Ich wurde gezählt

Seit ich am Samstag im Rahmen der gerade laufenden Volkszählung befragt wurde, habe ich ein gesundes Misstrauen gegen die Ergebnisse dieser Staatsaktion entwickelt. Die Interviewer, die von Haus zu Haus gehen, wollen die Leute zählen, sie wollen auch die Fragebögen, drei an der Zahl, ausfüllen, aber Fragen stellen und richtige Antworten bekommen, wollen sie nicht. Weil sie die eh alle schon kennen.

Zugegeben, sie haben keinen leichten Job. Sie haben ein Riesenpensum an Arbeit zu bewältigen und werden in einigen Häusern abweisend behandelt. Aber das erklärt nicht gerade alles. Von einigen Fragen hieß es, dass man sie nicht beantworten muss, ging es durch die Medien. Das sind die Fragen nach der ethnischen und der religiösen Zugehörigkeit. Das haben einige Befrager so aufgefasst, dass nicht die Antworten, sondern schon die Fragen optional sind. Das heißt, sie fragen gar nicht mehr danach, habe ich von mehreren Seiten gehört. Warum auch. Diese Rubrik können sie nach Belieben und Eingebung auch selber ausfüllen, zu Hause gemütlich bei einer Tasse Kaffee sitzend. Der Befragte und Gezählte unterschreibt ja nur auf der letzten Seite unten.

Als wir diesen Passus hinter uns hatten und die Interviewerin schon allerhand andere merkwürdige Fragen stellte – ob ich kurzsichtig bin, ob ich hinke, ob ich an Gedächtnisschwund leide, diese Fragen waren nicht optional – fiel mir ein, dass sie mich gar nicht nach meiner Staatsbürgerschaft gefragt hatte. Ich sagte ihr das. Beherrscht und geduldig erklärte sie mir, dass sie mich soeben gefragt hätte, welche ethnische Zugehörigkeit ich habe, und ich hatte geantwortet, ich sei Deutsche. Ebenso geduldig und beherrscht erklärte ich ihr, dass ethnische Zugehörigkeit und Staatsangehörigkeit zwei verschiedene Dinge sein können. Sie war intelligent. Nach einiger Verwunderung hat sie das begriffen.

„Da gibt es im Fragebogen keine Rubrik dafür“, sagte sie entschieden. Nachdem ich nun selbst meine Verwunderung darüber äußerte, hatte sie diese auch schon entdeckt: „Doch, da gibt es eine“, und eilig trug sie meine rumänische Staatsangehörigkeit ein. Alle Bürger, die sie bisher befragt hatte, haben da eine nicht ausgefüllte Rubrik. Es sei denn, die Dame setzt sich am Abend zu Hause hin und füllt sie nachträglich nach bestem (Un)Wissen und (mangelndem) Gewissen aus.

Einen wahren Kampf gab es um das Augsburgische Bekenntnis. Bei der Frage nach der Religion hieß die Antwort „Biserica Evanghelică C.A.“. Sie schrieb „biserica evanghelică“. Ich bat, „C.A.“ (confessio augsburgensis) hinzuzufügen, es gäbe mehrere evangelische Kirchen. Das ging, so intelligent sie auch war, über ihr Verständnis. Aber schließlich trug sie die beiden Buchstaben doch ein, es war ja keine große Mühe. Die Frage ist nun, ob jene, die diese Fragebögen auswerten, sich mit zwei kleinen Buchstaben herumschlagen. Eine weitere ist, wie viele Menschen hartnäckig darauf bestehen, dass ihre Angaben auch richtig aufgenommen werden. Kleine Gemeinschaften sind von der Art der Durchführung dieser Volkszählung offensichtlich benachteiligt, weil sie einfach nicht in das bekannte Raster fallen, das die Interviewer dazu verleitet, sich die Antworten selbst zu geben.
In diesem Land wird mit großem Aufwand eine Volkszählung durchgeführt. Es werden die Menschen gezählt, die Wohnungen, bestimmte Behinderungen und weiß Gott noch was. Es wird nach geraumer Zeit Ergebnisse dazu geben. Stimmen werden sie nicht.