Geburt zum Beispiel zu geistiger Unterentwicklung. Vielleicht werden werdende Mütter in fünf bis zehn Jahren darauf getestet, ob sie gegen SARS-CoV-2 immun sind.

Was waren die Herausforderungen für die Patientinnen während der Pandemie?

Die Angst vor dem Unbekannten ist für eine werdende Mutter, aufgrund der Tatsache, dass sie für zwei Leben verantwortet, deutlich größer. Eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus ist für viele ein fremder Ort. Ich habe während des gesamten Lockdowns Patientinnen untersucht, das Medizinische Versorgungszentrum war niemals geschlossen. 

Der Großteil der Patientinnen waren werdende Mütter. Sie konnten die regelmäßigen ärztlichen Kontrollen nicht auslassen. Wir haben versucht, trotz der strengen Covid-Sicherheitsmaßnahmen ihren Besuch beim Arzt so angenehm wie möglich zu machen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Es ist wichtig, dass sich die Patientinnen wohl fühlen und Vertrauen aufbauen. Ihnen eben die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen. 

Für viele Frauen war es nach der Geburt schwierig, weil sie ihr Kind nicht sehen durften, bis sie nicht negativ auf das Coronavirus getestet wurden. Es ist eine unangenehme Situation und schwierig für eine Mutter, die auf diesen Moment neun Monate gewartet hat. Mit der Zeit sind die Tests effizienter geworden und die Patientinnen konnten die Ergebnisse schneller erhalten. Dadurch wurden die Covid-Beschränkungen gelockert und, was besonders wichtig ist, die Patientin kann ihr Kind gleich nach der Geburt sehen.

Angehörige dürfen die Patientinnen nicht besuchen. Und das ist für viele Frauen ein Problem, weil sie sich eine moralische Stütze wünschen. Aber es hat auch seine Vorteile: Nach der Geburt brauchen die Mütter Ruhe, was oft aufgrund des Ansturms von Besuchern nicht möglich ist, sokönnen sich besser auf die notwendigen Aufgaben konzentrieren. Es muss aber in Zukunft ein besseres Gleichgewicht gefunden werden zwischen der Möglichkeit, Besuch zu empfangen, und der notwendigen Ruhe, die für eine Erholung wichtig ist. 

Am schlimmsten war es für Mütter, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Sie durften überhaupt keinen Kontakt mit ihrem Kind haben. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus musste das Kind einem Familienmitglied übergeben werden, das keinen Kontakt mit der Mutter gehabt hat, etwa die Eltern oder Schwiegereltern. Das Kind muss dann solange dort bleiben, bis die Quarantänepflicht ausläuft, in der Regel waren es zwei Wochen. Zwei Wochen sein Kind nicht sehen können, finde ich unmenschlich. 

Was könnte man besser machen?

Ich glaube, dass Rumänien vielversprechend angefangen hat, Corona zu bekämpfen, besonders im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Inzwischen gehören wir zu den Schlusslichtern. 
Das liegt daran, dass die Menschen bei uns kein Vertrauen in Ärzte haben, in Medizin, Politik usw. Ich habe es vermieden, Freunden und Patientinnen Ratschläge zu erteilen, aber wenn sie mich gefragt haben, habe ich immer gesagt, dass alle in meiner Familie geimpft sind und das eine Impfung für schwangere Patientinnen unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation und des European Centers for Disease Control and Prevention (ECDC) empfohlen ist. 

Der Impfstoff ist keine Garantie dafür, dass man nicht an Covid-19 erkrankt, aber es mildert die Symptome und senkt drastisch die Risiken lebensgefährlicher Komplikationen. Niemand kann versichern, dass es keine Ausnahmen gibt, bei denen der Impfstoff Nebenwirkungen auslöst, was auf alle Impfstoffe und Medikamente zutrifft. Aber ich finde es bedauernswert, dass wir Ärzte einen schlechten Ruf genießen. 

Können die Impfstoffe die Schwangerschaft beeinflussen?

Die Studien, die ich bisher gelesen habe, deuten nicht darauf hin, dass die Impfstoffe mögliche negative Auswirkungen auf Neugeborene haben. Hier muss man natürlich wieder erwähnen, dass es noch recht früh ist und es noch einige Zeit dauern wird, bis man mehr sagen kann. Schwangere Frauen kann die Impfung insofern beeinträchtigen, dass sich Symptome zeigen wie bei einer Erkältung (Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber), die normalerweise in ein bis zwei Tagen wiederverschwinden. Es ist eine schwierige Situation, weil Patientinnen meine Empfehlung haben möchten, zugleich aber auch die Garantie, dass die Impfung keine Nebenwirkungen mit sich bringt. Momentan kann ich nichts hundertprozentig garantieren. Aber genauso ungewiss sind die Folgen, wenn man ungeschützt ist. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Covid-19. Manche sind asymptomatisch, andere sterben daran. Wir wissen auch noch nicht, wie sich eine Infizierung während der Schwangerschaft auf das Kind ausübt. Welche langwierigen Folgen das Neugeborene davonträgt. Es gibt noch nicht genug Studien dazu. 

Ist man gegenüber der Impfung offen?

Leider sind die meisten schwangeren Patientinnen gegen eine Impfung. Aber die Mehrheit möchte sich nach der Geburt impfen lassen. Ich habe aber auch viele Patientinnen, die bereits geimpft sind.

Wie haben Sie die Pandemie überstanden?

Die ersten Monate waren die schwierigsten. Weil man noch nicht wusste, wohin sich alles entwickelt wird. 24-Stunden-Schichten im Krankenhaus wurden halbiert. Das bedeutete mehrere Schichten. Es gab keine Pausen. Wir haben unentwegt gearbeitet und haben versucht die Patienten und Patientinnen, so gut es geht, den neuen Umständen entsprechend zu unterstützen. 

Für mich war die Angst groß, dass ich mich anstecken könnte. Obwohl es strenge Sicherheitsmaßnahmen gab. Zumindest im Krankenhaus und im Medizinischen Versorgungszentrum. Aber man konnte nie wissen, wo und wann man sich anstecken könnte. Bis sich nicht alle aus meiner Familie geimpft haben, fühlte ich mich wie ein Roboter, der ständig, fast schon automatisch, bestimmte Vorgänge wiederholte: Mehrmals am Tag Arbeitskleidung und Gegenstände desinfiziert, dann immer schnell zuhause die Arbeitskleidung in die Waschmaschine packen und waschen. Immer versuchen das Risiko einer möglichen Infektion zu vermeiden. 

Auch privat war es eine schwierige Zeit. Wir konnten Freunde lange Zeit nicht sehen. Geburtstage mussten wir alleine feiern. Man vermisst schon den Kontakt mit anderen Menschen. Aber ich habe auch gelernt, wie wichtig eben dieser Kontakt ist. Und wie wichtig Familie ist. Somit hatte Corona nicht nur ihre Schattenseiten.